Habecks Steuervorschlag hinterfragt: Treffen Sozialabgaben auf Kapitalerträge die Richtigen?

Die finanzielle Situation in den gesetzlichen Krankenkassen ist bekanntermaßen angespannt. Nachdem die gesetzlichen Kassen über Jahre ihre finanziellen Reserven aufbrauchen mussten, wurden zum Jahresbeginn vielfach die Zusatzbeiträge erhöht. Jetzt hat der Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck einen Vorschlag gemacht, der für mehr Einnahmen der Krankenkassen sorgen soll. Er wolle in Zukunft die Beitragsgrundlage erhöhen und Sozialabgaben auch aus Kapitaleinkünften einführen, erklärte Habeck im Rahmen der Sendung „Bericht aus Berlin“ am Sonntag Abend.
Habeck kritisiert, dass Kapitalerträge, etwa aus Aktiendepots, gegenüber Arbeitslöhnen im Nachteil seien, da nur auf Letztere Sozialabgaben wie Krankenversicherung, Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung gezahlt werden müssten. „Deswegen schlagen wir vor, dass wir auch diese Einkommensquellen sozialversicherungspflichtig machen“, erklärte Habeck und betonte, die sei „ein Schritt zu mehr Solidarität innerhalb des Systems“.
Die Kritik an der Idee ließ nicht lange auf sich warten: So äußerte sich etwa CSU-Parteichef Markus Söder ablehnend: „Die Grünen wollen nicht nur höhere Steuern. Jetzt wollen sie auch noch ans Sparguthaben der Menschen und ihre Erträge ran. Auf schon einmal versteuertes Geld dürfen keine zusätzlichen Beiträge und Steuern erhoben werden.“ Auch
In der Tat hat sich der Vorschlag verselbständigt, ohne dass Habeck die genauen Spielregeln, also Freibeträge zu der Idee benannt hat. All das führt derzeit zu kontroversen Diskussionen in den sozialen Medien. Immer mehr wird klar, das die auf den ersten Blick nachvollziehbare Idee in dieser Form nicht weit genug geht und unter Umständen sogar kontraproduktiv ist.
Kapitalerträge werden zu Sonderkonditionen versteuert
Kapitalerträge werden bislang (oberhalb eines Freibetrags von 1.000 Euro im Jahr für Ledige und 2.000 Euro für gemeinsam veranlagte Paare) zwar mit 25 Prozent Abgeltungssteuer zuzüglich Solidarzuschlag versteuert, nicht aber mit Sozialabgaben belastet. In der Tat stellt sich die Frage, ob der Vorschlag in dieser Form Sinn ergibt. Habeck argumentiert, es könne „doch nicht sein, dass eine alleinerziehende Mutter in Teilzeit mehr für die gesetzliche Krankenversicherung aufbringt als jemand, der mit Aktien Millionen verdient. Diese Schieflage müssen wir korrigieren.“
Doch trifft der Spitzenkandidat der Grünen damit wirklich jene Wohlhabenden und Superreichen, die er adressieren will? Kontinuierlich wurde in den letzten Jahren die Beitragsbemessungsgrenze, bis zu deren Erreichung Sozialbeiträge zu entrichten sind, erhöht. Im Fall der Rentenversicherung orientieren sie sich am durchschnittlichen Einkommen in Deutschland, das (auch inflationsbedingt) in den letzten Jahren gestiegen ist. Hier liegt die Beitragsbemessungsgrenze beim doppelten Betrag – jenen zwei Rentenpunkten, die Versicherte maximal im Jahr erzielen können.
Bei der Krankenkasse liegt die Beitragsbemessungsgrenze, aus der sich der Maximalbetrag errechnet, niedriger. Im Jahr 2025 sind es 66.150 Euro im Jahr (Tendenz auch hier steigend). Somit fallen aber oberhalb eines monatlichen Einkommens von 5.513 Euro auch keine Krankenkassen- und Pflegeversicherungsbeiträge mehr an, was somit gerade in Bezug auf die Kranken- und Pflegeversicherung in vielen Fällen keine Mehreinnahmen bringen würde. Anders gesagt: Die wirklichen Gutverdiener:innen, die Habeck hier adressieren will, sind – bestenfalls auf Kosten der Mittelschicht – aus dem Thema raus.
Viele Reiche bleiben bei der GKV außen vor
Für viele Selbstständige schließlich, sofern sie nicht in der Künstlersozialkasse pflichtversichert sind, wird ohnehin bereits der Krankenkassenbeitrag auch auf Basis jener Kapitaleinkünfte mit eingerechnet, sofern diese überhaupt in die gesetzliche Kasse einzahlen. Denn das ist ein anderer Punkt: Gerade viele Wohlhabende sind nicht in der GKV, sondern in einer privaten Krankenkasse (PKV) versichert. Folglich kämen auch hier keine Beiträge hinzu – zumindest, wenn man das Konzept der Krankenkassen nicht komplett verändert.
Hinzu kommt ein immenser bürokratischer Aufwand, da der tatsächliche Krankenkassenbeitrag ja erst nachträglich errechnet werden kann,, nachdem sämtliche Kapitaleinkünfte des abgelaufenen Jahres durch die Bank oder Finanzplattform bescheinigt worden sind – ähnlich wie dies bei oben genannten Nicht-KSK-Selbstständigen heute schon stattfindet. Am Ende blieben also vor allem neue Bürokratielasten für Steuerzahler:innen und Finanzämter.
In Hinblick auf die von Habeck eingeforderte „Solidarität am System“ kommt aber noch ein weiterer Faktor hinzu: Schon heute zahlen bei Weitem nicht alle gesellschaftlichen Gruppen in die Sozialversicherung ein. Sowohl Beamte, Richter und Politiker als auch viele Selbstständige sind hiervon ausgenommen, ferner die geringfügig Beschäftigten. Doch hier anzusetzen würde eine deutlich größere Veränderung nach sich ziehen. Auch stellt sich die Frage, ob an der Zwei-Klassen-Versicherung im Krankenversicherungswesen, also der Koexistenz von GKV und PKV festzuhalten wäre, wenn es um ernst gemeinte Solidarität geht.
Inzwischen rudert Grünen-Parteichef Felix Banaszak zurück und erklärt, es werde für einen solchen Vorschlag „großzügige Freibeträge“ geben, sodass sich „für normale Sparer gar nichts ändern“ werde. Das ändert zwar an der Frage der Betroffenheit für einige Verbraucher:innen etwas, nicht aber an den grundlegenden Erwägungen. Doch wen adressiert der Grünen-Vorschlag dann und wie viel Mehreinnahmen kann er nach Abzug des erhöhten bürokratischen Aufwands überhaupt bringen? Das ist offenbar, da man ja noch nicht einmal die hierfür nötigen Prämissen und Spielregeln kennt, eine offene Frage.
Die Rente ist sicher, die Rentenlücke ist auszugleichen
Klar ist aber, dass seit Jahren Politiker:innen aller Parteien aus guten Gründen den Verbraucher:innen die private Vorsorge ans Herz legen. Betont wird zwar, die Rente sei weiterhin sicher, aber unstrittig ist auch, dass deren Höhe in nahezu allen Fällen nicht ausreichend sein wird, um den gewohnten Lebensstandard aufrecht zu erhalten.
Gerade unter den Jüngeren hat sich daher die vergleichsweise einfache private Vorsorge mit Aktien, Aktienfonds und ETF-Sparplänen, aber auch mit Tages- und Festgeldern durchgesetzt. Hier können je nach Marktlage in manchen Jahren auch beim einfachen ETF auf den MSCI World gute Renditen rausspringen. Will der Staat dann bei lanfristiger Altersvorsorge auf diese Gewinne wirklich Sozialabgaben erheben (und was passiert in Jahren, in denen die Märkte nach unten ziehen und Verluste produzieren)? Hinzu kommt: Für (komplexere und oft weniger rentable) Versicherungen in der Altersvorsorge sowie für Investitionen ins Eigenheim würden die zusätzlichen Sozialbeiträge nicht anfallen.
Ein solidarisches System erfordert mehr Veränderungen
Wahlkampftechnisch findet Robert Habecks Idee daher vor allem bei Nicht-Sparer:innen Zuspruch, während mittlere Einkommensgruppen und Gutverdienende, die zum Ausgleich der bestehenden Rentenlücke mit den populären Geldanlageprodukten wie ETFs vorsorgen, sich unsicher sind, wie großzügig jene Freibeträge tatsächlich ausfallen werden.
Es wäre daher im Hinblick auf die Kommunikation glücklicher gewesen, einen solchen Vorschlag erst komplett auszuarbeiten, bevor man ihn in die Öffentlichkeit trägt. Zudem wäre im Interesse eines solidarischen Systems im Hinblick auf die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung vernünftiger, über größere Veränderungen und Einzahlungspflichten in Form der Überarbeitung des Zwei-K(l)assen-Systems zu sprechen.