Vom Straßenraub zum Milliardengeschäft: Die erschreckend effiziente Lieferkette für gestohlene iPhones

Ein aktueller Exklusivbericht der Financial Times (FT) zeichnet den Weg gestohlener iPhones nach – von westlichen Metropolen wie London im Vereinigten Königreich oder New York in den USA bis in das Elektronik-Mekka Shenzhen in China. Demnach beginnen viele dieser Geräte ihre Reise durch dreiste, teils brutale Diebstähle auf offener Straße, wie im Fall des Londoner Unternehmers Sam Amrani, dessen iPhone 15 Pro von Dieben auf E-Bikes entwendet wurde.
Dabei wähnte er sich gut gerüstet. Immerhin konnte er sein Gerät über Apples „Wo ist?“-Funktion verfolgen. Dessen Weg führte zunächst zu einer Reparaturwerkstatt in London, dann nach Hongkong und schließlich ins Huaqiangbei-Viertel von Shenzhen. Amrani hatte die Macht der internationalen Rechtsstaatlichkeit überschätzt.
Die schnelle Verlagerung von Ort zu Ort ist typisch für ein System, bei dem organisierte Banden in westlichen Großstädten hochwertige iPhones stehlen. Allein in London beziffert die Metropolitan Police den Schaden durch Smartphone-Diebstähle auf umgerechnet fast 60 Millionen Euro pro Jahr, wie die FT unter Berufung auf die Behörde berichtet.
Eine konkrete Polizeiaktion der Londoner Metropolitan Police im Februar 2025 unterstreicht das Ausmaß. Innerhalb von nur einer Woche wurden dabei über 1.000 Telefone beschlagnahmt und 230 Personen festgenommen. Ähnliche Trends werden auch aus Paris in Frankreich und New York in den USA gemeldet.
Hongkong: Drehscheibe des illegalen iPhone-Handels
Der internationale Schmuggelweg führt die gestohlenen iPhones zumeist über Hongkong als zentrales Drehkreuz. Innerhalb weniger Tage gelangen die Geräte per Fluggepäck, Kurier oder Fracht an Zwischenhändler:innen in der chinesischen Sonderverwaltungszone. Ein unscheinbares Industriehochhaus in Kwun Tong, mit der Adresse 1 Hung To Road, gilt dabei als berüchtigter Umschlagplatz. Hunderte Großhändler:innen für gebrauchte Smartphones sollen sich laut FT in diesem 31-stöckigen Gebäude tummeln.
Dort werden die aus aller Welt eingetroffenen iPhones sortiert und in Kartons mit Aufschriften wie „Has ID“ (Apple-ID vorhanden, also iCloud-gesperrt) oder „No ID“ (ohne Sperre) kategorisiert. Käufer:innen, darunter Händler:innen aus Festlandchina, Südostasien oder dem Nahen Osten, inspizieren die Ware und geben Gebote ab – oft über Messenger-Dienste wie WhatsApp oder WeChat, wo täglich Online-Auktionen stattfinden sollen.
Der Status Hongkongs als zollfreie Freihandelszone erleichtert dieses Gewerbe, da der Import von Gebrauchtgeräten kaum kontrolliert wird und keinen Einfuhrabgaben unterliegt. Von Hongkong aus gelangen die iPhones dann oft durch Kuriere im Reisegepäck oder über spezialisierte Schmuggelfirmen auf das chinesische Festland, um dortige Zölle auf Elektronik zu umgehen.
Huaqiangbei in Shenzhen: Endstation und Teileverwertung
Im Huaqiangbei-Distrikt von Shenzhen, gern als „Silicon Valley Asiens“ bezeichnet, endet für viele gestohlene iPhones die Reise. Ein Hochhauskomplex namens Feiyang Times Building ist in Tech-Foren bereits als das „Stolen iPhone Building“ bekannt. Wie die FT berichtet, reihen sich hier, besonders in der dritten und vierten Etage, hunderte Stände aneinander, an denen Händler:innen en gros mit Smartphones handeln – eine Aktivität, die vor allem am späten Nachmittag bis in die Nacht hinein pulsiert.
Das Besondere an Huaqiangbei sei, dass jedes Gerät und jede Komponente einen Wert habe. Selbst gesperrte iPhones, die als Ganzes kaum nutzbar sind, würden hier profitabel verkauft. Denn in dieser Region sei man darauf spezialisiert, für jedes Einzelteil – von Displays über Logicboards bis hin zu kleinsten Chips und sogar Kunststoffresten – Abnehmer:innen zu finden.
So kaufen Händler:innen im zweiten Stock des Feiyang-Gebäudes Berichten zufolge Ersatzteile direkt von den Ständen der oberen Etagen auf, insbesondere von Geräten, die nicht entsperrt werden können. Händler:innen vor Ort räumten gegenüber der FT ein, dass durchaus verlorene oder gestohlene Geräte „dabei sein könnten“, auch wenn man offenbar ungern offen über die Herkunft spricht.
Die geografische Lage dieser Verwertungsmaschinerie birgt eine besondere Ironie: Das Zentrum der Hehlerware befindet sich nur etwa 30 Autominuten von jenen Foxconn-Fabriken in Shenzhen entfernt, in denen ein Großteil dieser iPhones ursprünglich das Licht der Welt erblickt hatte.
Die Ökonomie hinter dem Diebesgut: Gesperrt, aber nicht wertlos
Apples Aktivierungssperre (iCloud-Lock) macht gestohlene iPhones für Fremde zunächst unbrauchbar. Dennoch sind auch iCloud-gesperrte iPhones fester Bestandteil des Handels. Wie Kevin Li, ein von der FT zitierter Händler, erklärt, liege der Ankaufpreis für solche „Has ID“-Geräte zwar bei nur etwa 30 Prozent des Werts eines funktionierenden, entsperrten iPhones. Dieser deutliche Abschlag mache das Geschäft für Zwischenhändler:innen aber dennoch attraktiv, weil die Summe der verkauften Komponenten immer noch einen kleinen Gewinn einbringe.
Neben dem Ausschlachten gibt es laut Berichten von Betroffenen auch Versuche, die iCloud-Sperre durch Kontaktaufnahme zu den rechtmäßigen Besitzer:innen zu umgehen. Viele Diebstahlopfer berichten von Nachrichten, oft aus Shenzhen, in denen sie unter Vorwänden oder Drohungen aufgefordert werden, ihr Gerät aus der Ferne zu entsperren und aus der „Wo ist?“-App zu entfernen. Der iPhone-Hersteller Apple rät natürlich dringend davon ab, auf solche Forderungen einzugehen.
Behördliche Reaktionen: Zwischen Wegschauen und Alibi-Aktionen
Die Reaktionen der Behörden auf diesen globalen Handel sind unterschiedlich. In Hongkong ist der Handel mit gebrauchten Smartphones zwar formal legal, aber die Polizei äußerte sich gegenüber der FT ausweichend zu konkreten Maßnahmen. In Shenzhen hingegen gab es Anfang 2022 eine großangelegte Razzia im Feiyang Times-Gebäude, wie chinesische Wirtschaftsmedien wie Jiemian und Sina Finance berichtet hatten. Diese Aktion richtete sich primär gegen illegale Importe unter dem Aspekt der Steuerhinterziehung und führte laut den Berichten dazu, dass zeitweise bis zu 50 Prozent der Stände schließen mussten.
Westliche Behörden konzentrieren sich meist auf die Bekämpfung der Diebstähle vor Ort. Die Metropolitan Police in London startete entsprechende Offensiven, und Bürgermeister Sadiq Khan hatte im Oktober 2024 Vertreter:innen von Apple und Google zu Gesprächen geladen, um über verbesserte Anti-Diebstahl-Sicherungen zu diskutieren.
Die dunkle Seite: Elektronikschrott und organisierte Kriminalität
Der Kreislauf gestohlener iPhones hat nicht nur finanzielle und rechtliche Dimensionen. Die massive Verwertung von Elektronik, insbesondere das Zerlegen in Einzelteile, wirft Fragen bezüglich des Umgangs mit Elektronikschrott auf.
Studien, wie eine umfassende Untersuchung von Forscher:innen der Yale University im US-Bundesstaat Connecticut, belegen die gravierenden Gesundheits- und Umweltfolgen durch unsachgemäßes Recycling von Elektroschrott, bei dem Arbeiter:innen und Anwohner:innen giftigen Substanzen ausgesetzt sind. Obwohl Huaqiangbei ein moderner Handelsplatz ist, ist die Frage, wo und unter welchen Bedingungen nicht mehr nutzbare Teile der ausgeschlachteten iPhones letztlich landen, brisant.
Der gesamte Handel wird durch digitale Kommunikationstools wie WeChat-Gruppen und WhatsApp-Auktionen befeuert. Auch Youtube und Tiktok werden laut Beobachtungen für indirekte Werbung genutzt, weil Händler:innen dort Videotouren durch die Märkte von Huaqiangbei zeigen, ohne die illegale Herkunft vieler Geräte zu thematisieren.
Schutzmaßnahmen: Was Nutzer:innen tun können
Angesichts dieser globalen Schattenwirtschaft ist der Schutz des eigenen Geräts umso wichtiger. Hier bei t3n haben wir bereits ausführlich darüber berichtet, wie sich Nutzer:innen wappnen können:
- Einrichtung eines starken Passcodes (nicht nur vierstellig).
- Aktivierung der „Wo ist?“-Funktion.
- Nutzung des „Schutz für gestohlene Geräte“-Features von Apple, das bei neueren iOS-Versionen zusätzliche Sicherheitsebenen einzieht, wenn sich das iPhone nicht an bekannten Orten wie Zuhause oder der Arbeit befindet.
- Im Diebstahlsfall: Das Gerät über „Wo ist?“ sperren und in den „Verloren“-Modus versetzen.
- Wichtig: Das iPhone unter keinen Umständen aus dem eigenen Apple-Account entfernen, auch wenn man von angeblichen Finder:innen dazu gedrängt wird, da dies die Aktivierungssperre aufhebt.
- Diebstahl bei der Polizei anzeigen und den Mobilfunkanbieter informieren, um die SIM-Karte zu sperren.
Auch wenn diese Maßnahmen einen Weiterverkauf als Ganzes erschweren, zeigt die Realität in Shenzhen, dass selbst gesperrte und daraufhin zerlegte iPhones noch einen Wert für die global agierenden Hehler:innen-Netzwerke haben. Der Kampf gegen diese Form der organisierten Kriminalität bleibt eine komplexe Herausforderung für Hersteller:innen, Strafverfolgungsbehörden und letztlich auch für die Verbraucher:innen.