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Kreativ auf Knopfdruck: Warum’s nicht klappt

Kreativ – jeder soll es heutzutage sein und zwar immer und sofort und überhaupt. Paradoxerweise gelingt die Entwicklung innovativer Produkte in der Praxis nicht mit Kreativitätstechniken. Wie aber werden Innovationen dann entwickelt?

Von Anja Schwarz
7 Min. Lesezeit
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(Foto: Shutterstock)

Ist jeder Mensch (und somit auch jeder Entwickler) kreativ? Und gibt es äußere Einflüsse, die Kreativität behindern oder fördern? Wer mehr darüber erfahren will, wie Denken und insbesondere Kreativität funktionieren sollte jetzt aufmerksam weiterlesen. Dann verstehst du auch, warum du auch in kleinen, unscheinbaren Kaffeepausen mit einem Kreativitätsflash rechnen solltest.

Kreativität auf Kommando – geht das überhaupt?

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Stell dir folgendes Szenario vor: Dein Vorgesetzter hat dir die Aufgabe gegeben, sich Gedanken über einen effizienteren Beschaffungsprozess für Druckerpapier in deiner Abteilung zu machen: „Seien Sie kreativ! Lassen Sie sich was einfallen! Übermorgen will ich Ergebnisse sehen!“ – das waren seine Worte, bevor die Türe hinter ihm ins Schloss fiel. Und nun sitzt du da und versuchst kreativ zu sein und dir etwas einfallen zu lassen. Aber irgendwie will die zündende Idee einfach nicht kommen. Immer wieder werden wir vor die Herausforderung gestellt, auf Kommando kreativ sein zu sollen. Zwar gibt es eine Vielzahl von Kreativitätstechniken – den Anfang machte Alex Faickney Osborn in den 1940er Jahren mit der Erfindung des Brainstormings – aber machen uns diese Techniken tatsächlich kreativ?

Unser Gehirn – Zufallsgenerator für Ideen

So erstellst du den perfekten Businessplan. (Foto: Shutterstock)

Machen uns Kreativitätstechniken auf Befehl kreativ? (Foto: Shutterstock)

Was den ein oder anderen überraschen mag: Unser Gehirn ist ununterbrochen kreativ. In unserem Gehirn werden täglich neue zufällige neuronale Erregungsmuster generiert, die entweder wieder verschwinden, oder sich zu stabilen Verbindungen ausbilden. Hierfür wird vom Gehirn, genauer gesagt dem orbitofrontalen Kortex, geprüft, ob das neue Erregungsmuster (= die neue Idee) nützlich ist ¹. Dies geschieht entweder durch tatsächliches Ausprobieren und Evaluation der Folgen, oder durch Simulation möglicher Ergebnisse ohne tatsächliches Handeln, also „in unserer Phantasie“. Lautet das Ergebnis „ja, die Idee ist nützlich“, so belohnt uns das Gehirn, indem es Endorphin und Dopamin ausschüttet ². Dies führt dazu, dass ein anderer Teil unseres Gehirns, der Hipocampus, der für das Lernen zuständig ist, das zufällig entstandene Muster abspeichert. Wir haben es gelernt und können es bewusst wiederholen und auch variieren ³.

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Keine Kreativität ohne Wissen

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„Kinder sind nicht kreativer als Erwachsene.“

Durch diese Art des „Trial and Error“ lernen wir das Krabbeln, Laufen und Sprechen, und im fantasiereichen „als-ob“-Spiel trainieren wir als Kinder unseren orbitofrontalen Kortex. Ja. Natürlich! Kinder sind ja auch viel kreativer als Erwachsene! Nein. Sind sie nicht. Denn durch die bereits entstandenen Verbindungen im Gehirn, also unser bisher angesammeltes Können und Wissen, hat unser Gehirn eine viel größere Auswahl, aus der es neue Verbindungen erstellen kann. Kreativität braucht somit auch die richtige Grundlage. Aber wenn das so ist, sollten wir als gebildete Menschen dann nicht alle ständig von neuen genialen Ideen verfolgt werden? Nicht ganz, denn hier kommen zwei weitere Aspekte ins Spiel: Sicherheit und Motivation.

Sicher zur Kreativität – Draufgänger oder Sicherheitsfreak?

Unsere Motivation im Leben ist das Überleben. Hierbei ist unser Gehirn immer noch sehr urzeitlich eingestellt. Es ist darauf gepolt, unser Wohlbefinden zu steigern, also alles zu tun, was unser direktes Überleben sichert, oder unseren sozialen Stand fördert, also den „Rang im Rudel“, der ebenfalls dem Überleben dient, oder Bedrohung von Leben und sozialem Rang zu reduzieren. Und dies versucht es möglichst energiesparend zu tun. Das ständige Erstellen und Testen neuer Ideen und Verhaltensweisen verbraucht wertvolle Energie und stellt durch die hohe Fehlschlagwahrscheinlichkeit eine potentielle Bedrohung dar. Dieses Risiko und der Energieverbrauch dabei muss sich „lohnen“. Wenn er uns keinen relevanten Vorteil verschafft oder sogar eine Gefahr darstellt, bewertet unser Gehirn diesen Aufwand, den Kreativität mit sich bringt, als nicht lohnenswert.

Hier werden nun vergangene Lernerfahrungen, aber auch aktuelle Umgebungsbedingungen relevant. Hat dein Gehirn gelernt, dass es belohnt wird, wenn es Neues ausprobiert, wirst du dich auch in der Zukunft eher als Draufgänger verhalten, der Fehlschläge in Kauf nimmt, mit der Erwartung, dass am Ende etwas Positives heraus kommt. Hat dein Gehirn hingegen vor allem gelernt, dass Neues ausprobieren die Gefahr birgt zu scheitern, belohnt es dich, wenn du vorsichtig bist und gewohnte Wege einschlägst ⁴. Das „Draufgänger“-Gehirn ist somit bereit, Ausschuss zu produzieren, also weniger energiesparend zu arbeiten, weil es darauf spekuliert, dass alles gut geht und somit die Belohnung in Aussicht steht. Das „Sicherheits“-Gehirn hingegen vermeidet die Energieverschwendung und belohnt seinen Besitzer dafür, eben genau kein Wagnis einzugehen ⁵.

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Aber was heißt das nun für die Aufgabe mit dem Druckerpapier?

Auf den ersten Blick müsste unser Gehirn ja vor Ideen nur so sprühen, weil unser „Anführer“ uns eine Aufgabe gestellt hat, bei der wir davon ausgehen können, dass wir in seinem Ansehen steigen, wenn wir sie gut lösen. Was aber, wenn wir die Erfahrung gemacht haben, dass unser Vorgesetzter neue Ideen, die wir einbringen, als unsinnige Spinnereien abtut? Uns also dafür „bestraft“? Oder wenn wir befürchten müssen, dass eine wirklich tolle neue Idee zwar unseren Chef begeistert, aber unsere Kollegen neidisch und missgünstig werden lässt? Dann werden wir eher den sicheren Weg einschlagen und einen günstigeren Lieferanten für das Druckerpapier suchen. Haben wir hingegen den Raum und die Sicherheit für wirklich neue Ideen, entwickeln wir stattdessen vielleicht ein Konzept, um die Geschäftsprozesse in unserem Unternehmen so zu verändern, dass wir langfristig wesentlich weniger Papier benötigen und somit das hinter der Aufgabe „effizienterer Beschaffungsprozess“ liegende Ziel „weniger Geld ausgeben“ wesentlich besser erreichen. Unser Gehirn folgt also ganz konsequent dem Lustprinzip: Es versucht eine Belohnung zu erreichen oder eine Bedrohung zu vermeiden.

Brainstorming neurologisch betrachtet

Osborn hat das Prinzip der Sicherheit bei seiner Brainstorming-Technik bereits erkannt: Er fordert, dass bei der Ideenfindung Quantität vor Qualität stehen sollte, also bewusst Ausschuss produziert wird, da somit die Wahrscheinlichkeit steigt, dass eine gute Idee dabei ist. Weiterhin nimmt er eine strenge Trennung zwischen Ideenfindung und Ideenbewertung vor und schützt so den Erzeuger neuer Ideen vor der Kritik durch andere Teilnehmer ⁶: „It is easier to tone down a wild idea than to think up a new one ⁷.“ Allerdings haben eine Vielzahl von Studien inzwischen gezeigt, dass diese Technik auch mehrere Schwächen aufweist ⁸.

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Man sollte von Kreativitätstechniken nicht erwarten, dass sie direkt und automatisch auf Kommando zu neuen, innovativen Ideen führen. Einige von ihnen helfen aber, Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass unser Gehirn neue Ideen generieren kann, indem sie einen oder mehrere der folgenden Parameter beeinflussen:

Das WiSiMotZ-Konzept: Die vier Aspekte, die unser Gehirn benötigt, um kreativ zu sein. (Grafik: Anja Schwarz)

Das WiSiMotZ-Konzept: Die vier Aspekte, die unser Gehirn benötigt, um kreativ zu sein. (Grafik: Anja Schwarz)

Die Formel zu mehr Kreativität: WiSiMotZ

Zunächst müssen wir das Problem, für das wir Lösungen suchen, verstehen. Durch die Auseinandersetzung mit der Problemstellung erwerben wir Wissen, das unserem Gehirn die Basis für neue, zufällige Verbindungen bietet. Diese Verbindungen erstellt unser Gehirn aber nur, wenn Raum für Verschwendung, also die nötige Sicherheit gegeben ist. Zudem muss die Motivation für unser Gehirn hoch genug sein, Energie in die Erzeugung neuer Ideen zu stecken. Das Finden einer neuen Idee muss also zum Erreichen einer positiven oder aber zum Vermeiden einer negativen Folge führen. Dann folgt unser Gehirn der Gleichung:

Wissen + Sicherheit + Motivation + Zeit/Zufall = Kreativität

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Auf der Developer Week 2016 sprechen Inge Kreß und Anja Schwarz über das Thema Kreativität. Am kommenden Mittwoch, den 22. Juni 2016, geht es von 9 bis 10 Uhr genau darum. Die Developer Week findet vom 20. bis zum 23. Juni in Nürnberg statt.

Über die Autorinnen

Anja Schwarz ist Wirtschaftsinformatikerin (BSc Information Systems and Management) und bei der SOPHIST GmbH als Beraterin, Trainerin und Autorin tätig. Sie unterstützt Kunden verschiedener Branchen im Bereich Requirements-Engineering.

Kress-IngeInge Kreß ist Ärztin für psychosomatische Medizin. Ihre klinische Tätigkeit umfasst die allgemeinmedizinische und psychosomatische Betreuung von Patienten. Ihr besonderes Engagement liegt darin, Patienten, Studenten, ärztlichen Kollegen und interessierten Laien psychosomatische Zusammenhänge zu vermitteln. Ihre wissenschaftliche Arbeit befasst sich vor allem mit vegetativen Afferenzen und den Inselkortex. Ein weiteres Arbeits- und Interessengebiet ist die Hypnotherapie.

Verwendete Quellen

¹ Kringelbach M. L. (2005). "The orbitofrontal cortex: linking reward to hedonic experience". Nature Reviews Neuroscience 6: 691–702.
² Rolls E. T. (2000) "The orbitofrontal cortex and reward". Cerebral Cortex 20: 284–294.
³ Buzsáki G (1989). "Two-stage model of memory trace formation: a role for "noisy" brain states". Neuroscience 31 (3): 551–70.
⁴ Bechara A., Damasio A. R., Damasio H., Anderson S.W. (1994). "Insensitivity to future consequences following damage to human prefrontal cortex". Cognition 50: 7–15.
⁵ Barbas H (2007). "Flow of information for emotions through temporal and orbitofrontal pathways". Journal of Anatomy 211: 237–49); Schultz W, Tremblay L (2006). Involvement of primate orbitofrontal neurons in rewards, uncertainty, and learning. In Zald DH and Rauch SL (Eds.) The Orbitofrontal Cortex. Oxford: University Press.
⁶ Spitzer M., Fischbacher U., Herrnberger B., Grön G., Fehr E. (2007). "The neural signature of social norm compliance". Neuron 56 (1): 185–196.
⁷ Osborn, Alex F. (1953). „Applied Imagination: Principles and Procedures of Creative Problem Solving“, New York: Charles Scribner’s Sons
⁸ Isaksen S. (1998). „A Review of Brainstorming Research: Six Critical Issues for Inquiry“. Monograph No. 302, Buffalo/New York: Creative Problem Solving Group Buffalo
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Danke für den informativen Beitrag! Ich arbeite auch immer wieder an der Herausforderung mich von allen anderen Gedanken zu lösen, um Kreativ zu sein. Hab mich schon gewundert wieso das unter Druck schlecht läuft. Aber das erklärt auch, wieso ich an bestimmten Orten wie meinem Esszimmer kreativer bin als im Büro. ^^

Antworten
Ilo

Sehr interessanter Artikel! Vielen Dank für die gehirntechnischen Einblicke! :)

Antworten
Matthias

Warum sollte die Entwicklung innovativer Ideen mit Kreativitätstechniken denn nicht „gelingen“? Innovationen sind selten auf Kreativitätstechniken zurückzuführen, weil diese in der Praxis (fast) gar nicht angewendet werden. Meint ihr vielleicht das?

Abgesehen von Brainstorming sind Kreativitätstechniken den meisten Unternehmen völlig unbekannt. Und Brainstorming funktioniert ja bekanntlich nicht (Production Blocking, kognitive Restriktion, Angst vor Kritik, etc.).

Die in Wissenschaft und Praxis bewährten Kreativitätstechniken (Provokationstechnik, Reizwortmethode, Morphologische Analyse, etc.) regen die Assoziation (Wissen neu verknüpfen) durch effektive Stimulation (Reizwörter, Fragen, Ideen der Anderen etc.) an.

Und: Ohne Stimulation keine Kreativität! :-)

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