Lernen will gelernt sein: Felix Schwenzel über die Vorzüge kindlichen Lernens

(Foto: Shutterstock / ESB Professional)
Ich war lange Zeit ein lausiger Schüler, weil ich die Schule nicht als einen Ort erkannt habe, in dem ich lernen kann, sondern als einen Ort empfand, in dem ich lernen musste. Es hat viele Jahre gedauert, bis ich bemerkte, dass das Angebot, das mir die Schule machte, Türen und Potenziale öffnet: Türen zu Erkenntnissen und Fähigkeiten, die ich für Sachen gebrauchen konnte, die mich wirklich interessieren. Der winzige Wahrnehmungsunterschied zwischen Lernen-Müssen und Lernen-Können verwandelte mich von einem miesen Schüler in einen ganz passablen: Mit konkreten Zielen vor Augen machte es mir plötzlich Spaß, zu lernen.
Lernen können und lernen wollen
Kinder erkennen die Vorteile des Lernens intuitiv. Man kann ihnen nicht beibringen, zu sprechen. Sie fangen von selbst damit an – um mitreden zu können. Durch Beobachtung, Wiederholung und Übung erarbeiten sie sich wichtige Grundlagen der Grammatik und Semantik. Überhaupt bringen Kinder sich jahrelang alles, wirklich alles, selbst bei. Einzig und allein durch Zuschauen, Zuhören und mutiges, dilettantisches Nachmachen. Das einzige, was sie dafür brauchen, sind Vorbilder: Personen in ihrem Umfeld, denen sie nacheifern können.
Niemand kommt auf die Idee, (gesunde) Kinder im Laufen, Reden oder Argumentieren schulen zu wollen. Auf die Idee, Menschen zu schulen, kommt man erst, wenn sie ungefähr sechs Jahre alt sind. Dann sollen ihnen lebenslang Wissen und Wissensgrundlagen zugeführt werden.
Möglicherweise lernen Menschen in Bildungsmaßnahmen aber nicht, weil man ihnen Lehrstoff zuführt, sondern weil Schulen, Universitäten und Fortbildungseinrichtungen Orte sind, in denen Menschen lernen können, wenn sie wollen – und weil es Orte sind, die Raum und Motivation zum Lernen geben?
Wenn es gut läuft, aktivieren Bildungseinrichtungen auch den Lern- und Bildungssog durch Vorbilder. Der Sohn meiner Schwägerin bewunderte beispielsweise seine lispelnde Lehrerin so sehr, dass er auch anfing zu lispeln. Trotzdem gibt es wohl einen Mangel oder eine unzureichende Sichtbarkeit an bildungsnahen Vorbildern, die zum Lernen-Wollen und Lernen-Können inspirieren. In den Bereichen Unterhaltung und Sport ist das anders: Hier mangelt es kaum an Vorbildern. Wer Youtube-Stars nacheifern will, kann sich ohne große Einstiegshürde daran versuchen und welches Training erforderlich ist, um es im Sport zu etwas zu bringen, ist auch hinreichend bekannt. Aber was es bringen soll, zu programmieren, (digitale) Medienkompetenz zu erwerben oder höhere Mathematik und Geometrie zu beherrschen, ist den Wenigsten klar.
Niemand möchte Programmieren lernen um des Programmierens willen, niemand möchte Medienkompetenz vermittelt bekommen, um kompetenter als vorher Medien zu konsumieren, kaum einer stürzt sich in höhere Geometrie aus purer Liebe zur Mathematik. Aber wer eine App, ein Spiel, eine Website oder einen Kampfroboter bauen möchte, merkt schnell, dass mathematisches Grundwissen und der Umgang mit Programmiersprachen den Weg dorthin ebnen. Wer sich nicht gerne anlügen, aufhetzen oder verarschen lassen möchte, erkennt, dass Medienkompetenz gegen den Unfug in der Welt und im Netz immunisieren kann. Und wer sich ein Ersatzteil 3D-drucken möchte, sieht bald ein, dass Kenntnisse in Geometrie dabei sehr hilfreich sein können.
Um Ziele zu erreichen, benötigt man nicht nur Motivation, sondern eben auch Aneignungs- und Filterkompetenzen. Lernen zu lernen ist neben der Motivation der schwierigste Schritt auf dem Weg zu Bildung und ständiger Neugier.
Und genau dieses Lernen-Können und Lernen-Wollen sind wichtige Voraussetzungen für Medien- und Digitalkompetenz. Bildung muss man sich – wie Freiheit – nehmen, insofern liegt die gesellschaftliche Zukunftsfähigkeit in den Händen jedes Einzelnen. Aber die Gesellschaft muss Anregung, Raum und Mittel zum Lernen zur Verfügung stellen.
Wir alle müssen in uns selbst und in anderen wieder kindliche Neugier wecken. Wir müssen weg vom konsumorientierten „das will ich haben“ hin zu einem lernorientierten „das will ich auch können“. Es hört sich absurd an, aber: Wer von Qualifizierungsoffensiven oder digitaler Transformation redet, muss in gewisser Weise auch von Infantilisierung reden.
Ich frage mich, ob eine frühkindliche, strenge Erziehung von Kindern gewisse Vorteile mit sich bringt. In China können zweijährige Kids schon Klavier lernen (vgl. https://einsteiger-keyboard.de/news/das-talent-der-chinesen-fuers-klavierspielen-einblick-in-die-kultur/ ). Hierzulande würde man sagen, dass die Entwicklung des Kinds durch eine nicht vorhandene intrinsische Motivation gehemmt wird. Andererseits lernt das Kind durch die strenge Erziehung, zielstrebig und diszipliniert zu sein. Das trifft nicht auf jedes Kind zu. Denn Intelligenz liegt auch in den Genen und nicht in jedem von uns steckt ein kleiner Mozart.