So hilft E-Health unserem Gesundheitssystem auf die Sprünge
Es ist kurz nach halb sechs Uhr morgens, wenn sich Hanna, deren echter Name uns bekannt ist, auf den Weg zum Frühdienst macht. Sie läuft zu Fuß. Ein Bus fährt um diese Uhrzeit noch nicht. Doch das stört sie nicht, sagt sie. Sie genießt die gute halbe Stunde an der frischen Luft sogar, denn so hat sie Zeit, ihre Gedanken noch einmal in Ruhe zu ordnen, bevor es dann auf Station so richtig los geht.
Arbeiten am Limit
Hanna ist Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin. Nach ihrem Abitur absolvierte sie die dreijährige Ausbildung an einem mitteldeutschen Universitätsklinikum und kümmert sich seitdem um die kleinen Patienten – inzwischen sogar auf der Kinder-Intensivstation. Schwer kranke Kinder und Frühgeborene sieht sie hier jeden Tag. Da liegen Freud und Leid oft nah beieinander. „Auf Station sind wir natürlich in erster Linie für die medizinische Versorgung unserer Patienten zuständig“, erzählt die 27-Jährige. „Doch wenn es um die eigene Gesundheit oder die des Kindes geht, ist die Verunsicherung häufig groß und es kommen viele Fragen auf. Im Gespräch mit dem Arzt bleibt dafür leider selten genug Zeit. Und so sind wir häufig Krankenschwester, Dolmetscher und Therapeut in einem.“ Doch auch Hanna und ihre Kollegen können sich an den meisten Tagen nicht in dem Maße um die Probleme und Ängste ihrer Patienten kümmern, wie sie es gerne würden.
Das Problem: Der Fachkräftemangel ist auch in ihrem Universitätsklinikum jeden Tag zu spüren. Allein auf der Station, auf der Hanna arbeitet, sind mehr als zehn Stellen unbesetzt – und das nicht erst seit gestern, sondern bereits seit mehreren Jahren. Die Aussage Spahns, dass schon viel gewonnen sei, wenn von einer Million Pflegekräfte nur 100.000 ein paar Stunden mehr arbeiten würden, traf unter Hanna und ihren Kollegen auf völliges Unverständnis. „Wegen der vielen fehlenden Kräfte gehört es für uns zur Normalität, Überstunden zu machen, auch im Urlaub einzuspringen oder im Dienst keine Pause zu machen“, stellt sie klar. „Wir arbeiten jeden Tag am Limit.“ Und es wird noch schlimmer: Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft in Köln wird der Bedarf an ambulanten und stationären Pflegekräften bis 2035 auf knapp 500.000 ansteigen. Schätzungen zufolge wird jedoch nur ein gutes Drittel davon auch wirklich besetzt sein, woraus sich eine Versorgungslücke von etwa 300.000 Stellen ergibt – schlechte Aussichten für die Babyboomer, die ihrer Rente und einer etwaigen Pflegebedürftigkeit entsprechend besorgt entgegenblicken dürften.
Dem Fachkräftemangel digital begegnen
Diese Diskrepanz haben inzwischen auch viele Unternehmen und Startups erkannt und sich deshalb auf das Entwickeln verschiedener E-Health-Lösungen spezialisiert, deren Ziel es ist, Patienten eine zusätzliche medizinische Unterstützung zu bieten. Eines davon ist Interactive Studios. 2014 brachte es die Patient-Journey-App auf den Markt, die inzwischen in 20 Ländern verfügbar ist. „Wir haben in der Praxis selbst miterlebt, dass viele Patienten vor ihrem Eingriff oder ihrer Behandlung nicht ausreichend informiert sind. Als Hauptgrund dafür wird oft die unübersichtliche Informationsflut genannt“, erklärt Jennifer Grube, die als Product-Lead DACH bei dem niederländischen Unternehmen tätig ist.
Das Befragen von Google ist auch bei medizinischen Fragestellungen längst gang und gäbe. Laut dem Statistischen Bundesamt suchen über zwei Drittel der deutschen Bevölkerung ab zehn Jahren zunächst im Internet nach Antworten auf ihre Beschwerden, bevor sie sich in ärztliche Betreuung begeben. Eine Untersuchung des Zentrums für Allgemeinmedizin und Geriatrie der Uni Mainz ergab aber auch, dass bei rund 45 Prozent der Befragten eine zusätzliche Verwirrung durch die Netzrecherche entstand. 65 Prozent der Deutschen gaben im Rahmen einer Umfrage der Bertelsmann Stiftung außerdem an, dass es bei medizinischen Fragen schwer ist, vertrauenswürdige Quellen im Internet zu erkennen.
Digitale Tools wie die Patient-Journey-App haben es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, alle wichtigen medizinischen Informationen zu bündeln und den Patienten aus einer fachkundigen Quelle zur Verfügung zu stellen. „Fast jeder besitzt heutzutage ein Smartphone, über das man immer und überall Informationen abrufen kann – selbst die ältere Generation hält da mit“, erläutert Jennifer Grube die Vorteile der Patient-Journey-App im Gespräch. „Bei Unsicherheiten oder Rückfragen können Patienten Inhalte praktisch von überall nachlesen, anstatt in der Praxis oder im Krankenhaus anzurufen.“
Das Gute: Man muss nicht selbst betroffen sein, um diesen Service nutzen zu können. Auch die Eltern kranker Kinder wie bei Hanna auf der Intensivstation könnten die Patient-Journey-App verwenden, um über alle wichtigen Informationen bezüglich der Behandlung und des Krankenhausaufenthalts immer im Blick zu behalten. Auch sie können die App einfach auf ihr Smartphone laden, das relevante Fachgebiet und die geplante Behandlung auswählen und somit über die einzelnen Schritte aufgeklärt werden. Außerdem liefert die App Anweisungen, beispielsweise für physiotherapeutische Übungen und die Einnahme von Medikamenten, sowie alle Informationen zu Öffnungs- und Besuchszeiten und die Kontaktdetails der jeweiligen Einrichtung.
„Damit erlaubt die Patient-Journey-App nicht nur den Patienten eine bessere Versorgung mit medizinischen Informationen. Auch für das Krankenhauspersonal und die Ärzte ist so ein effizienteres Zeitmanagement möglich“, sagt Jennifer Grube. Anstatt in Zukunft Hanna oder einen ihrer Kollegen bezüglich der Tabletteneinnahme, der Öffnungszeiten oder der Bedeutung bestimmter Diagnosen um Hilfe zu fragen, könnten also erstmal E-Health-Angebote wie das aus Amsterdam den Patienten weiterhelfen und somit Ressourcen einsparen, an denen es in unseren Krankenhäusern ohnehin schon fehlt.
Digital ist eben nicht menschlich
In der Klinik, in der Hanna arbeitet, sind E-Health-Lösungen wie die Patient-Journey-App noch nicht angekommen – und sie sieht solche Tools auch eher kritisch. „Ich finde nicht, dass man die Arbeit der Ärzte und des Krankenhauspersonals dem Smartphone überlassen sollte. Das kann nicht die Lösung des Problems sein, denn Informationen können so sicher gut übermittelt werden, das Zwischenmenschliche bleibt aber auf der Strecke.“
Trotzdem können solche Apps ein zusätzliches Angebot darstellen, wenn die Nutzer sie als genau das wahrnehmen. „Solange die Politik in Sachen Pflegenotstand für keine dauerhafte Besserung sorgt und wir im stressigen Arbeitsalltag schlichtweg nicht genug Zeit haben, um auf jede noch so kleine Frage unserer Patienten einzugehen, können Apps als medizinische Unterstützung nicht schaden – vorausgesetzt die Patienten bleiben im Umgang damit kritisch und sehen sie nicht als Ersatz.“
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„Die Aussage Spahns, dass schon viel gewonnen sei, wenn von einer Million Pflegekräfte nur 100.000 ein paar Stunden mehr arbeiten würden, traf unter Hanna und ihren Kollegen auf völliges Unverständnis.“
Vielleicht sollte man Hanna und ihre Kolleginnen fragen warum ein Drittel aller Pflegekräfte die seit dem Jahr 2000 das Examen abgelegt haben in andere Branchen oder das Ausland abgewandert sind und über 40 Prozent der derzeit beschäftigten Pflegekräfte in Teilzeit arbeiten. Letztere hat Spahn nämlich gemeint.