Wie Paris die Seine zu Olympia sauber bekommen hat – und warum es jetzt erneut Wasserprobleme gibt

Anne Hidalgo hat ihr Wort gehalten. Kurz vor Olympia nahm die Bürgermeisterin von Paris ein Bad in der Seine. Mit der Aktion wollte sie der Welt zeigen: Pünktlich zur Eröffnung der Olympischen Spiele am 26. Juli, bei der 100 Boote mit Athlet:innen auf der Seine durch die Stadt fahren, ist die einstige „Toilette von Paris“ wieder sauber genug, um darin zu schwimmen. Ab 2025 soll der Fluss dann auch den Bewohner:innen wieder an vorgegebenen Badestellen offen stehen. Knapp 100 Jahre, nachdem 1923 das Schwimmen in der Seine verboten wurde. Das Problem: Die neue Reinheit hielt nicht lange. Nach Regenschauern am Freitag und Samstag sank die Qualität allerdings wieder, der Triathlon der Männer musste verschoben werden.
Schwimmen mit dem Eiffelturm im Hintergrund: Noch im Mai schien das grundsätzlich unwahrscheinlich. Die Werte von E.Coli-Bakterien und Enterokokken – beides Indikatoren für Fäkalien – waren im Juni aufgrund starker Regenfälle, wenig Sonne und hoher Durchflussmenge immer noch zu hoch. Laut EU-Richtlinie dürfen nicht mehr als 900 koloniebildende Einheiten pro 100 Milliliter Wasser von E.Coli in Binnengewässern nachweisbar sein, um als sicher für Schwimmer:innen zu gelten. An den Messstellen in Paris waren sie vor einigen Wochen noch teils fünffach so hoch.
Nun scheint es doch noch geklappt zu haben, eine echte Punktlandung quasi. Und eine gute Nachricht für die Behörden, die in den vergangenen Jahren rund 1,5 Milliarden Euro in die Bereinigung der Seine investiert haben und dabei große technische Hürden meistern mussten.
Tausende Tonnen Müll schwimmen in der Seine
Das sichtbarste Problem, das nicht nur die Seine, sondern praktisch alle Flüsse haben, die durch stark bevölkerte Gebiete fließen, ist Müll. Jahr für Jahr werden rund 360 Tonnen an großen Müllobjekten aus der Seine gezogen, darunter Fahrräder oder Fernseher.
Noch problematischer aber ist der Plastikmüll. Er sammelt sich auf den fast 800 Kilometern der Seine an, lagert sich an Uferbänken und im Sediment ab. Und es wird immer mehr. An einigen Uferstellen befänden sich bis zu vier Kilo Plastik auf einem Quadratmeter, sagen Experten, darunter alles von Industriepartikeln hin zu Flaschenverschlüssen. Seit Jahren gibt es in der Seine und Nebenflüssen wie der Marne schwimmende Barrieren, um den Müll zu sammeln. Allein 2023 konnten dadurch rund 1.200 Tonnen abgefangen werden, die ansonsten durch Paris geschwommen wären. Auch spezielle Auffangschiffe sind gegen Plastik und anderen Müll im Einsatz, um ihn herauszufischen, bevor er mikroskopisch klein wird.
Eine zweite Art der Verschmutzung der Seine ist mit bloßem Auge zwar nicht sichtbar, lässt sich mitunter aber riechen: Gerade im Einzugsgebiet von Paris ist die Verschmutzung durch Fäkalien die größte Herausforderung. Die Ursachen liegen mehr als 150 Jahre zurück. Als Mitte des 19. Jahrhunderts das Stadtbild von Paris neu geplant wurde, wurde auch die Kanalisation neu konzipiert. Was damals auf dem Stand der Technik war, wurde durch das schneller Bevölkerungswachstum schon bald zum Problem. Es gab nämlich keine Trennung von Schmutz- und Regenwasser. Wann immer es starke Regenfälle gab, wurden die Überläufe in die Seine geöffnet, um Rückstau und Hochwasser zu vermeiden. Somit gelangten Fäkalien und mit ihnen Bakterien wie E.Coli in die Seine.
Die Kanalisation von Paris wird modernisiert
Seit Jahrzehnten versuchen die Behörden von Paris, die Kanalisation zu modernisieren. Inzwischen gibt es automatisch gesteuerte Abflusskanäle und Überlaufbecken, die das Wasser anstatt direkt in den Fluss, zunächst in Kläranlagen umleiten. Die Kläranlage Seine Aval nordwestlich des Zentrums ist nach zahlreichen Erweiterungen inzwischen die größte ihrer Art in Europa und klärt rund zwei Drittel des gesamten Wassers der Hauptstadt. Seit 2007 ist eine Anlage für Nitrifikation und Denitrifikation im Einsatz, um die Stickstoffbelastung zu regulieren.
2022 gelangten insgesamt bereits 90 Prozent weniger Schmutzwasser in die Seine als noch vor 20 Jahren. Weil das immer noch zu viel ist und es immer noch Stellen gibt, in denen sich Schmutz- und Regenwasser vermischen, hat die Stadtverwaltung, angespornt durch die Olympischen Spiele und den „Plan Baignade“ (Schwimmplan) von 2015, deshalb die Bemühungen verstärkt. So wurden in den vergangenen zehn Jahren rund 23.000 Häuser und Hausboote an die Kanalisation angeschlossen, die bislang ihr Schmutzwasser direkt in die Seine geleitet hatten.
Das Kernstück der Seine-Säuberung befindet sich hinter dem Bahnhof Paris-Austerlitz. Dort entstand mit dem Bassin d’Austerlitz ein gigantisches Überlaufbecken, eines von inzwischen drei, das rund 50.000 Kubikmeter Wasser auffangen kann, wenn es starke Regenfälle gibt. Das Wasser soll im Becken gesammelt werden, bevor es nach und nach zu den Kläranlagen geleitet wird. 90 Millionen Euro hat der Bau gekostet. Doch nicht alle Experten sind überzeugt, dass die Kapazität ausreicht.
Seine für die Olympischen Spiele gerüstet, aber nur kurz
Bürgermeisterin Anne Hidalgo und die Veranstalter der Olympischen Spiele konnten dennoch zufrieden sein – zumindest kurzzeitig. Regenfälle bleiben ein Problem. Sind die verzogen und mehr Wasser die Seine heruntergeflossen, verbessert sich das Niveau aber wieder. Dass sich die Wasserqualität grundlegend gebessert hat, zeigen nicht nur wissenschaftliche Proben, sondern auch die Tatsache, dass in den vergangenen Jahren zahlreiche Fischarten in den Fluss zurückgekehrt sind.
Nicht zuletzt schauen auch andere Städte ganz genau nach Paris. Los Angeles, wo in vier Jahren die nächsten Olympischen Sommerspiele stattfinden, hat bereits Expert:innen nach Paris gesandt, um daraus zu lernen. Und auch in Berlin arbeitet man seit Jahren daran, die Spree wieder sauber zu machen. Beziehungsweise: sauberer.