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Interview
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Satiriker Shahak Shapira im Interview: „Die Werbebranche respektiert dich nur, wenn du zu viel arbeitest“

Spätestens nach seinem Auftritt im Neo Magazin Royale von Jan Böhmermann ist Shahak Shapira einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Was aber wenige wissen: Er kommt ursprünglich aus der Werbebranche. 

Von HORIZONT Online
8 Min. Lesezeit
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Satiriker Shahak Shapira (Bild: Johann Sebastian Hänel)

Horizont: Shahak, du machst dir derzeit als Buchautor und Satiriker einen Namen, kommst aber eigentlich aus der Werbebranche.

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Shahak Shapira: Ja, ich bin aber mehr oder weniger ausgestiegen. Seit vier Jahren arbeite ich jetzt schon als Freelancer in der Branche und habe auch viele Projekte begleitet, vor allem im vergangenen Jahr. 2017 habe ich aber noch gar nichts gemacht.

Horizont: Fangen wir mal vorne an. Wie hat es dich eigentlich in die Werbung verschlagen?

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Als ich nach Deutschland kam, war ich 14 Jahre alt und konnte kein Wort Deutsch. Anstatt draußen mit anderen zu spielen, saß ich also lange Zeit zu Hause und bastelte am Computer mit Photoshop herum. Drei Jahre später hatte ich meine eigene kleine Firma, mit der ich im Grunde Webseiten gestaltet habe. Dann bin ich nach Berlin gezogen, habe für ein paar Online-Agenturen als Designer gearbeitet und später – da war ich Anfang 20 – ein Stipendium für die Miami Ad School bekommen. Als Praktikant durfte ich bei Saatchi & Saatchi in Schweden, bei Crispin, Porter & Bogusky in den USA und bei Wieden + Kennedy in Brasilien arbeiten.

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Horizont: Wie ging es nach der Miami Ad School weiter?

Danach habe ich in Hamburg für Jung von Matt gearbeitet. Weil mir die Agentur nicht so gepasst hat, bin ich schließlich Freelancer geworden und habe beispielsweise im vergangenen Jahr für die Agentur DCMN eine Kreativabteilung aufgebaut und den Werbespot für Clash of Kings mit Bastian Schweinsteiger konzipiert. Ab und an übernehme ich auch Regie, Schnitt und Werbemusik.

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Horizont: Stimmt es, dass du eigentlich Pilot werden wolltest?

Das stimmt. Ich hätte es auch fast geschafft, hatte bei der Lufthansa alle Auswahlprüfungen bestanden. Leider hatte ich zu diesem Zeitpunkt zu viele Punkte in Flensburg. Maximal sechs Punkte durfte man haben. Ich hatte sieben (lacht). Das war das Aus für mich.

Horizont: Du durftest in zahlreichen namhaften Agenturen arbeiten. Welche Erfahrungen hast du bei Saatchi & Saatchi, Wieden + Kennedy und Co. gemacht?

Das war eine krasse Zeit, vor allem in Colorado bei Crispin, Porter & Bogusky. Wir mussten mindestens einmal in der Woche durchmachen. Und ich meine nicht, dass wir uns nachts um eins auf das Bürosofa gelegt haben. Wir haben durchgearbeitet. Bis zum nächsten Tag, 20 Uhr. Es war total verrückt, aber gleichzeitig eine der geilsten Agenturen, die ich je kennengelernt habe.

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Horizont: Die Arbeitsbedingungen waren also kein Problem für dich?

Das kann man so nicht sagen. Man nimmt diese Sklaverei aber irgendwann einfach hin. So schlimm das auch klingt. Man findet sich auch deshalb recht schnell damit ab, weil man mit den Kollegen ja quasi ein gemeinsames Schicksal teilt.

Horizont: Kritik an den Arbeitsbedingungen in Agenturen gibt es nach wie vor. Warum glaubst du, hat sich daran nicht viel geändert?

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Ich habe das Gefühl, dass die Werbebranche dich nur respektiert, wenn du zu viel arbeitest. An dieser Einstellung muss sich etwas ändern, denn sie ist ein Trugschluss. Es muss um die Qualität deiner Arbeit gehen, nicht um die Quantität.

Als Freelancer geht das. Bei Wieden + Kennedy wahrscheinlich nicht. Nein, natürlich nicht. Bei Crispin, Porter & Bogusky mussten wir beispielsweise sehr viel photoshoppen. Und sobald wir fertig waren, kam schon die nächste Aufgabe, und dann noch eine und noch eine. Das hört nicht auf. Die haben ein unendliches Kontingent an Arbeit. Aber als Praktikant zählt das für dich, denn du willst ja im besten Fall einen Job bei der Agentur abstauben. Und das ist der Knackpunkt: Im Prinzip hängt die ganze Karriere junger Talente davon ab, wie viel sie arbeiten.

Horizont: Hat es dich nie als Festangestellter in eine Agentur gezogen?

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Überhaupt nicht. Ich finde es super. Viele denken, als Freelancer bekommt man immer nur die Scheiß-Jobs, aber das stimmt nicht. Wenn du gut bist, laden dich die Agenturen ein, haben wirklich spannende Projekte anzubieten und behandeln dich mit Respekt. Auch aus finanziellen Gründen würde ich mich nicht gegen die Selbstständigkeit entscheiden. Als Freelancer wird man ausreichend gut bezahlt. Und wenn ich 16 Stunden arbeiten muss, dann berechne ich einfach zwei Tage (lacht).

Horizont: Was waren deine letzten Arbeiten?

Neben dem erwähnten Schweinsteiger-Spot habe ich beispielsweise eine Kampagne für Mydealz konzipiert. Dafür hatte ich mir eine lustige Abwandlung des Phänomens FOMO (Fear of missing out, siehe unten, Anm. d. Red.) ausgedacht. Das Besondere an dem Projekt war, dass ich quasi alles mehr oder weniger allein gemacht habe. Ich war quasi die Agentur. Ich habe alle Aufgaben übernommen, sprich konzipiert, geschrieben, geschnitten, komponiert, Regie geführt.

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Horizont: Jetzt hast du dich ein wenig aus der Werbebranche zurückgezogen. Wie verdienst du heute dein Geld?

Ich habe mich im vergangenen Jahr totgearbeitet und genug Geld verdient, um mir eine kleine Pause zu gönnen und mich zu orientieren. Ich konzentriere mich jetzt vor allem auf Stand-up-Auftritte und bin bereits mit einem eigenen Programm auf Tour. Außerdem schaue ich mir gerade an, welche Möglichkeiten es im Fernsehen für mich gibt. Aber das ist alles gerade erst im Entstehen.

Horizont: Wird es also bald eine TV-Show mit dir geben?

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Das wird gerade immer konkreter, aber ich kann dazu noch nicht viel sagen. TV-Erfahrung habe ich zumindest schon einmal gesammelt, als ich in einem Werbespot mitgespielt habe. Der Kunde war damals zu geizig, echte Schauspieler zu engagieren (lacht).

Horizont: Angefangen hat alles 2014, als du in der Berliner U-Bahn antisemitische Gesänge gefilmt hast und dafür verprügelt wurdest. Danach berichteten die Medien bundesweit über dich. Hat dich dieser Vorfall, so traurig er auch ist, dorthin geführt, wo du heute bist?

Das würde ich nicht unbedingt sagen. Die meisten Menschen kennen mich heute nicht wegen dieses Vorfalls, sondern wegen meines Projekts Yolocaust. Oder weil sie mich auf Facebook gesehen haben, weil ich dort so gerne die AfD verarsche. Auch mein Buch „Das wird man ja wohl noch schreiben dürfen“, das ich nach diesem Vorfall in der U-Bahn geschrieben habe, blieb eine ganze Weile relativ unbeachtet. Erst nachdem ich bei Jan Böhmermann zu Gast war, kam der Stein ins Rollen und ich fing an, eine Community aufzubauen. Und die wird jetzt immer größer.

Horizont: Weil du sie offenbar sehr gut pflegst. Du bist in den sozialen Medien recht umtriebig und beteiligst dich an vielen Diskussionen. Versuchst du – um im Marketing-Sprech zu bleiben – eine Personal Brand aufzubauen?

Nein, im Ernst: Ich würde nie irgendwelche Rabatt-Codes für Shampoos auf Instagram posten. Das ist nichts für mich.


Macht das nicht jede Person oder Marke, die sich in der Öffentlichkeit darstellt? Ach Gott, jetzt klinge ich schon wie ein Pseudo-Experte: „Der User ist eine Marke.“ „Self-Branding is the new User-Metric.“ So ein Scheiß (lacht). Klar: Sobald du in der Öffentlichkeit stehst, bist du eine Marke. Ich versuche aber nicht, daraus Kapital zu schlagen. Ich bin kein Influencer, der unterschwellig versucht, etwas zu verticken. Noch nicht (lacht). Nein, im Ernst: Ich würde nie irgendwelche Rabatt-Codes für Shampoos auf Instagram posten. Das ist nichts für mich.

Horizont: Die Person Shahak Shapira ließe sich aber vermutlich gut vermarkten. Ein Jude in Deutschland. Freche Schnauze. Immer einen lustigen Spruch auf den Lippen. Damit kann man doch gut verkaufen, oder?

Die Frage ist, was man damit verkaufen will. Mich? Ja, hoffentlich! Ich versuche, mich aber nicht mehr so stark als Jude zu positionieren. Ich habe einfach keine Lust mehr darauf, hatte ich auch ehrlich gesagt nie. Den Untertitel „Wie ich der deutscheste Jude der Welt wurde“, den ich für mein Buch gewählt hatte, würde ich heute nicht mehr wählen. Weil er einfach nicht stimmt. Ich bin weder besonders deutsch noch besonders jüdisch.

Horizont: Das heißt, du stellst dich in deinem neuen Buch weniger in den Vordergrund?

Da stelle ich mich gar nicht in den Vordergrund. Ich schreibe gerade die Bibel, die sogenannte „holyge Bimmbel“. Ende des Jahres wird sie im Rowohlt-Verlag erscheinen. Bei vielen meiner neueren Projekte geht es nicht zwingend um mich, wie beispielsweise bei Yolocaust oder dem AfD-Adventskalender.

Horizont: Du hast eben Yolocaust angesprochen. Warum genau hast du dieses Projekt initiiert?

Weil ich es kann (lacht). Ich habe in den sozialen Medien jahrelang beobachtet, wie die Nutzer grinsend Selfies am Holocaust-Mahnmal geschossen haben. Irgendwann habe ich dann Photoshop angeschmissen und losgelegt.

Horizont: Diese fröhlichen Selfies an einem Denkmal für ermordete Juden gingen dir also auf die Nerven?

Das Problem war, dass sich dieses Verhalten in der Gesellschaft normalisiert hat. Die Menschen haben dort Selfies gemacht, wussten aber nicht, wo sie da eigentlich standen. Ich hatte das Gefühl, ich müsste die Menschen wieder daran erinnern, dass es sich um ein Mahnmal handelt.

Horizont: Man merkt, dass du dich gerne politisch engagierst. Du teilst gerne gegen die AfD aus oder setzt dich für die Freilassung des inhaftierten Journalisten Deniz Yücel ein.

Ganz ehrlich: Das passiert einfach. Ich will das eigentlich gar nicht. Die Leute fragen mich auch immer, was meine Botschaft sei. Ich habe keine Botschaft! Manchmal habe ich eine Meinung, aber ich habe nicht die eine Botschaft.

Horizont: Du willst dich weniger politisch äußern, obwohl gerade der Wahlkampf für die Bundestagswahl erst so richtig ins Rollen kommt?

Wenn eine Stimme wie meine gefragt ist, bin ich am Start. Aber ich möchte auch andere Facetten von mir zeigen. Klar, ich verarsche gerne die AfD, aber ich will nicht, dass das alles ist, was man von mir hört. Was mache ich denn, wenn die AfD nicht mehr existiert? Was übrigens nur eine Frage der Zeit ist. Okay, es gibt immer noch Markus Söder. Aber ernsthaft: Ich habe auch andere Interessen und Pointen außerhalb der Politik.

Horizont: Was hältst du davon, wenn Agenturen für Parteien werben?

Das ist ein schwieriges Thema. Ist es nicht gefährlich, dass diejenigen gewinnen, die die bessere Werbeagentur haben? Was machen wir denn, wenn die AfD Wieden + Kennedy als Agentur bekäme? Wir wären am Arsch.

Horizont: Ist der Einfluss von Werbeagenturen wirklich so groß?

Die US-Wahlen sind das beste Beispiel: Auch wenn das im Nachhinein viele Menschen von sich behaupten, aber ich hatte schon immer die Vermutung, dass Trump gewinnen würde. Einen Tag vor den Wahlen liefen die jeweils letzten Werbespots von Clinton und Trump. Ich habe sie mir beide angesehen und danach gedacht: Mist, Trump gewinnt. Sein Spot war inhaltlich voller Fehler, aber einfach gut gemacht. Da merkt man, wie mächtig Werbeagenturen sind.

Horizont: Welche Chancen glaubst du hat beispielsweise die CDU mit Jung von Matt?

Ehrlich gesagt, finde ich es ziemlich komisch, dass Jung von Matt Werbung für die CDU macht. Es arbeiten sicherlich einige homosexuelle Menschen bei Jung von Matt. Und die CDU ist immer noch die Partei, die Schwule nicht heiraten lässt.

Wie erklärt man so etwas als Agenturchef seinen Angestellten? „Wir machen jetzt Werbung für die Partei, die euch nicht heiraten lässt.“ Die diplomatische Antwort ist: Ich hoffe, dass jede Werbeagentur, die eine Partei vertritt, es schafft, den Menschen genau klarzumachen, wofür diese Partei steht und wofür nicht.

Horizont: Deine Prognose: Wer wird Kanzler?

Serdar Somuncu.

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