Ab in den Norden: Wie der Klimawandel die Reiseziele verändert
Das staatliche schwedische Tourismusunternehmen Visit Sweden hat einen neuen Marketingbegriff erfunden: „Coolcation“. Das ist eine Wortschöpfung aus „cool“ für kalt, schick oder großartig, und aus „vacation“, dem englischen Wort für „Ferien“.
Nach einer Studie der Gemeinsamen Forschungsstelle der EU liegen die Touristenwerber nicht einmal so falsch. Sie kommt nämlich zu dem Schluss, dass die Europäer ihren Urlaub in Zukunft in der Tat weiter im Norden verleben werden. In Simulationen untersuchten die Forscher die potenziellen Auswirkungen des Klimawandels auf die touristische Nachfrage in 269 europäischen Regionen und extrapolierten deren Entwicklung bis ins Jahr 2100.
Wenig überraschend: Der Klimawandel dürfte die Tourismuswirtschaft in den nördlichen Regionen Europas ankurbeln, während die südlichen Regionen einen erheblichen Rückgang erleben werden – je höherer die Erwärmung, desto ausgeprägter. Gleichzeitig würden sich Urlaubszeiten in die Neben- und Wintersaisons verschieben – soweit das wegen der traditionellen Schulferien möglich ist.
So könnten Zypern und Griechenland sieben bis acht Prozent ihrer Touristen bis Ende des Jahrhunderts verlieren, während sieben bis neun Prozent mehr nach Irland und Litauen reisen. Allerdings unter zwei Voraussetzungen: Die Preise in den Urlaubsländern bleiben niedrig genug und die Wetterextreme werden nicht schlimmer als in Südeuropa.
Statistisch ist jedoch von einer Urlaubstrendwende gen Norden noch nicht viel zu merken. Zwar reisten im vergangenen Sommer über 22 Prozent mehr Menschen nach Norwegen und elf Prozent mehr nach Schweden, doch das entspricht in etwa der generellen Steigerung des Tourismus in den meisten europäischen Ferienregionen.
Menschen machen sich nur wenig Gedanken
Für Stefan Gössling, Mobilitätsforscher an der Linnaeus-Universität Växjö/Kalmar in Schweden, sind einzelne Extremwetterereignisse noch nicht ausschlaggebend dafür, dass sich Menschen Gedanken über langfristig neue Urlaubsziele machen. Aber, so Gössling im Südwestrundfunk: „Es ist plausibel anzunehmen, wenn man dreimal hintereinander Pech hat, der Urlaub ins Wasser gefallen ist, es viel zu heiß ist, dass dann irgendwann doch ein Nachdenken einsetzt und darüber die neuen Reiseziele definiert werden.“
Dennoch steigt die Furcht vor Übertourismus in Skandinavien schon jetzt. Fernsehen, Rundfunk und Qualitätsmedien verbreiten sporadische Aussagen von Campingplatzbetreibern, die von Gästen berichten, die Südeuropa mit dem Norden tauschten.
Nach einer Umfrage des schwedischen Fernsehens SVT kann sich jede zweite von 20 befragten Tourismusorten vorstellen, steigende Urlauberströme zur Kasse zu bitten, denn einige Kommunen leiden wirklich unter der Zunahme von ausländischen wie einheimischen Urlauber. Deswegen in Nordeuropa aber von Übertourismus zu sprechen, ist derzeit sicherlich noch übertrieben.
Dennoch gibt ihn, den unangenehmen Massentourismus in Form von Schlangen mit parkenden Wohnmobile in malerischer Landschaft entlang oft schmaler Straßen. Kein Wunder, dass die Sorge der Einwohner zunimmt, von Touristen überrannt zu werden, die das sogenannte Jedermannsrecht nicht zu schätzen wissen. Das ist nämlich wirklich grundlegend für die Kultur der nordischen Länder. Es bedeutet das Recht, sich frei in der Natur zu bewegen und zu campen, unabhängig davon, wer der Landbesitzer ist.
Auch Norwegen mischt mit
„Es ist wichtig zu wissen, dass mit dem Jedermannsrecht auch die Verpflichtung verbunden ist, die Natur zu respektieren“, zitiert der britische Guardian Bente Lier, die Generalsekretärin der Freizeitorganisation Norsk Friluftsliv. „Kurz gesagt: Wir dürfen keine Spuren hinterlassen. Das ist etwas, was wir in Norwegen als Kinder lernen, aber für viele internationale Touristen ist es nicht so offensichtlich.“
Genau mit diesem Jedermannsrecht wollte aber Innovation Norway, zuständig für das Tourismusmarketing Norwegens, im Ausland Urlauber anwerben. Die Kampagne musste zurückgezogen werden, weil sie regionalen Fremdenverkehrsorganisationen zu weit ging. So sagte Stein Ove Rolland von der westnorwegischen Tourismusorganisation Fjord Norway: „Wir sind der Meinung, dass die Vermarktung von Outdoor-Aktivitäten für einen wachsenden internationalen Urlaubs- und Freizeitmarkt riskant sein kann, weil mehr Menschen gefährdete Naturgebiete auf eigene Faust erkunden wollen. Dies kann zu einer Abnutzung der Natur, zu vermehrter Vermüllung und zu mehr Unfällen und Rettungseinsätzen führen.“
Unter dieser dreckigen Seite des Tourismus leiden die Einwohner der nordnorwegischen Inselgruppe Lofoten bereits seit vielen Jahren. Jetzt droht die 1000-Einwohner-Kommune Moskenes inmitten grandioser Natur wegen der fremden Wohnmobile und -wagen sogar pleite zu gehen. Denn sie hat weder das Geld noch das Personal, um Sanitäranlagen zu pflegen, den Unterhalt von Wegen zu finanzieren oder den Dreck wegzuräumen, den Tausende von Campern jährlich gedankenlos in der Natur hinterlassen. Trotz des Jedermannsrechts haben einige Gemeinden inzwischen das Übernachten an den schönsten Küstenabschnitten bei Strafe verboten und die norwegische Wirtschaftsministerin Cecilie Myrseth will jetzt sicherstellen, „dass die Touristen, die hierherkommen, sich anmelden und für die öffentlichen Güter bezahlen“.
Inzwischen reagieren viele Norweger auf die Camping-Urlauber nicht mehr so freundlich wie früher. „Man könnte meinen, dass der starke Wunsch, die norwegische Natur und das norwegische Erbe zu bewahren, rassistische und nationalistische Züge hat“, schrieb die norwegische Journalistin Shazia Majid kürzlich im Guardian. „Aber ich würde behaupten, dass es nicht darum geht, woher die Touristen kommen, sondern ob sie die Natur und die lokalen Traditionen respektieren.“
Dass Coolcation zum Boom für Skandinaviens Tourismuswirtschaft wird, dürfte noch dauern. Damit gewinnen die Nordländer aber auch Zeit, um rechtzeitig Regeln für ausländische Besucher aufzustellen.