Radikale Kehrtwende: Wie Ikea zur digitalen Aufholjagd bläst

Wie schlecht es um die Digitalisierung bei Ikea bestellt ist, können Kunden des Möbelriesen bis heute im Onlineshop sehen. „Gefühlt bewegt sich der Shop auf dem technischen Niveau der 90er-Jahre“, sagt Alexander Graf. Für den Betreiber des Branchenblogs Kassenzone.de sind die Ikea-Produkte nicht nach modernen Webstandards bestellbar. Die meisten Artikel seien entweder gar nicht verfügbar oder nur über Umwege zu finden. Eine mobile Ansicht für Smartphones? Fehlanzeige.
„Ikea bestraft den Kunden, wenn er online einkauft“
Und dann wäre da noch die Versandkostenpolitik: Statt einer Gratislieferung gibt es warenwertabhängige Gebühren, die sich selbst bei großen Bestellungen schnell zu den Kosten eines Kleiderschranks aufsummieren. Wer zum Beispiel ein Dreisitzer-Sofa für 479 Euro bestellen will, zahlt für die Lieferung 69 Euro. Kunden, die sich lieber für das Stockholm-Sofa entscheiden und Ikea damit dreimal soviel Umsatz in die Kasse spülen, bekommen für den Versand 149 Euro aufgebrummt. Selbstabholung? Kostet ebenfalls extra. Laut Alexander Graf eine nicht unbeabsichtigte Praxis. „Ikea bestraft den Kunden, wenn er online einkauft“, fasst der E-Commerce-Experte zusammen.
Die Erklärung für diese fragwürdige Strategie: Ikea will Kunden in die Ladengeschäfte treiben. So sieht es die Idee von Firmengründer Ingvar Kamprad vor. Seiner Philosophie nach geht es beim Besuch einer Filiale nicht hauptsächlich um den Kauf einer Schrankwand oder eines Bettes, sondern vor allem darum, auf dem Weg durch die Gänge eine große blaue Plastiktüte mit Ramschartikeln wie Teelichtern, Besteck oder Gläsern zu füllen. Am Ende verspeisen die Kunden noch eine Portion Köttbullar oder nehmen einen günstigen Hotdog für den Nachhauseweg mit.
Ikea auf dem Weg zur Tech-Firma
Das Ladenkonzept hat Kamprad zu einem der reichsten Menschen des Planeten gemacht, doch seinen Konzern zur digitalen Randerscheinung. Nur 1,4 Milliarden Euro – und damit nur vier Prozent seines weltweiten Gesamtumsatzes von 34,2 Milliarden Euro – erwirtschaftete Ikea 2016 über das Internet. Im deutschen Onlinehandel sieht es kaum besser aus: Allein das Versandhaus Otto hat im vergangenen Jahr Möbel und Haushaltswaren für rund 689 Millionen Euro verschickt – fast viermal so viel wie Ikea.
Doch was viele nicht wissen: Im Hintergrund arbeiten die Schweden längst an einer radikalen Kehrtwende. Geplant ist nicht weniger als der größte Konzernumbau seit 30 Jahren. Erst vor wenigen Wochen wurde eine bisher nie dagewesene E-Commerce-Offensive angekündigt. Schon bald will Ikea seine Produkte auf Plattformen wie Amazon oder Alibaba verkaufen. Und dabei soll es nicht bleiben: „In unserer Strategie ist auch klar festgehalten, dass wir mit neuen digitalen Möglichkeiten experimentieren und diese für das Unternehmen nutzbar machen wollen“, sagt Christian Möhring, Web- und Digitalmanager bei Ikea Deutschland, in der neuen Ausgabe des t3n Magazins.

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Shoppen mit VR-Brille, Startup-Inkubator in Älmhult, Köttbullar aus dem 3D-Drucker
Auf insgesamt fünf Seiten beleuchtet t3n den langsamen, aber sicheren Weg Ikeas zum Technologie-Konzern. So arbeiten die Möbelbauer nicht nur am Einstieg in den Milliardenmarkt für das Internet der Dinge, sondern wollen ihre Ladengeschäfte in Zukunft auch virtuell begehbar machen. In der Filiale in Berlin-Lichtenberg beispielsweise können Besucher mit Hilfe von VR-Brillen ein virtuelles Wohnzimmer betreten, das nach den eigenen Vorstellungen umgestaltet werden kann.
Langfristig will Ikea die Technologie unter Zuhilfenahme von Apples ARKit in die heimischen vier Wände der Kunden bringen. Müssen wir samstags bald gar nicht mehr zu Ikea?

In seiner Filiale in Berlin-Lichtenberg testet Ikea bereits die Einrichtung eines Wohnzimmers per VR-Brille. Insgesamt drei Stationen gibt es in der Filiale. (Foto: Ikea)
Darüber hinaus setzen die Schweden nach dem Vorbild von Google oder Microsoft auf das Know-how junger Gründer. Erst im September wurde am Stammsitz in der schwedischen Provinz Älmhult ein eigener Startup-Inkubator eröffnet. Zwischen turmhohen Bücherregalen, frischen Köttbullar und bunten Sitzsäcken sollen Gründer im „Ikea Bootcamp“ an Geschäftsideen arbeiten, die das Einkaufserlebnis des Möbelkonzerns irgendwann einmal prägen könnten. Konkret denkt Ikea an Technologien wie 3D-Druck, Chatbots, Lieferdrohnen und das Internet der Dinge. t3n hat mit einigen Gründern aus dem Programm über ihre Ideen gesprochen.
Wie die konzerneigenen Visionen aussehen, versucht Ikea dagegen in Kopenhagen zu ergründen. In einem ehemaligen Fischereigebäude im Szeneviertel Vesterbro unterhalten die Schweden seit 2015 das Space10 Research Lab. In dem Bau beschäftigen sich Designer, Ingenieure und Entwickler mit der Frage, wie die Wohnformen der Zukunft aussehen und welche Auswirkungen etwa der Klimawandel, die Urbanisierung oder der schnelle technologische Fortschritt darauf haben.

Hinter dem Space10 Research Lab in Kopenhagen steckt niemand geringeres als Ikea. (Foto: Space10)
So treibt Ikea beispielsweise das wachsende Problem der globalen Nahrungsmittelknappheit um. „Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass der Bedarf an Lebensmitteln in den nächsten 35 Jahren um 70 Prozent steigt. Das erfordert smartere und effizientere Lösungen“, sagt Simon Caspersen, bei Space10 verantwortlich für die Pressearbeit, im Gespräch mit dem t3n Magazin.
Welche Technologien das konkret sind und was sich Ikea von 3D-Druckern erhofft, das erklären wir ausführlich in der t3n 50. Außerdem im Heft: Ikeas Pläne für sein Sortiment im Bereich Smart Home, was es mit künstlichen Intelligenzen in Möbeln auf sich hat und was Branchenexperten von der Digitaloffensive des Konzerns halten. Zur ganzen Geschichte und zum Heft geht es hier.
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