Startups für die Zukunft: Wie sich Frankreich zur Tech-Nation mausert
Helles Licht durchflutet die riesige Halle im 13. Arrondissement im Süden von Paris. Links und rechts tüfteln Gründer von überall aus der Welt in gläsernen Boxen konzentriert an ihren Geschäftsideen. In speziellen Werkräumen können die technologischen Innovationen direkt getestet und in 3D gedruckt werden. Was Anfang des 20. Jahrhunderts noch als Güterbahnhof diente, gilt unlängst als der weltweit größte Startup-Campus: Station F.
Die Idee für den Inkubator war bereits vor über sechs Jahren entstanden. 2013 hatte der französische Unternehmer und Milliardär Xavier Niel die einstige „Halle Freyssinet“ gekauft und 250 Millionen Euro in den Umbau des Bahnhofs investiert. Eröffnet wurde Station F im Juni 2017.
Seither haben sich Jahr für Jahr immer mehr Gründer bei einem der zahlreichen Programme beworben, die den Jungunternehmern einen Arbeitsplatz im Inkubator bereithalten. Sie reichen von Angeboten von Facebook und Microsoft über Adidas bis hin zu zwei hauseigenen Programmen. Den Jungunternehmern werden individuelle Fördermaßnahmen geboten: von Mentoring- und Coaching-Workshops bis hin zum Zugang zu speziellen Gründernetzwerken.
Ein internationales Startup-Netzwerk
Ein Arbeitsplatz im Station F ist beliebt: Allein 2019 haben über 1.200 Startups im Inkubator gearbeitet. Die meisten von ihnen kamen aus den USA. Viele stammten aber etwa auch aus Korea, Indien, Italien und Algerien.
Die Vielfalt der Herkunftsländer der Jungunternehmer macht deutlich: Station F ist weit mehr als ein Coworking-Space für Gründer; der Inkubator ist ein Treffpunkt zur internationalen Vernetzung von Startups. Für die Direktorin des Campus, Roxanne Varza, steht das Stichwort Integration weit oben auf der Agenda: „Wir wollen nicht nur Unternehmer unterstützen, sondern auch die Vielfalt des Unternehmertums fördern, indem wir Menschen aus dem Ausland und mit benachteiligtem Hintergrund willkommen heißen.“ Die Macher hinter dem Projekt wissen, worauf es bei der Entwicklung zu einer Tech-Nation ankommt: auf einen Gründergeist, der weit über die nationalen Grenzen hinaus reicht.
Dafür erhält Station F die volle Unterstützung des französischen Staates: Seitdem die Regierung 2013 das sogenannte French Tech Program ins Leben gerufen hat, arbeitet der Zentralstaat unablässig am Ausbau seines internationalen Gründernetzwerks. In über 100 Städten rund um den Globus helfen French Tech Communities französischen Gründern dabei, auch im Ausland Fuß zu fassen.
Tech-Gründer aus dem Ausland
Daneben spielt die Werbung von Jungunternehmern, Investoren und Fachkräften außerhalb Europas eine zentrale Rolle im Programm. Mithilfe des French Tech Visums wirbt Frankreich junge, technologieaffine Talente aus dem Ausland an. Sie sollen im Zentralstaat gründen, investieren oder in einem Startup mitarbeiten. Dafür bekommen sie eine zunächst auf vier Jahre befristete Aufenthaltsgenehmigung, die bedarfsweise verlängert werden kann. Zudem dürfen auch Familienmitglieder einreisen und während des Programms in Frankreich leben.
Das Projekt ist gut angelaufen: Laut Kat Borlongan, der Direktorin des French Tech Programs, haben bereits über 500 französische Unternehmen von dem Visum Gebrauch gemacht und spezialisierte Fachkräfte aus dem Ausland angeworben. „Das French Tech Visum ist das hilfreichste seiner Art für Mitarbeiter auf der ganzen Welt“, ist die gebürtige Philippina überzeugt: „Buchstäblich jedes Startup in Frankreich kann jeden beliebigen Mitarbeiter von überall auf der Welt einstellen.“
Steigende Investitionen
Das fördert nicht nur den internationalen Austausch. Dank der divers aufgestellten Teams finden stets neue Ideen Eingang in die Startups – und erleichtern so die Entwicklung innovativer Technologien: „Im Vergleich zu London oder Berlin ist Paris besonders stark im Bereich Deep Tech. Alle großen KI-Zentren sind hier angesiedelt, von Google über Facebook oder IBM. Wenn es um künstliche Intelligenz geht, hat Paris einen echten Wissensvorsprung“, sagt die French-Tech-Direktorin nicht ohne Stolz.
Dieses Alleinstellungsmerkmal der französischen Hauptstadt macht sich auch auf Investorenseite bemerkbar. Dem aktuellen Startup-Barometer der Unternehmensberatung EY zufolge landet Paris hinsichtlich des Investitionsvolumens in Jungunternehmen inzwischen deutlich vor Berlin. Während die deutsche Hauptstadt im ersten Halbjahr 2019 Investitionen in Startups in Höhe von knapp zwei Milliarden Euro vorweisen kann, beläuft sich die Summe in Paris auf gut 2,2 Milliarden Euro. Unangefochtener europäischer Spitzenreiter bleibt nach wie vor jedoch London mit gut 5,7 Milliarden Euro.
Wenig Geld für großes Wachstum
Der Vergleich zur Hauptstadt des Vereinigten Königreiches macht deutlich: Wenngleich Frankreich seit einigen Jahren intensiv an seinem Status als aufstrebende Startup-Nation arbeitet, kämpft der Zentralstaat noch immer mit so manchen Tücken des eigenen Marktes. „Die Herausforderungen, mit denen sich Gründer konfrontiert sehen, sind in Frankreich weitestgehend ähnlich wie in Deutschland. Zu ihnen zählt etwa das Thema Hypergrowth“, erklärt Kat Borlongan. Obwohl die Vielzahl der französischen Startups zwar inzwischen sehr erfreulich sei, fehle vielen das Geld, um schnell und effizient zu wachsen. Entsprechend sähen sich viele Jungunternehmer dazu gezwungen, mit ihren Geschäftsideen in die USA abzuwandern.
Darüber hinaus arbeiteten in der jungen Tech-Branche im Zentralstaat noch immer überwiegend Franzosen – auch trotz des French Tech Visums: „Das birgt mehrere Nachteile, denn es bedeutet auch, dass wir einen geringeren Zugang zu Talenten haben“, mahnt die Direktorin. Sofern Gründer bei der Einstellung neuer Mitarbeiter ausschließlich auf den nationalen Arbeitsmarkt blicken, vergeben sie sich die Chance, noch qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen.
Dabei zielt das French Tech Program keineswegs nur darauf ab, ausschließlich Jungunternehmen für den französischen Absatzmarkt zu gewinnen. Im Gegenteil: „Wir möchten, dass die Startups auch ins Ausland gehen. Sie sollen international agieren – vom ersten Tag an“, sagt Kat Borlongan. Warum das so ist? Nur wenn technologisch orientierte Startups von Beginn an groß denken und bereit sind, ihren Heimatmarkt zu verlassen, können sie sich zu Tech-Champions entwickeln. Fortschritt endet nicht an einer nationalen Grenze.