4 Gründe, warum wir keine Work-Life-Balance brauchen
Über Work-Life-Balance wurden schon ganze Bücherregale voll geschrieben. Immer wieder geht es darum, sich nicht von der Arbeit auffressen zu lassen. Einen Ausgleich zu schaffen. Neben dem Job auch noch andere – nämlich die wirklich erfüllenden – Tätigkeiten auszuüben. Dinge, die den Akku wieder aufladen. Die Rede ist von der sogenannten Quality-Time – der wenigen wertvollen Zeit, die das Leben bietet. Und die sollst du gut nutzen. Dir Zeit für die Familie nehmen oder fürs Hobby.
Natürlich sollst du das. Am morgendlichen Waldlauf oder dem Abend im Biergarten ist rein gar nichts auszusetzen. Trügerisch wird es jedoch, wenn sich ein „Ausgleichszwang“ entwickelt, wenn es eine Art Gegengewicht zur Arbeit geben muss, damit sich Lebensfreude überhaupt entfalten kann. So, wie es der Work-Life-Balance-Ansatz suggeriert. Hier manifestiert sich die Meinung, dass Arbeit böse ist und das wahre Leben jenseits der Arbeit stattfindet. Nach dem Motto: „Endlich Freitag…“
Unternehmen investieren in „Leckerlis“
Diesen Ansatz haben auch die Unternehmen adaptiert. Sie haben verstanden, dass sie ihren Mitarbeitern Zusatzleistungen bieten müssen – dafür, dass diese ihre wertvolle Lebenszeit für die Arbeit „opfern“. Sie wetteifern um Talente – und zwar mit Zugaben, mit Ideen, die die Arbeitsplatzattraktivität erhöhen und die Mitarbeiter ans Unternehmen binden sollen. Da kommt der obligatorische Kicker an den Start. Das betriebsinterne Fitnessstudio oder doch zumindest eine Kostenbeteiligung für den Freizeitsport. Gern auch der Luxus eines Betriebskindergartens. Und natürlich die üblichen Verdächtigen wie flexible Arbeitszeit, Stundenkonten, Teamevents oder Dienstwagen.
Mal abgesehen davon, dass Unterstützung beim Thema Kinderbetreuung den Mitarbeitern schon gehörig den Rücken frei hält, ist dieser Geschenkeberg ziemlich wackelig.
Work-Life-Balance: Vier Irrtümer
„Es geht eben nicht darum, Arbeit bestmöglich auszugleichen. Es geht vielmehr darum, die Arbeit selbst als sinnhaft zu empfinden, sodass eine Scharte, die dann wieder auszumerzen wäre, gar nicht erst entsteht“, fordert Mark Poppenborg, Gründer des Netzwerkes intrinsify.de und Experte für zukunftsfähiges Arbeiten. Das Streben nach einer Work-Life-Balance geht für Poppenborg am Ziel vorbei. Er identifiziert vier handfeste Irrtümer:
- Arbeit ist eine Last
Work-Life-Balance unterstellt eine glasklare Wertigkeit: „Work“ ist Last und „Life“ die Freude im Leben. Damit ist Arbeit per Definition schon mal jeder Freude beraubt. Sie wird zur ausgleichsbedürftigen Bürde. Das ist Quatsch. Menschen wollen wirken. Sie wollen etwas bewegen. Und sie wollen arbeiten.
Mal ehrlich – was beflügelt mehr: Chillen in der Hängematte oder einen wichtigen Kunden zu gewinnen? Ein Glas Limo auf der Terrasse oder das Carport fertig zu bauen? Muße tut gut, ja. Als Pause. Nachhaltig euphorisch macht sie jedoch nie.
- Dienst ist Dienst…
Work-Life-Balance unterstellt, dass sich Arbeit und Freizeit klar voneinander trennen lassen. Bist du im Büro, dann bist du im Büro. Zum Feierabend schließt du die Bürotür und lässt die Arbeit dort, wo sie hingehört: Im To-do-Korb, im Aktenschrank, in der Werkstatt. Etwas – wenn auch nur gedanklich – davon mit nach Hause nehmen? Pfui! Man muss doch auch mal abschalten.
Tja, aber was ist, wenn mir unter der Dusche schlichtweg die geniale Idee für die Kundenpräsentation kommt? Ignorieren? Oder wenn mir in der Teeküche im Gespräch mit einem Kollegen das ideale Geburtstagsgeschenk für meine Freundin einfällt? Wieder abhaken? Blödsinn. Das menschliche Gehirn ist aktiv. Immer. Und es kennt keinen Job- und keinen Privat-Modus. Menschen denken immer über alles Mögliche nach. Hinter jeder Tür kann ein großartiger Einfall lauern. Sei es die Büro-, die Terrassen- oder auch die Dusch-Tür. Warum das unterbinden?
- Sangeskünste im goldenen Käfig
Work-Life-Balance impliziert, dass Menschen nicht nur Bindungs-Instrumente brauchen, um bei der Stange zu bleiben, sondern dass diese auch wirksam sind, sprich, dass Menschen, die eigentlich nicht arbeiten wollen, durch Ausgleichsmechanismen von der Flucht abgehalten werden. Und vor allem, dass der Ausgleich sie dann noch zu Höchstleistungen anspornt. Na klar, und die Nachtigall im goldenen Käfig des Königs singt mindestens ebenso traumhaft wie ihre Kollegin im Wald.
Es ist doch vielmehr so, dass jemand, der innerlich gekündigt hat, nicht mehr seine volle Produktivität entfaltet. Und das wird auch nicht besser, wenn die Firma um dessen Arbeitsplatz goldene Ranken zieht. Oder wenn sie ihm gestattet, auf Betriebskosten noch ein bisschen Sport nach Feierabend zu machen. Geschenke machen die Arbeit nicht besser, sie machen es nur dem Mitarbeiter schwerer, die bereits innerlich getroffene Entscheidung auch umzusetzen. So leiden am Ende alle doppelt. Der Mitarbeiter hat innerlich gekündigt, ist unproduktiv – und er geht trotzdem nicht.
- Leistungsträger lieben Leckerlis
Work-Life-Balance geht davon aus, dass durch Geschenke in Sachen Arbeitsausgleich Talente angezogen werden. Und so locken die Unternehmen, was das Zeug hält. Je mehr Ausgleich, desto größer das Talent, das ins Netz geht, so die Hoffnung. Doch die Talente bleiben aus. Trotzdem? Oder vielleicht gerade deshalb? Denn all die wunderbaren Dinge, die die Unternehmen in die Waagschale werfen, ziehen ausschließlich die Mitarbeiter an, die einen solchen Ausgleich suchen. Das heißt die Leute kommen wegen der „Goodies“ – nicht wegen der Arbeit. Sie kommen als Konsumenten – nicht als Mitstreiter. Und so ziehen die Unternehmen eher diejenigen an, die eine ruhige Kugel schieben wollen. Talente lockt ja eben nicht die Perspektive, sich besonders gut ausruhen zu können. Sondern Talente wollen ihr Talent einsetzen. Sie wollen etwas bewegen. Sie werden also immer vielmehr von der eigentlichen Arbeit angezogen. Ist die spannend? Macht sie die Welt gegebenenfalls ein kleines Stückchen besser?
Der Wettlauf ums Goldene Kalb hat keinen Sieger
Und so leiden Unternehmen, die sich intensiv für Work-Life-Balance einsetzen, noch mehr als vorher. Sie starten aus einer vermeintlichen Notwendigkeit damit, einen Geschenkeberg aufzutürmen. Und weil das nicht den erwünschten Erfolg bringt, bauen sie den Berg eben höher. Und immer höher. Frei nach der Devise: „Mehr vom Gleichen, denn es war scheinbar noch nicht genug.“ Und so setzen sie ein Ausgleichsangebot nach dem anderen auf. Irgendwann gibt es wahrscheinlich nur noch Ausgleich und jedermann wundert sich, warum sich keine Euphorie einstellt, deren Energie sich in einer Welt-Klasse-Produktivität Bahn bricht. Alle fragen nur noch: Was gibt’s nebenher? Was gibt’s obendrauf? Dabei ist genau dieses Anspruchsdenken ein hausgemachtes Problem. Für Poppenborg ein Zeichen dafür, dass die wirklichen Inhalte fehlen.
Menschen brauchen eine gute Arbeit. Nicht was Gutes neben der Arbeit
Klar, der Tag am Meer ist großartig. Ebenso wie der Abend mit der Freundin auf dem Balkon. Dieser Beitrag soll kein Plädoyer dafür sein, sämtlichen Genüssen zu entsagen und nur noch an Wertschöpfung zu denken. Das nicht. Wohl aber ein Plädoyer dafür, nicht dringend ans Meer zu müssen, um dem Frust des Arbeitsalltages zu entfliehen.
Handlungsbedarf besteht bei der Arbeit selbst. Sie muss für dich unmittelbar Sinn ergeben. Sonst hangelst du dich von einem „Goodie“ zum nächsten. Zufriedenheit stellt sich dabei, wenn überhaupt, nur punktuell ein – nämlich dann, wenn du dir wieder etwas gönnst. So bewegst du dich von Rauschzustand zu Rauschzustand. Das gute Glas Whisky ist wundervoll. Aber wenn du trinken musst, um zu vergessen, dann läuft etwas nicht rund. Dann musst du woanders ansetzen, als einfach nur die Whisky-Dosis zu erhöhen.
Seeeeeeeehr nah an der Haaren herbei gezogen.
Die Kern-These scheint zu sein, dass die Nicht-Erwerbstätigkeit ausschließlich Erholung / Müßiggang / Konsum / Nichtstun meint. Das spiegelt leider eine eindimensionale Ausrichtung des Lebens auf die Erwerbstätigkeit wider, die sich tatsächlich viele zu eigen machen. So vieldimensional kann eine Erwerbstätigkeit gar nicht sein, dass Kindererziehung, ehrenamtliches Engagement, Sport, Panoramawissen und uneinträgliche Hobbies sowohl zeitlich als auch gedanklich in den Hintergrund treten oder gar überflüssig werden.
Gut getroffen. Konnte dieser WLB nie was abgewinnen. Im Gegenteil, ich fühlte mich ihr immer etwas schuldig ohne dem nachkommen zu können.
WLB hat mit „Goodies“ nicht besonders viel zu tun….
Der Ansatz: love it or leave it sagt genug aus. In unserem gesamten Leben geht es darum im Gleichgewicht zu bleiben. Es ist die Frage, wenn wir im Strom des Lebens padeln, wie umsichiffen wir die grossen Steine die das Kanu plötzlich zum kentern bringen könnten. Oder entscheiden wir uns gegen den Strom zu schwimmen und wahnsinnig viel Energie zu verpuffen. Hier benutze ich den Begriff gegen den Strom nicht im Sinne von Revolution und Neubeginn. Sondern im Sinne von Anhaften an Vorstellungen und kräfteraubend zu versuchen dorthin zu paddeln ohne zu merken, dass wenn man sich mit dem Strom treiben lässt vielleicht noch bessere Lösungen auftun.
Damit man diese Gelassenheit und Freiheit gelangt, muss man eben im Gleichgewicht bleiben und sich jeden Tag neu entscheiden, was liebe ich, was lasse ich. Work-Life-Balance wird wie vieles für Unternehmen zum Werbevorteil benutzt darüber kann man sich streiten.
Mir gefällt der Begriff trotzdem, da es für mich ganz simpel darauf hinweist, dass wir keine Roboter und nach dem Taylorismus in der Arbeit planbar sind. Wichtig ist doch, dass jeder sich seiner Verantwortung und Macht bewusst ist, dass er ja oder nein sagen kann. Dafür muss er Gelassenheit haben, sonst verliert der Mensch sich. Aber diese Verantwortung ist eine Lebensaufgabe, die niemand uns abnehmen kann.
Super Artikel! Treffend und inspirierend!
Hallo,
ich finde den Beitrag sehr interessant. Eine gute Work-Life Balance zu haben ist wirklich nicht einfach. Gerade auch als Selbstständiger fällt das Abschalten oftmals sehr schwer.
Ich arbeite zum Beispiel auch noch dazu vom Home Office aus, allerdings versuche ich wirklich auch Arbeit und Freizeit zu trennen. Während meiner Arbeiten benötige ich oft eine kurze Pause damit ich konzentriert weiterarbeiten kann oder Ideen weiterentwickeln kann, so wie oben „die Idee unter der Dusche“ beschrieben wurde. Ich habe mir jetzt für die Terrasse einen Globo Chair, wie man ihn auf http://haengemattenshop.com/amazonas/haengesessel sehen kann, gekauft. Einfach kurz rausgehen und mit einer Tasse Kaffee oder Tee kommen mir dort denke ich wirklich gute Ideen. Ich liebe meinen Job, trotzdem genieße ich auch die Zeiten, wenn ich wirklich abschalten kann und neue Energien sammle.
Lg Fabri