Relayr-CEO Josef Brunner: Wir müssen vom „Chief Bedenkenträger“ zum Umsetzer werden

Relayr-CEO Josef Brunner: „Wir müssen alle die Ärmel hochkrempeln und unseren Teil leisten.“ (Foto: Relayr)
Sich vorzustellen, wie Europa 2030 aussehen sollte, ist eine sehr spannende Aufgabe – und eine relevante. Nur wenn wir uns vorstellen, wie Europa aussehen soll, können wir daran arbeiten, diese Vorstellung Realität werden zu lassen.
Aus digitaler und wirtschaftlicher Sicht erhoffe ich mir ein stolzes, starkes und erfolgreiches Europa. Dazu müssen wir mutiger werden und strategisch wichtige Schritte einleiten. Wir sind zu Recht stolz auf das, was unsere Vorfahren in Europa geleistet haben. Aber wir sind auch zufrieden geworden und fett. Um zu verstehen, was man in der Zukunft ändern könnte, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit, die erstaunliche Parallelen zur heutigen Situation aufzeigt.
Vor etwa 500 Jahren entschied sich ein wohlhabendes Land, den Freihandel als gefährlich zu betrachten. Abschottung sollte den Status quo sichern und so Risiken senken. Dieses Land war China, das sich entschieden hat, seine 3.500 Schiffe zu zerstören. Gleichzeitig gab es auf einem anderen Kontinent Bestrebungen, die wirtschaftliche und militärische Schlagkraft zu erhöhen. Das Leben sollte besser werden und Handel sollte das ermöglichen. Dieser Kontinent war Europa, das Schiffe baute, Handelsrouten schuf und verteidigte.
500 Jahre später stelle ich erstaunt fest, wie sich die Geschichte wiederholt – wir haben nur die Plätze getauscht. China wird mit der neuen Seidenstraße zum größten Infrastrukturinvestor in Europa und investiert in neue Handelsrouten, schafft Abhängigkeiten und emanzipiert sich technologisch. Wir Europäer stellen dies erstaunt und verärgert fest – und ziehen uns in unsere Gremien zurück, in denen wir viel reden und wenig handeln. Das Land der Dichter und Denker beschränkt sich komplett aufs Denken, wagt wenig Mutiges und packt nicht mehr an.
Ideas are easy, execution is everything
Ich für mich erkenne hier einen klaren Trend. Wir sind zu philosophischen Theoretikern geworden, haben immer noch großartige Ideen – wir haben nur vergessen, dass wir auch umsetzen müssen. Wie sagt es John Doerr, Chairman von Kleiner Perkins, so schön: Ideen sind einfach, auf die Ausführung kommt es an. Es scheint, als seien wir Deutsche hier weltweit führend.
Bei wichtigen Themen wie der Industrie 4.0 darf das aber nicht so sein. Wir können uns diesmal nicht erlauben, verwundert an der Seitenlinie zu stehen, während andere das Konzept der industriellen Transformation umsetzen. Ich persönlich glaube, dass im erfolgreichen (oder gescheiterten) Umsetzen dieser Transformation eine entscheidende Weichenstellung für das Europa 2030 liegt.
Vom „Chief Bedenkenträger“ Europas zum pragmatischen Umsetzer werden
Für die Umsetzung würde es uns helfen, wenn wir Deutschen vom „Chief Bedenkenträger“ Europas zum pragmatischen Umsetzer werden würden. Wenn wir die Substanz, die wir haben, mit dem Gründergeist, der uns den Wohlstand, den wir so genießen, gebracht hat, kombinieren und sicherstellen, dass unsere Unternehmen weiterhin relevant und in ihren Industrien erfolgreich sind. Dazu müssen wir alle die Ärmel hochkrempeln und unseren Teil leisten.
Für mich persönlich bedeutet das, dass ich helfen will, einen globalen Technologieführer zu etablieren. Es bedeutet aber auch, dass ich das Glück, das ich haben durfte, und die Erfahrung, die mich auf meiner unternehmerischen Reise machen durfte, weitergebe und junge Unternehmen aktiv mit Kapital und Erfahrung unterstütze. Ich liebe dieses Land, ich bin stolz, Europäer zu sein. Aber ich bin genervt vom ständigen Reden und der fehlenden Umsetzung. Ich hoffe, dass mein kleiner Einsatz einen Unterschied macht, dass Europa 2030 nicht das China von 1530 wird. Packen wir es an, es gibt viel zu tun!