Künstliche Intelligenz erobert jetzt auch die Oper
Wenn am kommenden Samstag die Semperoper Dresden den Premierenreigen der neuen Spielzeit eröffnet, ist ein Hauptdarsteller praktisch nicht von dieser Welt. Optisch wird er als acht Meter hohe kinetische Lichtskulptur mit LED-Panels auf der Bühne glänzen, für sein Agieren aber wird eine künstliche Intelligenz (KI) zuständig sein.
Das Musiktheater „Chasing Waterfalls“ ist laut Sächsischer Staatsoper weltweit die erste Oper, in der eine KI phasenweise Komposition, Libretto und Interpretation autark und live kreiert. In einer von sieben Szenen hat die KI allein das Sagen, in den anderen wird sie mit realen Darstellern als Digital Twins interagieren.
Regisseur und Medienkünstler Sven Sören Beyer fasziniert das Zusammenspiel von Mensch und Maschine. „Tanzende Lichtpunkte am Himmel etwa berühren uns emotional – egal, ob sie technisch erzeugt werden oder ob es sich um Sternschnuppen handelt. Diese Mechanismen versuchen wir künstlerisch zu ergründen: Wann wird Technologie emotional, wie kann man Menschen durch den Einsatz von Technik berühren.“
Künstliche Intelligenz: Regisseur hält Ängste durchaus für begründet
Technik sei dabei mehr als ein Tool: „Wir sind heute von modernen Errungenschaften umgeben, deshalb ist es wichtig, ihre Möglichkeiten auch künstlerisch auszuloten.“ Dabei hält Beyer Ängste im Zusammenhang mit der KI durchaus für begründet. „Ich glaube aber auch an die Vernunft der Menschheit, dieses scheinbar unendliche Potenzial zum Guten zu nutzen.“
„Chasing Waterfalls“ verstehe er als kritischen Beitrag zur ethischen Debatte, was der Mensch in Zukunft selbst entscheidet und was er künstlichen Prozessen überlässt. Schon heute durchleuchte KI Nutzer im Netz und schicke ihnen speziell auf sie zugeschnittene Werbung. „Die digitale Welt beeinflusst längst reale Entscheidungen.“
Auf der anderen Seite sieht Beyer eine große kreative Chance, mit KI Neues zu schaffen. Das gilt nicht zuletzt für den Opernbetrieb. „Es ist spannend, diesen Schritt zu machen und nicht mehr alles in der Hand zu haben“, sagt er und verweist auf die Szene, in der die künstliche Intelligenz ihre eigene Arie schreibt, komponiert und singt.
Die norwegische Sopranistin Eir Inderhaug ging zwei Wochen in ein Tonstudio, um die KI hierfür stimmlich auszurüsten. Inhaltlich erhält die KI eine Handlungsanweisung, die sie selbst ausgestaltet: „Schreibe eine Opernarie, in der du dich selbst reflektierst. Du darfst dabei durchaus zynisch und humorvoll sein.“
„Es ist erstaunlich, was da für hochpolitische Texte zustande kommen“, sagt Beyer. Die Librettistin Christiane Neudecker, die ebenfalls mit KI-Textgeneratoren experimentierte, war anfangs reserviert. Doch im Laufe der Zeit hat sie die KI als kreativen Partner akzeptiert.
„Der Austausch war überraschend inspirierend, auch auf poetischer und inhaltlicher Ebene“, so Neudecker. Die spezifische Textpassage wird allerdings schon kurz vor der Aufführung erstellt. Beyer muss aus Sicherheitsgründen jeden Text, den die KI schreibt, absegnen.
„Bei dieser einen Szene werden wir überrascht. Da kommt es jetzt zu Inhalten, die wir vorher nicht kennen. Das ist das Experiment“, sagt Beyer. Das gelte aber nicht für die ganze Oper.
„Uns ist wichtig, einen Handlungsstrang zu haben. Das menschliche Ich gerät in der Vielfalt seiner digitalen Projektionsflächen und Selbstdarstellungen in eine Identitätskrise und muss sich neu verorten.“ Sopranistin Eir Inderhaug wird als sie selbst und als digitaler Zwilling zu erleben sein.
Aufführung für 6 Solisten, ein Orchester – und eine virtuelle Stimme
Die etwa 70-minütige Aufführung ist für sechs Gesangssolisten, eine virtuelle Stimme und ein Kammerorchester konzipiert. Beyer, Chef des Berliner Künstlerkollektivs Phase 7 Performing, hat weitere Experten wie die vom Studio for Sonic Experiences Kling Klang Klong in Berlin zurate gezogen.
Als Co-Komponist und Dirigent steht der Hongkonger Künstler Angus Lee am Pult der Sächsischen Staatskapelle. Im November soll das Werk beim New Vision Arts Festivals in Hongkong zur erleben sein.
„Wir freuen uns, dass wir dem KI-Standort Sachsen mit diesem innovativen Projekt einen weiteren, kulturellen Zugang zu dieser hochaktuellen Schlüsseltechnologie und einen Impuls für die weitere Auseinandersetzung mit dem Thema künstliche Intelligenz in der Semperoper als international exponierter Kulturinstitution bieten können“, sagt Semperoper-Intendant Peter Theiler und verspricht einen „bildgewaltigen Aufführungsrahmen“, bei dem auch eine Wasserfall- Installation eine Rolle spielt.
Zuschauer können als Teil der Szenografie mitwirken. Dafür werden die Gesichter Freiwilliger vor jeder Aufführung mittels 3D-Face-Scan aufgenommen und später in einer KI-Modifikation in das Bühnenbild integriert.
Regisseur Beyer ist überzeugt davon, dass neue Technik das alte Medium Oper zwar beeinflussen wird, aber niemals ersetzen kann. „Das war nie unser Ansatz. Wir setzen nur etwas fort mit den Mitteln unserer Zeit.“