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Feature MIT Technology Review

Kaffee ohne Bohnen: Weshalb Dattelkerne und Backpulver eine klimafreundliche Alternative sind

Forscher:innen und Unternehmen arbeiten an Alternativen zum klassischen Kaffee aus Bohnen. Sie wollen eine Lücke schließen zwischen steigendem Konsum und schwindenden Anbaugebieten durch den Klimawandel.

Von Andrea Hoferichter
6 Min.
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Man sieht es dem Pulver nicht an, aber die Basis der Kaffeebohnen-freien Alternative vom US-Startup Atomo sind geschrotet Dattelkerne. (Atomo).

Der Klimawandel und ein steigender Kaffeekonsum könnten dazu führen, dass ein heiß geliebtes Getränk der Deutschen in Zukunft knapp wird. Durchschnittlich vier Tassen Kaffee pro Tag werden hierzulande getrunken, berichtete im letzten Jahr der Deutsche Kaffeeverband. Der Trend in Deutschland und weltweit: stark steigend. Unternehmen und Forschungsgruppen arbeiten daher schon länger an alternativen Produkten, zum Beispiel Atomo aus Seattle. Seit kurzem röstet das Startup einen neuartigen Espresso im großen Stil für den Verkauf in amerikanischen Supermärkten. Dafür hat das Unternehmen die Kaffeebohne quasi neu erfunden und aus anderen pflanzlichen Zutaten nachgebaut.

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Die Form der Bohnenalternative liefern geschrotete Dattelkerne. „Die Dattelkerne fallen als Nebenprodukt auf einer kalifornischen Farm in Cocchella Valley an, mit der wir zusammenarbeiten“, sagt Ed Hoehn, Chief Operating Officer (COO) des Unternehmens. Die Kerne werden gereinigt, getrocknet und gemahlen, bis sie in etwa die Größe von Kaffeebohnen haben, und anschließend in einem Gemisch getränkt, das das Team aus weiteren pflanzlichen Zutaten komponiert hat. „Wir nutzen zum Beispiel Sonnenblumenkerne, die wie grüne Kaffeebohnen viel Chlorogensäure enthalten“, erzählt der Unternehmer. Auch Hirse, Zitrone, Guave, entfettete Bockshornkleesamen und Samen des Brotnussbaums steckten im Produkt, außerdem Fruchtzucker und – für die Crema – ein bisschen Backpulver.

Koffein aus Teeabfällen

Die Mischung enthält laut Hoehn rund 25 kaffeetypische Vorläufersubstanzen, die nach dem Rösten das Kaffeearoma ausmachen. Auch das mengenmäßige Verhältnis stimme, so der COO. Das espressogleiche Geschmackserlebnis sei dabei nicht nur der Komposition zu verdanken, sondern auch der inneren Struktur der Dattelkerne, die jener von grünen Kaffeebohnen ähnele. Das Produkt könne daher mit üblichen Verfahren geröstet werden. Verkauft wird es als gemahlenes Pulver, das laut Unternehmen wie ein Espresso in einer Siebträgermaschine zubereitet werden kann.

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Die Grundversion des Produkts sei koffeinfrei, sagt Hoehn. „Für unsere koffeinhaltige Version nutzen wir Koffein aus grünem Tee, das beim Entkoffeinieren des Tees anfällt. Das wird einfach zugegeben, sodass der Gehalt wie bei gewöhnlichem Kaffee ist. Allerdings wirkt das Koffein aus Tee nicht ganz so harsch. Dafür lässt die Wirkung nicht so schnell wieder nach.“

Das Atomo-Produkt entstand ursprünglich unter der Leitung von Chahan Yeretzian am Coffee Excellence Center der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften als ein trinkfertig aufgebrühter Flüssigkaffee in der Dose. Atomo hat diese erste Version anschließend weiterentwickelt. „Und diese ,Neuauflage‘ scheint sich auszuzahlen“, sagt Yeretzian. Im Rahmen einer Messe in Chicago habe er mehrere Versionen probiert. „Der Espresso hat ein für Kaffee typisches Röstaroma sowie Textur und eine erstaunlich schöne Crema. Sie kann als Espresso getrunken werden, eignet sich aber hauptsächlich als Grundlage für Milchgetränke.“

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Der Forscher bestätigt, dass die Struktur der Kaffeebohnen – oder entsprechender Alternativen – für den Erfolg des Röstens entscheidend sein kann. Sie beeinflusst jene chemischen Reaktionen, die Chemiker Maillard-Prozesse nennen. „Intakte Bohnen haben Poren, die wie Mikroreaktoren wirken, wo ein hoher Druck entsteht“, erklärt der Forscher. Mahle man grüne Kaffeebohnen und röste sie dann, entstünden die gewünschten Aromen nicht. „Vor dem Rösten die richtigen Vorläufersubstanzen zu haben, reicht also nicht aus.“ Damit die Pulver nicht verkohlten, könne man zudem nicht mit so hohen Temperaturen über 200 Grad arbeiten, wie sie für das Rösten typisch sind.

Kichererbse statt Kaffeebohne

Neben Atomo gibt es weitere Startups, die ausgetüftelte Kaffeealternativen anbieten: Minus in San Francisco etwa und Prefer in Singapur. Auch Northern Wonder aus den Niederlanden verkauft Kapseln und ein kaffeeähnliches Pulver, das aus einer Mischung unterschiedlichster Pflanzenprodukte entwickelt wurde. Anders als Atomo setzt das Unternehmen auch auf Mikroorganismen, die die Inhaltsstoffe fermentieren und sie in Vorläufersubstanzen für Kaffeearomen umwandeln. Außerdem arbeitet das Unternehmen wie Atomo an Alternativen zu ganzen Kaffeebohnen. „Sie können zum Beispiel aus Kichererbsen oder Lupinen hergestellt werden“, sagt Onno Franse, der bei Northern World für Forschung und Entwicklung zuständig ist.

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Eine andere Methode zur Herstellung von alternativen Kaffees sind sogenannte zellkulturbasierte Ansätze. „Zellen werden aus Teilen der Pflanze extrahiert und in Reaktoren kultiviert, wobei ein Pulver entsteht, ähnlich einem gemahlenen grünen Kaffee“, erklärt Yeretzian. Das Pulver könne man anschließend rösten und extrahieren, wodurch ein Kaffeegetränk entstehe. Zurzeit werden solche Produkte am finnischen Forschungsinstitut VTT entwickelt, bei den Biotechnologieunternehmen California Culture in den USA und Puri in Israel sowie bei Food Brewer in der Schweiz.

Über die Kultivierungsbedingungen lässt sich laut Yeretzian die chemische Zusammensetzung steuern. Und der zellkultivierte Kaffee habe gegenüber den Alternativen aus anderen Pflanzen verschiedene Vorteile: „Er ist 100 Prozent Kaffee, dem man allfällige Geschmackseigenheiten vermutlich eher verzeihen würde als den Surrogaten“, glaubt er. Außerdem komme der zellbasierte Kaffee ohne den Einsatz von Pestiziden und Düngern aus. Hürden gibt es dennoch: Aromen, Koffeingehalt und Röstverfahren sind noch nicht optimal. Und die Zulassung der Produkte steht noch aus.

„Dem konventionellen Kaffee sehr nahe“

Bis diese erteilt wird, wird das Startup Atomo vermutlich schon wissen, wie gut ihre Alternative aus marinierten Dattelkernen tatsächlich bei den Konsumierenden ankommt. Hoehn jedenfalls ist optimistisch. „Weil wir die grüne Kaffeebohne nachgebaut haben, kommen wir dem Aroma von konventionellem Kaffee sehr nahe“, sagt er. Auch preislich sei das Produkt konkurrenzfähig. Rund 20 Dollar koste das Pfund Espresso im Supermarkt. Das entspricht knapp 19 Euro.

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Ökologisch kann das Produkt im Vergleich zur klassischen Kaffeeproduktion laut Hoehn ebenfalls punkten. Eine Ökobilanz, die das Unternehmen bei einem externen Institut in Auftrag gegeben hat, ist zwar noch nicht veröffentlicht worden. Der CO2-Fußabdruck und Landverbrauch seien aber in jedem Fall deutlich kleiner als bei der Produktion konventionellen Kaffees, betont der COO. Das liege zum einen am Upcycling pflanzlicher Nebenprodukte und daran, dass außerdem schnell wachsende Kulturen genutzt würden, die über Photosynthese immer wieder Kohlendioxid binden können.

Die Produktion von synthetischem Kaffee in großem Stil könnte jedoch auch zu ethischen und ökologischen Problemen führen, schreiben die Bioethiker Zoe Robaey von der Wageningen University und  Cristian Timmermann von der Universität Augsburg in ihrem Paper „Who owns the taste of coffee?“.

Eigentumsrechte am Geschmack von Kaffee

Denn bei neuen Formen von synthetischem Kaffee handele es sich ja eigentlich um eine Form des „Reverse Engineering“ – also Kaffee gewissermaßen nachzubauen. Das ist zwar bei vielen Produkten durchaus üblich, normalerweise müssten die Kopierer allerdings bei diesem Prozess streng darauf achten, eventuell vorhandene Eigentumsrechte nicht zu verletzen. Für den „Geschmack von Kaffee und seinen Sorten“ gäbe es jedoch keine Eigentumsrechte. Das bedeute, „dass die Arbeit und der ökologische Beitrag der Kaffeebauern, die derzeit durch den Verkauf von Kaffeebohnen belohnt werden, durch andere Formen der Kaffeeproduktion ersetzt werden könnten. Sollten diese einen großen Teil des Kaffeemarktes einnehmen, gäbe es keinen Anreiz mehr zur Entwicklung und Erhaltung von Kaffeesorten vor Ort.“ Um solch einen Anreiz zu schaffen, wäre es notwendig, tatsächlich eine Art Eigentumsrecht am Geschmack von Kaffee zu schaffen, allerdings nicht im klassischen Sinne, sondern indem man Kaffee und Kaffeeanbau zum Weltkulturerbe erklären könnte.

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„Unser Ziel ist es nicht, diese neuen Entwicklungen zu stigmatisieren, sondern darüber nachzudenken, wie wir verantwortungsvoll vorgehen können“, schreiben die Bioethiker weiter. Sie raten den Entwicklern von Kaffee-Alternativen daher eine „enge Verbindung zu den geografischen Ursprüngen des Kaffees zu halten“, denn „ohne die historische Arbeit der Kaffeebauern hätte es den synthetischen Kaffee einfach nicht gegeben.“

Die ethischen Argumente, die neuen Kaffeealternativen könnten zur Existenzfrage von Kaffeefarmern werden, sind den Startups bekannt. Minus in San Francisco etwa will Kaffeebauern sogar explizit unterstützen. Und Atomo-COO Ed Hoehn betont, es sei nicht das Ziel des Unternehmens, den konventionellen Kaffeeanbau zu ersetzen. Zwischen steigendem Konsum und schwindender Ernten durch den Klimawandel könnte sich aber eine Lücke auftun, sagt er. „Und in dieser Lücke glauben wir, ist viel Platz für Kaffee, der nicht aus Kaffeebohnen gemacht wird.“

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