Können Freelancer:innen die deutsche Digitalisierung stemmen?

Der Fachkräftemangel ist real. Vor allem in Digitalberufen bleiben immer mehr Stellen unbesetzt. Können Freelancer:innen die Lösung für die immer größer werdenden Skill-Gaps sein? Laut einer aktuellen Bitkom-Studie fehlt für die Digitalisierung der Wirtschaft immer mehr Personal. Branchenübergreifend ist die Zahl freier Stellen für IT-Fachkräfte 2021 auf 96.000 gestiegen. Das sind zwölf Prozent mehr als im Vorjahr; 2020 blieben 86.000 Jobs unbesetzt. Am meisten gesucht werden Software-Entwickler:innen und Software-Architekt:innen, gefolgt von IT-Projektmanager:innen. [caption id="attachment_1449680" align="aligncenter" width="620"] Für die Bitkom-Studie wurde eine repräsentative Befragung von mehr als 850 Unternehmen aller Branchen durchgeführt. (Grafik: Bitkom)[/caption] „Digitalisierung ist die Antwort auf Pandemie, Standortwettbewerb und Klimakrise, aber es fehlt an Expertinnen und Experten, um die Digitalisierung zu gestalten und zu treiben. Der IT-Fachkräftemangel trifft im Übrigen nicht nur die Wirtschaft, sondern auch den Staat, der bei der Besetzung von IT-Jobs oft das Nachsehen hat“, sagt Bitkom-Präsident Achim Berg. Er ergänzt: „Die angespannte Situation auf dem IT-Arbeitsmarkt bremst die Digitalisierung. In Corona-Zeiten ist überall spürbar geworden, dass wir an Tempo zulegen müssen. Umso ernüchternder ist es, dass dafür an vielen Stellen Fachkräfte und Know-how fehlen.“ Was tun gegen den IT-Fachkräftemangel? Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, kann es helfen, durch ansprechende Aus- und Weiterbildung mehr Frauen für IT-Berufe zu begeistern, die qualifizierte Zuwanderung zu fördern, oder auch auf Freelancer:innen zurückzugreifen. Denn während auf der einen Seite Personal fehlt, steigt der Prozentsatz der Fachkräfte, die sich für die Selbstständigkeit entscheiden, wie aktuelle Zahlen von Statista zeigen – hier wurden allerdings auch Berufe wie selbstständige Ärzt:innen, Physiotherapeut:innen oder Rechtsanwält:innen berücksichtigt. [caption id="attachment_1449689" align="aligncenter" width="620"] (Grafik: Bitkom)[/caption] Doch auch mit Fokus auf digitale Fachkräfte ist ein Trend für die Selbstständigkeit erkennbar. Der Freelancer-Marktplatz Malt weist beispielsweise für das Jahr 2021 einen Zuwachs von 27 Prozent in digitalen Jobkategorien wie UX-Designer:in, Webdesigner:in, Social-Media-Manager:in oder Entwickler:in auf. Noch größer ist das Wachstum in „traditionelleren“ Jobprofilen wie Business-Development, Sales oder Operations – hier konnte Malt im Jahr 2021 ein Plus von 63 Prozent beobachten. [crosslinks ids="1448864,1406298,1424863"] „Ein Blick auf den Freelancing-Markt ist wie ein Blick in die Zukunft der Arbeit“, sagt Malt-Co-Gründer und -CEO Vincent Huguet. Malt hat gestern die neue Studie „Freelancing in Europe 2022“ präsentiert, die in Zusammenarbeit mit der Strategieberatung Boston Consulting Group (BCG) durchgeführt wurde. Für die Studie wurden 3.300 Solo-Selbstständige in drei Ländern im Zeitraum von Juli bis September 2021 befragt. Huguet zufolge liegt die wachsende Zahl der Solo-Preneure auch an der Corona-Pandemie. Er sagt: „[Durch die Corona-Panmdemie wurden die Unternehmen] in die New-Work-Order katapultiert und haben dabei wahrscheinlich zehn bis zwanzig Jahre Transformationsarbeit übersprungen. Das hat enorme Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Digitale Talente sind gefragter denn je, und es überrascht mich nicht, dass sie sich zunehmend für eine Freelance-Tätigkeit entscheiden“. Freelancer:innen als Lösung? Schätzungsweise jede:r Vierte unter den Digitalexpert:innen in Europa arbeitet bereits als Freelancer:in. Mit einem durchschnittlichen Tagessatz von 790 Euro sind die Solo-Selbstständigen zwar nicht günstig, dennoch kann ihr Einsatz für Unternehmen aus verschiedenen Gründen interessant sein. Die Vorteile von Freelancer:innen für Unternehmen können wie folgt zusammengefasst werden: Freelancer:innen haben viel Erfahrung. In Deutschland können Freelancer:innen auf durchschnittlich zehn Jahre Arbeitserfahrung im Angestelltenverhältnis zurückgreifen. Freelancer:innen sind flexibel einsetzbar und können nach Bedarf gebucht werden. Freelancer:innen sind meistens gut ausgebildet. 79 Prozent der befragten Freelancer:innen haben mindestens einen Bachelor-Abschluss. Die Hälfte aller Freelancer:innen und knapp vier von fünf IT-Fachleuten (78 Prozent) sind vertraut mit agilen Arbeitsmethoden. Zudem sind Freelancer:innen motiviert dazu, sich fortzubilden. Knapp einen halben Arbeitstag pro Woche widmen sie der Weiterbildung. Rechtliche Bedingungen müssen nachgeschärft werden Dirk Henke, General Manager DACH bei Malt, sagt: „Die Corona-Pandemie hat die Lücken in der Digitalisierung schonungslos offenbart. Um den Digitalisierungsbedarf in kritischen Bereichen wie Verwaltung, Infrastruktur und Gesundheitswesen aufzuarbeiten, braucht es Fachkräfte mit der notwendigen Expertise. Freelancer:innen sind für diese Aufgabe prädestiniert und könnten für die Digitalisierung einen riesigen Schub bedeuten.“ Er ergänzt, dass dafür jedoch die rechtlichen Rahmenbedingungen für Solo-Selbstständige angegangen werden müssen, insbesondere beim Thema der Scheinselbständigkeit, also der Selbständigkeit ohne wirkliche Unabhängigkeit. Tatsächlich sind der Freelancer:innen-Studie zufolge 77 Prozent der Freelancer:innen unzufrieden mit der aktuellen rechtlichen Lage. Hier ist die Politik aufgerufen, zu handeln und zukunftsfähige Lösungen auszuarbeiten.