Ghostery: Tracking-Blocker-Anbieter baut eigene Suchmaschine – ganz ohne Werbung
Ghostery will nicht mehr bloß Tracker blocken und VPN-Verbindungen aufbauen. Ghostery will in das Herz des Internet. Deshalb arbeitet das Unternehmen an einem eigenen Desktop-Browser und einer eigenen Suchmaschine. Beides soll werbefrei funktionieren.
Suchmaschinen-Ads sind das Gold des Internet – für die Betreiber
Das klingt zunächst kontraintuitiv. Suchmaschinen leben schließlich von Werbung. Google machte zuletzt einen Quartalsumsatz von 26 Milliarden US-Dollar allein im Geschäftsfeld der Suchmaschinenwerbung. Tatsächlich hat Google nur dieses eine profitable Geschäftsfeld. Alle anderen Unternehmensteile werden damit quersubventioniert.
Wenn nun einer ankündigt, auf Werbung in der Suchmaschine zu verzichten, dann stellt sich die Frage nach der Finanzierung einer so verwegenen Idee. Ghostery will dabei ganz klassisch vorgehen und sich die Leistung bezahlen lassen.
Ghostery hofft auf Kundenbasis
Das klingt erneut verwegen, wird aber plausibler, wenn wir bedenken, dass der Anbieter auch jetzt schon über eine breite Kundenbasis, teils auch zahlender Natur, verfügt. Immerhin über sieben Millionen Nutzer verwenden Ghostery-Produkte wie den Tracking-Blocker, das VPN-Produkt Midnight oder die Analyse-App Insights. Für iOS und Android gibt es bereits einen Mobilbrowser, der zumindest unter Android bereits mehr als eine Million Male installiert wurde.
Die Zahl zahlender Kunden liegt nach Unternehmensangaben im einstelligen Prozentbereich. Das klingt nach nicht viel, sind aber mindestens mal 70.000 zahlende Kunden, wenn wir einstellig tatsächlich als den Wert „Eins“ interpretieren.
Ghostery tritt gegen Übermacht an
Damit lässt sich was anstellen – je nachdem, welche Unternehmensgröße zu versorgen ist. Ghostery jedenfalls scheint die Basis zu reichen, um den Versuch zu starten, sich gegen den Riesen aus Mountain View im US-Bundesstaat Kalifornien zu stemmen.
Der indes dominiert den Suchmarkt mit 93 Prozent und den Browser-Markt mit 69 Prozent Anteil. Die auf den Folgeplätzen rankenden Browser Edge und Firefox liegen mit 7,5 Prozent Anteil nicht mal in der Nähe des Platzhirschs.
Ghostery ist aber nicht etwa ein Hazardeur, sondern geht mit Plan an das Projekt „Desktop-Browser und Suchmaschine“ heran. Es beginnt damit, dass das Unternehmen nicht wirklich einen Browser und eine Suchmaschine vom leeren Blatt weg neu entwickeln will.
Stattdessen will Ghostery seine vorhandene Technologie nehmen und sie eng mit bestehenden Produkten verknüpfen. So wird der Ghostery-Browser auf der Basis des Firefox laufen. Für die Suchfunktionen will Ghostery die Microsoft-Lösung Bing per deren Web-Search-API nutzen.
Alleinstellungsmerkmal: Keine Werbung
Das Alleinstellungsmerkmal zu Alternativen wie Duckduckgo oder auch den Brave-Browser soll sein, dass es bei Ghostery tatsächlich überhaupt keine Werbung, auch keine „akzeptable“ geben wird. Die Privatsphäre wird über die eigene Blocker-Lösung ebenso gewährleistet.
Dafür wird Ghostery ein Plus-Abo erfordern, dass mit monatlich fünf Dollar zu Buche schlagen soll. Mit anderen Worten, eine werbefreie, vollkommen Tracker-freie Such- und Browsererfahrung kostet 60 Dollar pro Jahr.
Da Ghostery offenbar davon ausgeht, dass sich nicht jedermann für ein Plus-Abo erwärmen können wird, soll es dann doch auch eine werbefinanzierte Ausgabe der Suchmaschine geben. Die ist dann halt ein weiteres Duckduckgo, was jedenfalls gegenüber Google insoweit ein Vorteil ist, dass Werbung nur kontext-, nicht nutzerbezogen ausgespielt wird.
Übrigens werden der Browser und die Suchmaschine auch unabhängig voneinander genutzt werden können. Die Ghostery-Suche wird im Ghostery-Browser nur eine Option von mehreren – darunter Google – sein. Die Suche hingegen will Ghostery in der Zukunft auch in anderen Browsern unterbringen.
Frühe Betaversion noch hakelig und wenig funktionsreich
Die Kollegen von Wired hatten bereits die Gelegenheit, eine frühe Beta von Browser und Suchmaschine zu testen. Sie empfanden die Kombination als „erfrischend flink“ und „minimalistisch“. Dabei überzeugte sie die Browser-Lösung indes mehr als die Such-Erfahrung.
Die beschreiben sie als zu unvollständig im Vergleich. Weder nach Bildern, noch nach Karten, noch nach Videos lässt sich derzeit sinnvoll kategorisiert suchen. Zudem erwies sich das Navigieren zwischen den Ergebnisseiten als hakelig. Das Unternehmen verspricht indes, zumindest die Mediensuche als eigene Kategorien bis zum Start der offiziellen Beta-Phase umgesetzt zu haben. Shopping-Ergebnisse sollen dann folgen.
Für die Zukunft planen die Entwickler ein paar ganz besondere Filter für ihre Suche. So könnten Nutzer etwa Ergebnisse ausblenden, die bestimmten Parametern nicht entsprechen. Einer dieser Parameter könnte etwa die Zahl der verwendeten Tracker sein. Ebenso könnte die Suche Seiten, die die Privatsphäre ihrer Besucher respektieren höher ranken. Da gibt es ganz viele Ideen.
Wer immer mal wieder Ghostery-Produkte testen will, die sich noch nicht in freier Wildbahn befinden, kann sich als sogenannter Ghosttester auf der Ghostery-Website registrieren.
Um das Missverständnis auszuräumen:
Werbung in entsprechenden Medien ist ja nicht per se schlecht oder prinzipiell ablehnenswert. Es geht vor allem darum, die über die Jahre praktizierte Schnüffelei bis in die tiefsten Eingeweide der Nutzer komplett und definitiv abzuregeln. Das ist zutiefst unmoralisch und außerhalb jeder Akzeptanz.
Klassische Werbeeinblendungen, wie in allen früheren gedruckten Medien, oder als TV-Werbung, entsprechen dagegen klaren Regeln der Werbeinformation: die Beziehungen zwischen Nutzer und Anbieter sind klar und übersichtlich nachvollziehbar und deshalb vertrauenswürdig.
Es ist einfach der überbordenden Naivität der Internetindustrie geschuldet, dass die ihren Kunden ein Geschäftsmodell auf Basis von automatisierten Werbeeinblendungen anbieten, das in der Endkonsequenz zu einer noch nicht mal im geringsten akzeptablen Ausforschung führt. Und das hat jetzt schön langsam aber sicher zu einer komplett negativen Grundhaltung bei den Nutzern geführt.
Die Abschaltung aller interaktiven Elemente in dieser Kundenbeziehung ist als der nächste große Schritt.
Komplett werbefreie Medien brauchen vor allem professionelle Nutzer, die derartige eingestreute Elemente wie Werbung und werbliches Material als zu hohe Ablenkung ansehen und das deshalb (auch bezahlt) ausgeblendet haben wollen. Für die ist dieses Angebot goldrichtig.