Strompreiszonen für Deutschland: Das musst du über eine mögliche Aufteilung wissen

In der Diskussion sind bis zu fünf mögliche Strompreiszonen. (Foto: Jan von nebenan/Shutterstock)
Kurz vor Weihnachten 2024 platzte Ebba Busch der Kragen. Die schwedische Energie- und Industrieministerin von der Partei „Kristdemokraterna“ fauchte auf einer Pressekonferenz in Brüssel: „Lassen Sie es mich so ausdrücken: Ich bin sauer auf die Deutschen.“ Sie macht Deutschland nämlich für die hohen Strompreise in Südschweden verantwortlich. Das Land habe es versäumt, sein Stromnetz in Preiszonen („Bidding Zones“) aufzuteilen. Sie drohte sogar, deswegen ein geplantes Stromkabel zwischen Schweden und Deutschland auf Eis zu legen.
Während Deutschland und Luxemburg zusammen eine einzige große Stromhandelszone darstellen, in der überall derselbe Strompreis gilt, ist Schweden seit 2011 in vier Zonen unterteilt. Am 12. Dezember 2024 lagen die schwedischen Strompreise in den beiden südlichen Zonen 3 und 4 bei umgerechnet etwa 80 Eurocent pro Kilowattstunde – für Schweden ein horrender Preis. Da an diesem Tag Wind und Sonne in Norddeutschland kaum Strom lieferten, musste er über Südschweden aus der schwedischen Nordzone und aus Norwegen importiert werden. Die Folge: der Marktpreis in Schweden schnellte nach oben.
Szenarien für Strompreiszonen untersucht
Ob die Einrichtung von Strompreiszonen nach dem Vorbild Schwedens, Norwegens oder Italiens sinnvoll ist, sollte der Verband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) untersuchen. Als Ergebnis veröffentlichte er den „Bidding Zone Review 2025“.
Für Deutschland untersuchte er Szenarien für zwei bis fünf Strompreiszonen. Alle vier Aufteilungen seien danach sinnvoll, den größten sozio-ökonomischen Vorteil hätte aber die Aufteilung in fünf Zonen mit einer durchschnittlichen jährlichen Einsparung von 339 Millionen Euro, berechnet allerdings nur für das Zieljahr 2025.
Bereits 2019 hatte die EU-Kommission ENTSO-E aufgefordert, den Bericht innerhalb von 15 Monaten vorzulegen und darin verschiedene Varianten von Netzentwicklungen bis 2029 zu berücksichtigen. Nun liegt er – mit deutlicher Verspätung vor. In einem Pressebriefing des Science Media Centers (SMC) kritisierte Karsten Neuhoff vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor an der TU Berlin den Bericht denn auch scharf. „Leider kam der Bericht fünf Jahre zu spät raus und es wurde nur eine einzige Entwicklung der Infrastruktur berücksichtigt, und auch nur die Perspektive 2025, also heute, somit eigentlich keine Vorausschau.“
Mehr noch: Die Daten, die der Studie zugrunde liegen, stammen aus Zeiten von vor 2019, sind also veraltet. „Beim Erneuerbaren-Energien-Ausbau sind schon jetzt 50 Prozent mehr PV-Anlagen am Netz, als damals angenommen wurde, und je mehr Erneuerbare im System sind, desto mehr wird auch das Netz herausgefordert“, kommentierte Neuhoff.
Dramatisch unterschätzen würde der Bericht auch die Flexibilität des Netzes, zu der beispielsweise Batterien oder E-Autos beitragen. Neuhoff: „(Für 2019) wurden 1,3 Gigawatt explizite Flexibilität angenommen, wir haben jetzt zehnmal so viele Batterien ans System angeschlossen.“
Politik am Zug für mögliche Strompreiszonen
Weil klare Empfehlungen der Netzbetreiber fehlen, müssen jetzt Politik oder Regulierungsbehörden in den nächsten sechs Monaten entscheiden, wie die Zonen zugeschnitten werden müssen – wenn sie in Deutschland überhaupt kommen. Denn nach dem Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD soll sich an der einheitlichen Großzone nichts ändern, zumal heftige Gegenwehr vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) und vom Verband der Chemischen Industrie (VCI) kommt. Sie fürchten zu hohe Strompreise dort, wo viele Industrieverbraucher vorhanden sind.
Dabei gehe es nicht darum, dem einen hier was wegzunehmen und dem anderen zu geben, korrigiert Lion Hirth, Professor für Energiepolitik an der Hertie School. „Es geht um einen besseren Betrieb des Stromsystems, mehr Intelligenz im Netz und niedrigere Kosten.“ Denn Hauptkostentreiber sei das sogenannte Redispatch, Eingriffe in das Transportnetz. „Das sind aufwendige und teure Eingriffe, wo Computer Modelle berechnen, Menschen Entscheidungen und telefonische Absprachen treffen müssen.“
Vermehrte spontane Eingriffe ins Stromtransportnetz
„Wir haben immer größere Mengen an Redispatch, die auch immer kurzfristiger passieren, weil Wind- und Solaranlagen oft ganz kurzfristig abgeregelt werden und Batterien, die jetzt so schnell gebaut werden, wahnsinnig schnell in Betrieb sind, viel schneller an- und ausgeschaltet werden können als ein Kraftwerk“, erklärte Hirth und berichtete, dass sich Netzbetreiber bereits Sorgen machen, sie könnten mit den Redispatch-Prozessen irgendwann nicht mehr hinterherkommen, wobei dann Fehler passieren.
Da hilft der Ruf nach mehr Leitungsbau nicht, wie Martin Bichler von der TU München erläuterte: „Das geht leider nicht so schnell.“ Denn schon mit dem aktuellen Netzausbau sei man deutlich hintendran.
Vorteile von kleinen Strompreiszonen
Je kleiner und lokaler eine Handelszone ist, desto besser stimmen Marktpreis und physikalische Kapazität überein, während der teure Redispatch entfällt. Neuhoff sieht das beim „Nodal Pricing“ optimal verwirklicht. Dabei entsteht die Preisbildung für den Strom an einem Knotenpunkt des Netzes, etwa einem Umspannwerk. „Der Vorteil ist“, so Neuhoff, „dass ich im Echtzeitmarkt immer vor Ort einerseits handeln kann, aber der Clearing-Algorithmus der Auktion berücksichtigt auch alle anderen Angebote in ganz Deutschland oder Europa.“ Polen wollte diesen Schritt vor einigen Jahren gehen, scheiterte aber an Einsprüchen der EU-Kommission und aus Deutschland. Nodal Pricing wird derzeit vor allem in den USA, Australien und neuerdings in England angewendet.
Hirth ist angesichts des Gegenwindes gegen die Einführung von Gebotszonen pessimistisch: „Ich vermute, wenn wir als Deutschland an einer einheitlichen Gebotszone festhalten, dann wird das dazu führen, dass wir nicht nur den Strommarkt stückweise immer weiter rückabwickeln werden, sondern auch sehr viel länger an Großkraftwerken festhalten werden müssen, den Batterieausbau abbremsen müssen und auch den Elektroauto- und erneuerbaren Energiezubau in vielen Regionen ausbremsen werden müssen. Und das wäre ziemlich bitter aus meiner Sicht.“