Mit maschineller Hilfe aus dem Cookie-Dilemma - t3n

In unserem wöchentlichen Marketing-Briefing für t3n-Pros geht es heute darum, wie kontextbezogene Werbung den Abschied von Drittanbieter-Cookies leicht machen könnte. Die Nervosität bei Markenverantwortlichen, Plattformbetreibern und Publishern ist nahezu überall in der Welt des digitalen Marketings spürbar. Werbetreibende sind auf dem Marsch in ein Land jenseits der Cookies, viele wissen aber noch gar nicht, welchen Weg sie denn nehmen sollen, geschweige denn, welche Schuhe dafür gebraucht werden. Sicher ist aber: Die Vertreibung aus dem Cookie-Paradies wird kommen – ausgelöst durch den Wunsch von Verbraucher:innen nach mehr Privatsphäre, befeuert von Googles angekündigter Cookie-Abschaltung und Apples konsequentem Weg, exzessives Targeting einzudämmen. Marken brauchen eine neue Heimat, hoffen in dem gelobten Land neue Wege zu finden, um ihre Zielgruppen entsprechend dem Wortsinn auch zielgerichtet zu erreichen. Eine Antwort auf die Frage nach dem Wohin lautet ziemlich sicher: kontextbezogene Werbung. Bei dieser Targeting-Methode steht die Privatsphäre im Vordergrund, relevante Werbung wird auf der Grundlage des Inhalts einer Website angezeigt. Anders gesagt: Track den Inhalt und nicht die User! Der „Zurück in die Zukunft“-Moment Klingt gut, ist es auch – wenn es denn richtig gemacht wird. Lustigerweise haben wir es hier auf gewisse Art mit einem „Zurück in die Zukunft“-Moment zu tun. In den traditionellen Medien (gedruckt noch immer) und am Anfang des Internets wurde Werbung schon Mangels Alternativen über den Kontext gesteuert. Wer seine Zielgruppe für sportaffin hielt, hat eben im Sportteil Werbung geschaltet. Dann kam das ID-gesteuerte Targeting, verbunden mit dem Versprechen, die Menschen viel besser und zielgerichteter erreichen zu können. Ein ebenso beeindruckender wie an manchen Stellen beunruhigender Siegeszug – wie sich nun zeigt, offenbar auch nur vorübergehend. Für die Cookie-Liebe der Marketer gibt es natürlich gute Gründe. Denn tatsächlich hat die Werbung ja funktioniert beziehungsweise funktioniert in weiten Teilen eben noch immer sehr gut. Bei allen Einschränkungen in der Qualität des Trackings lohnt sich die Methode für Marken, Plattformen und Publisher; allerdings eben mit massiven Nebenwirkungen, die das Modell jetzt langsam aber sicher ins Aus befördern. Also back to the roots? Wieder Gießkanne statt gezielter Bewässerung, Prinzip Hoffnung statt Messung? Nein. In den letzten Jahren hat das maschinelle Lernen das Potenzial des alten Favoriten drastisch erhöht und bietet nun die Möglichkeit, Kontext und Nutzerverhalten so gut zu kombinieren, dass dabei wirklich hochwertige Daten für Marketingzwecke herauskommen. Machine-Learning: ohne Fleiß kein Preis Allerdings: ohne Fleiß kein Preis. Kontextbezogene Anzeigen brauchen maschinelles Lernen, um Seiten zu interpretieren, den Inhalt und die Zusammenhänge zu verstehen und wirklich die relevantesten Zielgruppen anzusprechen. Richtig geschult kann diese Technologie nicht nur Kontext, sondern auch Sentiment (sogar von Bildern und Videos) analysieren. Machine-Learning eröffnet die Möglichkeit, kreative Inhalte so zu konfigurieren, dass sie zu diesem Kontext passen – was übrigens nicht nur für das Web funktioniert, sondern beispielsweise auch für Digital Out Of Home. Kontextbezogenes Targeting verspricht zufriedene Werbetreibende, zufriedenere Verbraucher und bessere Erkenntnisse. Tolle Sache eigentlich. Blöd nur, dass kontextuelles Targeting keine fertige Lösung ist, die sich einfach einschalten lässt, sobald die Cookies abgeschaltet werden. Es braucht Investitionen in das Training von maschinellen Lernmodellen. Vor allem die Startinvestitionen für Unternehmen, die Algorithmen für das Context-Mapping und die Datenerfassung entwickeln wollen, können durchaus beeindruckend sein. Auch die Datenspeicherung ist anspruchsvoll und wird viele Publisher zwingen, ihre Content-Management-Systeme mit zusätzlichen Features auszustatten. Die gute Nachricht dabei: Die Kosten gehen deutlich nach unten, sobald die Basics stehen und die grundlegende Arbeit getan ist. Noch fehlen echte Standards Diese grundlegende Arbeit erfordert aber auch übergreifendes Handeln. Es gibt noch keine wirklich standardisierte Taxonomie für kontextbezogene Werbung – keinen einheitlichen Ansatz für die Genauigkeit der Platzierung von Inhalten und die Ausrichtung von Anzeigen. Verschiedene Anbieter bieten unterschiedliche Lösungen. Das erinnert ein wenig an das alte Tageszeitungsproblem mit unterschiedlichen Seitengrößen und erschwert eine Skalierung. Ein mit zunehmender Beliebtheit von kontextueller Werbung wachsendes Problem. Gleichzeitig ist die Werbemethode vergleichsweise schwer zu messen. Es braucht nicht nur Traffic-Metriken, sondern auch Conversion- und Umsatzdaten. Das alles ist nicht so einfach zu kombinieren. Komplexität in der Entwicklung kostet Geld, im Zweifel viel Geld. Es besteht die Gefahr, dass kleine und mittlere Anbieter hier nicht mithalten können. Den Ausweg kann hier eine möglichst neutral betriebene Lösung bieten, quasi Open-Source-Context-Mapping. In anderen Bereichen ist das gelungen. Ziel muss die Entwicklung eines Standards für kontextbezogenes Targeting sein, kombiniert mit einem Regelwerk für die Segmentierung von Inhalten. Es gibt durchaus kommerzielle Lösungen, die auf diesem Weg bereits relativ weit sind. Übrigens auch aus Deutschland. Das Berliner Startup Relemind, quasi eine Tochter der Münchener Moresophy, ist auf dem Markt bereits mit gutem Erfolg unterwegs. Die Maschine läuft also, sie braucht aber noch viel Kraftstoff.