Support your local Barcamp – eine Ode an die „Unkonferenzen“
Wenn dann übrigens noch die ersten Nokia-Vergleiche herangezogen werden und das Unwort „Disruption“ gefühlt öfter fällt als Hinweise auf Chancen, die jede Veränderung nun einmal mit sich bringt, dann steht bei mir die körpereigene CPU kurz vor einem Reboot. ICH KANN ES NICHT MEHR HÖREN!
Die vermeintlichen Veranstaltungen für Vordenker der Branche sind letztendlich zu riesigen Echokammern einer monothematischen Selbstbefruchtung geworden. Wohlgemerkt durchaus lukrativ. Zumindest für die Veranstalter, die damit zum großen Teil auch die unaufhaltsam schwindenden Profite des eigentlichen Kerngeschäfts zumindest teilweise auszugleichen versuchen. Die Medien, vor allen Dingen Print, haben derartige Events nicht erst seit gestern für sich entdeckt und zuweilen hat es den Eindruck, als erreichen überregionale Wirtschaftsmagazine mit ihren Eventformaten mehr Menschen als mit dem hauseigenen Druckerzeugnis.
Raus aus der Filterblase
Mich langweilt es ehrlich gesagt nur noch. Zu selten erlebe ich auf diesen Veranstaltungen die so wichtigen Aha-Momente. Diese Vorträge, die nicht nur an der Oberfläche der Großhirnrinde kratzen, sondern festgefahrene Perspektiven und Narrative in eine völlig neue, bis dato nicht für möglich gehaltene Richtung lenken können. Ich will überrascht werden und das kann nur stattfinden, wenn mich jemand komplett aus der eigenen Komfortzone schießt.
Genau deshalb hieß es dieses Jahr wieder ein wenig zurück zu den eigenen Event-Wurzeln. Barcamps lautet das Zauberwort. Diese wunderbaren „Unkonferenzen“, deren Dynamik und thematische Bandbreite schon bei der morgendlichen Sessionplanung eine Herausforderung für den eigenen Horizont darstellen. An den letzten beiden Wochenenden konnte ich genau das wieder erleben und es fühlt sich auch jetzt noch an wie das Äquivalent einer Hustensalbe, auf die Brust eines Buzzword-Bingo-geschädigten Konferenzteilnehmers. Es tat … es tut immer noch gut.
OTMR in Leipzig, danach das Barcamp Regensburg und final noch das Böblinger Barcamp. Thematisch ging das wirklich einmal quer durch den Garten. Von technologischen Überwachungsinfrastrukturen in Übersee rüber zu „Zero Waste“-Initiativen und Social-Media-Strategien von Bundesligavereinen bis hin zu Töpferkursen und Smartcity-Diskussionen. Was ich hier an drei Tagen mitnehmen konnte, das passt nicht einmal ansatzweise in die Agenden der zuvor von mir kritisierten Veranstaltungsformate.
Barcamps sind wie die 90er
Barcamps fühlen sich wie die IRC-Chats und Forenszenen der 90er an. Diese herrlich chaotischen und kreativen Fundamente des Netzes, die im Laufe der Zeit durch knallhart durchkalkulierte soziale Netzwerke ersetzt wurden. Ja, wenn ich länger drüber nachdenke, dann merke ich erst, wie gut dieser emotional-nostalgische Vergleich passt.
Barcamps, das sind Wissenscommunitys ohne Profitdenken. Veranstaltungen, für die sich Menschen an einem Sonntag um 6 Uhr aus dem Bett schälen und oft Hunderte Kilometer fahren, damit sie mit anderen ihr Wissen teilen können. Kostenlos und ohne, dass sie dafür eine Gegenleistung erwarten. Mitbringpartys, die von ihren Teilnehmern und nicht von Predigten aus der Kanzel herab leben.
Genau das habe ich so vermisst und genau deshalb appelliere ich gerne an euch, Barcamps zu unterstützen. Ob in der Orga, als Teilnehmerinnen und Teilnehmer, oder aber natürlich als Sponsor. Eine freie, offene und tolerante Gesellschaft benötigt derartige Events, die sich jeder leisten kann und das Potenzial haben, die eigene Sichtweise zu hinterfragen und neue Perspektiven zu schaffen!
Danke für diesen Beitrag! Wir in Flensburg haben seit mittlerweile 4 Jahren ein Barcamp, und ich kann deine Punkte nur bestätigen, besonders liebe ich die Vielfalt. In den letzten Jahren habe ich – abgesehen von natürlich auch spannenden Fachrunden – unter anderem gelernt wie man Pflanzen zu Hause anbaut, Ukulele spielt, eine Katze baut, ein Haus verkauft, ein T-Shirt bedruckt und eine Debatte „Krawatte Pro/Kontra“ verfolgt.