Journalismus im Online-Marketing: Das Gegenteil von Keyword Stuffing

Als frisch ausgebildeter Journalist bezeichnete ich mich für viele Jahre als Optimist, machte aber gute Miene zum bösen Spiel. Frisch verliebt in die Prinzipien hochwertiger Texte, Geschichten und sorgfältiger journalistischer Arbeit kam ich mit einem offensichtlichen Gegenstück guter Inhalte in Berührung: SEO-Text.
Angereichert mit einer bestimmten (durch Branchenkenner definierten) Anzahl von Wiederholungen geldwerter Suchbegriffe sollte ich als frisch gebackener Freelancer nun für Jahre suchmaschinenoptimierte Texte ins Netz stellen. „Die Begriffe am besten so einbauen, dass es keinem auffällt:“ „Ein guter Online-Redakteur schafft es, einen hervorragenden Text zu schreiben, in dem das Keyword in jedem Absatz systematisch mehrfach vorkommt“. „Der Text ist relevant, wenn Google den Suchbegriff häufiger findet, als auf der Seite eines Mitbewerbers“. Langsam warf ich das, was ich gelernt hatte, über Bord. Vorbei schien es zu sein mit meiner Begeisterung für Verständlichkeit, für ansprechende Texte und das Vermeiden hässlicher Wiederholungen.
Die schräge Kunst der Keyword-Dichte
Das lief eine Zeit lang ganz gut. Der Kunde war zufrieden, wenn der Text optimiert war. Das galt für den Kunsttherapeuten gleichermaßen wie für die deutsch-amerikanische Anwaltskanzlei. Schwierig wurde es nur, wenn die Keyword-Kombination so in der eigentlichen Sprache gar nicht vorkam. Man denke an „Kreditkarte Vergleich“, „Anwalt München“ oder „Handy kaufen ohne Vertrag“. Dann war man ein umso besserer SEO-Texter, wenn man es trotzdem schaffte, das Keyword irgendwie in den 350-Wort-Container hinein zu stopfen. Zum Beispiel, mit einem Punkt dazwischen! „Sie benötigen einen Anwalt. München ist eine wachsende Stadt, in der das Baurecht täglich eine Rolle spielt“. Und Schlimmeres.
„Was denken sich da eigentlich die Leser…“
…fragte ich mich in dieser Zeit der Worthülsen und Keyword-Wüsten. Keiner hatte mich gefragt, ob das dann auch gut ankommen würde, was wir, Auftraggeber und ich, da gemeinsam produzierten. Deswegen hatte ich mir meistens meine Meinung gespart. Natürlich wusste ich, dass diese Art von Inhalten nur bei denen ankommen würde, die sie kauften und nur von den Kunden und Lesern toleriert wurde, die sie schlichtweg nicht lasen. Während ich heute von meiner Vergangenheit als SEO-Texter spreche – auf die ich nicht stolz bin – tobt der Wahnsinn der Keyword optimierten Texte nach wie vor. Bei Auftraggebern, in Textbörsen und bei eben den „Branchenkennern“, die mich auf meinem Weg, weg vom hauptberuflichen Journalismus, begleitet haben. Während ich damals meiner Lust auf den guten Stil in eigenen Projekten und so manchem gedruckten Magazin mehr oder weniger ehrenamtlich nachging, ist die Situation heute eine andere.
Vielseitiger Inhalt wird wieder wichtig
Google mag keine Seiten, die der Nutzer panisch verlässt, kaum nachdem er sie betreten hat. „Keyword Spam“ wird immer häufiger öffentlich als Unart deklassiert, während er früher noch ein heimlicher Online-Marketing-Fetisch war. Text muss heute den User auf der Seite halten, ihn durch die Seite leiten und Links von anderen Seiten magnetisch anziehen – diese Einsicht ist gut, für die Branchenkenner einerseits, für den Journalismus aber vor allem! Jeder liest gerne einen guten Text. Wir wissen aber auch, dass reiner Text auch online nicht alles ist, er muss heute an gewissen Stellen eine Call to Action haben, sollte mit ansprechenden Bildern und Bildunterschriften aufgelockert werden, sollte in mundgerechten Happen serviert und mit Zwischenüberschriften anregend gegliedert werden. Ganz, wie wir es auf der Medienschule gelernt haben.
Fülltext contra recherchierte Beiträge
Sprechen wir von Journalismus im Online-Marketing, geht es natürlich selten um die investigative Arbeit, die Wahrheit ohne Kompromisse aufspürt, den Großen, Mächtigen auf die Finger schaut und treuhänderischer Informationsträger für die Allgemeinheit ist. Aber wir sprechen vom zielsicheren Werkzeug der Schreiber, die ihre Leser mit Qualität und Inhalt verwöhnen wollen. Fülltext, wie man ihn oft auf Seiten findet, gehört nicht zu dieser Art von Inhalten. Er ist ein Überrest der Zeit, in dem es Betreibern nur darum ging, die eigenen Angebote für einen Bruchteil von Minuten beim User anzupreisen, ohne Rücksicht auf dessen Bedürfnisse. Weil man sich in Zeiten von Googles Qualitätssicherung, möglichst niedriger Absprungraten, hoher Verweildauer und einer gerne sehr positiven User Experience keine Enttäuschungen bei Besuchern mehr erlauben kann, gilt es auch, den Fülltext durch Inhalte zu ersetzen, die es verdient haben, gelesen zu werden.
Betreiber riesiger Portale, Shops und kleine Unternehmen fragen sich jetzt: „Sind unsere Inhalte gut?“ „Was kann man da besser machen?“ „Was macht unsere Redaktion falsch?“ „Sagen wir alles Wichtige mit unseren Inhalten?“ Das ist gut, denn ist der Text vielleicht nach wie vor für viele nur ein notwendiges Übel, dass Ressourcen bindet und nicht „die Kernkompetenz des Unternehmens ist“, so suchen die Kunden und Besucher doch vor allem nach Informationen, denen sie Glauben schenken können. Die sie unterhalten. Die sie zum Wiederkommen motivieren.
Den Weg des Verlags gehen
Was die großen Nachrichtenmagazine und beliebten Blogs vorgemacht haben, machen sich jetzt immer mehr Unternehmen zu nutze; das beste Online-Marketing kann und muss einen gehörigen Anteil Journalismus inne haben. Der Journalismus darf sich aber auch nicht nur auf den Text beschränken. Es gilt, Informationen verständlich darzustellen und Mehrwert zu bieten. Mit nützlichen Tools, mit Infografiken, Tabellen, Bildern, Videos, Podcasts und den richtigen, sorgfältig ausgewählten weiterführenden Links. So kann auch Meinungsführerschaft erreicht werden, ein Status, den sich heute immer mehr Unternehmen vor allem im Netz wünschen. Zurecht, denn wer glaubwürdig ist, kann den Markt zum Teil für sich bestimmen. Zuspruch, Vertrauen und Interesse der Online-Öffentlichkeit kurbeln nicht nur den Umsatz an, sondern nehmen den Werbern auch viel Arbeit ab im Aufbau von Marken und Namen. Dabei sollten Unternehmen auf dem Weg zum Meinungsführer wichtige Prinzipien des Journalismus verinnerlichen: Verständlich kommunizieren, Nutzen und Orientierung bieten, auf den Punkt kommen, neue Themen finden, Interesse wecken, Geschichten erzählen, gut gliedern und Raum für die eigene Meinung lassen. Um Vertrauen zu wecken, selber Thema zu sein, verlinkt zu werden, Kunden zu gewinnen, lustig zu sein, in Erinnerung zu bleiben.
Wer braucht den Journalismus im Online-Marketing?
Unternehmen können die Effekte guter Inhalte für sich gewinnbringend nutzen, und das mehr als je zu vor, in Zeiten sozialer Netzwerke, Google News und einer monströsen Blogosphäre. Das klappt aber nur, wenn sowohl Qualität als auch Quantität stimmen und kontinuierlich neue Leser gewonnen werden. Das Internet bietet auch Raum, um neue Formate und Ideen umzusetzen und den Journalismus im Internet mit zu prägen.
User suchen online nach Informationen. Ein Monopol auf Meinungsbildung gibt es im Internet noch nicht. Anders als in der klassischen Medienlandschaft – in der Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen das erste und letzte Wort haben – können Unternehmen im Internet mit gezielter Information und Inhalten in journalistischer Qualität ihre Nische für sich besetzen.
Über den Autor
Gidon Wagner ist Online-Journalist und Geschäftsführer der WORTLIGA GmbH. Das Redaktionsbüro betreut Unternehmen redaktionell und strategisch mit Fachbeiträgen, Öffentlichkeitsarbeit sowie der Pflege von Blogs und Online-Magazinen.