Über die neue App, die den Video-Markt revolutioniert (also, vielleicht) – und Beziehungen am Arbeitsplatz
Howdy from Austin! 👋
Ich bin enttäuscht. Von Jonah Peretti und von meiner SXSW-Bacon-Tradition. Bislang bin ich in jedem Jahr am ersten Morgen vom Airbnb-Rauchmelder geweckt worden, der ohrenbetäubend den Rauch des Baconbratens herausgepiept hat. Diesmal ist unsere Küche so modern, dass der Bacon ganz ohne Feueralarm fantastisch wurde.
Peretti dafür nicht so sehr. Aber dazu später. Vorneweg mein Highlight zum Weltfrauentag auf der SXSW: ein Kommentar von Meg Whitman, der Grande Dame der Tech-Industry. Als sie ihren neuen Short-Video-Streaming-Dienst Quibi vorstellt, fragt der Moderator: „Did you do market research or is it just based on your gut feeling?“ Und die 62-jährige Ex-Ebay- und Ex-Hewlett-Packard-Chefin kontert: „I have been in the industry for over 30 years now.“
Natürlich bekommt diese Frage wieder die Frau und nicht ihr Mitgründer auf der Bühne gestellt, und genau das zeigt, dass wir noch ein bisschen weiter den Weltfrauentag feiern können und sollten. Trotz Muddled Masculinity, einem der sieben Non-obvious-Trends.
🔮 #MediaTrends
tl, dr: Die Enttäuschung des Tages: Jonah Peretti von Buzzfeed. Die Überraschung des Tages: Quibi, ein neues Streaming-Startup, das gestern auf der SXSW vorgestellt wurde.
Kurz zu Peretti, dem Gründer von Buzzfeed: Das Überraschendste war, dass er eine Lanze für die Plattformen gebrochen hat. Peretti hatte Zahlen dabei, wie viel Revenue die Plattformen mittlerweile einbringen und was Buzzfeed daraus gemacht hat. Viel mehr war dann aber auch nicht dabei, sondern eher überraschend viel Altes. Affiliate-Links zu Amazon zum Beispiel, die gerade ein Revival bei Buzzfeed haben, außerdem verkaufen sie eigene Produktlinien zu ihren Content-Marken wie beispielsweise Küchengeräte von Tasty. Da hätte ich mir vom Talk mehr Neues erwartet.
Das gab es dafür in der Keynote. Jeffrey Katzenberg und Meg Whitman stellten ihr neues Startup vor: Quibi. Eine App, die zehnminütige Videos in Game-of-Thrones-Qualität für eine Subscription zur Verfügung stellen soll. Das Spannende: Beide sind über 60, Jeffrey ist Hollywood-Titan, Meg super-erfahren in Tech und Silicon Valley. Und: Zu Quibi gibt es bislang nicht mehr als eine Landingpage – und eine Milliarde US-Dollar (!) Funding von Alibaba (!).
Die Idee klingt clever und zukunftsgewandt. Leute würden hochqualitativen Videocontent lieben und heute schon 70 Minuten davon schauen – pro Tag. Die kurze Form passt perfekt zur mobilen Konzeption und außerdem ist es ein perfekter Use-Case für die 5G-Diskussion.
Jede Woche wollen sie über 100 Videos in den unterschiedlichsten Sprachen herausbringen, die nicht das Fernsehen abbilden sollen, sondern interaktiv und im Hoch- wie Querformat optimiert sein.
Aber: Starten soll das Ganze erst in mehr als einem Jahr. Und das zeigt, wie viel PR-Maschinerie die SXSW mittlerweile ist. Ein Jahr, bevor es überhaupt die App gibt, geben die Gründer schon eine Keynote, da ist die Fallhöhe hoch.
👩💻 #TechThatChangesTheWorld
Letztes Jahr war einer der spannendsten Talks für mich der von Rohit Bhargava zu den „7 non-obvious trends“. Dieses Jahr gab es die 2019er-Edition – und vielleicht waren meine Erwartungen zu hoch, aber die Trends in diesem Jahr waren ziemlich obvious.
1. Retrotrust
Wenn die Welt zu komplex wird und wir außerdem gerade eine große Krise haben in der Frage, wem man was eigentlich noch glaube kann, dann geht man zurück zu dem, was bekannt ist. Deshalb sind gerade die 80er (Stranger Things!) und 90er (You remember the good old 90s Party?) wieder so in. Eigentlich ja mal eine super Nachricht für Legacy-Media: Eure 70+ Jahre alten Marken werden einfach so wieder trendy, hooray! 😅
2. Muddled Masculinity
Irgendwie obvious, zumindest wenn man sich sonst ohnehin viel mit Feminismus beschäftigt – aber gut zusammengefasst von Rohit: Das Empowerment von Frauen hat bei Männern vor allem zu Verunsicherung geführt. Soll Mann etwas sagen? Sich einbringen? Oder lieber mal schweigen? Und wie umgehen damit, dass man offenbar privilegiert geboren wurde … sich prophylaktisch entschuldigen?
Ich finde den aktuellen Diskurs gerade auch für Männer nicht einfach und möchte an dieser Stelle einmal alle Confused Men virtuell in den Arm nehmen und sagen: Hey, wir haben alle keine Ahnung, wie man gerade mit einigen Situationen umgehen sollte. Aber sich dessen bewusst zu sein, ist schon einmal der erste Schritt. Und: Wir können gerade alle gemeinsam die neuen gesellschaftlichen Regeln formen, wie cool ist das eigentlich?
3. Innovation-Envy
Lasst uns einen Hackathon machen, damit lösen wir alle Probleme! Innovation wollen momentan alle haben und machen – aber immer noch mit möglichst wenig Risiko. Das passt natürlich überhaupt nicht zusammen, deshalb rät Rohit, nicht erst nach Case-Studies zu fragen, sondern sich die selbst zu bauen. Das kann ich natürlich nur aus vollstem Herzen unterstützen und genau das machen zum Beispiel auch unsere Intrapreneure von Medienhäuser im Media Lab Bayern. Seid mutig, liebe Firmen, und geht voran, statt immer nur Pfade nachzulaufen!
4. Artifical Influence
Habe ich gefühlt letztes Jahr schon ein paar Mal gehört. Es geht um Influencer, die nicht mehr menschlich sind, sondern 3D-animierte Avatare. Rohits Tipp: Offensiv mit der Künstlichkeit umgehen und erzählen, was menschengemacht ist und was nicht.
5. Enterprise-Empathy
Empathie ist in diesen Tagen überall – und jetzt wird sie auch noch zu Geld gemacht. Kassen, an denen jeder so lange brauchen kann, wie er will, gehörlose Starbucks-Angestellte, die in Gebärdensprache Bestellungen aufnehmen. Die Welt wird inklusiver und das ist fantastisch – ob man daraus ein Business-Modell stricken sollte, wie Rohit es empfiehlt, finde ich aber äußerst fraglich. Sein „Made with Empathy“-Label, das möchte ich nicht haben. Ich will in einer Welt leben, in der es vollkommen normal ist und kein Profitcenter, seinen Kunden und überhaupt jedem gegenüber empathisch zu sein.
6. Robot-Renaissance
Rohit sagt, 2019 kommen die Roboter zurück … und ich frage mich: Waren sie denn jemals weg? Sein Tipp ist allerdings sehr gut: Man soll Robotern mit mehr Neugier als Panik gegenübertreten, schließlich nehmen sich alle nicht-digitalen Menschen ein Beispiel an uns. Grundsätzlich bin ich ja für mehr Technologie- und Innovationsenthusiasmus, die Probleme kommen eh noch früh genug. Aber lasst uns doch erstmal herausfinden, was damit alles geht, bevor wir es blöd finden!
7. Back-Storytelling
Rohit verkauft allen ernstes 2019 Content-Marketing von Marken als Trend. Kann man machen. Ich sag da jetzt aber nicht mal nix zu.
💡 #CrazyIdea
Mein Highlight des Tages war dafür Esther Perel. Meine Kollegin Pia ist größter Fan des Podcasts der Paartherapeutin und hat mit ihrer Begeisterung auch mich angesteckt. Und was soll ich sagen: Vollkommen zu Recht. Auf der SXSW hat Esther die These aufgestellt, dass wir auch im Arbeitsumfeld bessere Beziehungen brauchen. Wie viele Startups sind gescheitert, weil die Gründer sich nicht verstanden haben? Die Begründung liegt in einem ziemlich einfachen Satz: Wir sind kein anderer Mensch, nur weil wir durch die Bürotür laufen. Wie wir in unseren Beziehungen sind und womit wir da kämpfen, das lässt sich auch auf den Arbeitsalltag übertragen. Eine Entwicklung, die zum Beispiel gerade sowohl im Privaten als auch im Job geschieht: Noch nie zuvor haben wir so viele Erwartungen gehabt. Der Partner soll bester Freund, intellektuell auf Augenhöhe und ein toller Vater/Mutter sein. Der Job soll einen Ernähren und Sinn stiften.
Esther unterscheidet zwischen zwei Typen von Menschen. Denen, die mit dem Bild der Loyalität erzogen wurden, und denen, die zu Autonomie erzogen wurden. Bei ersterem weiß man, dass man sich immer darauf verlassen kann, dass schon jemand da ist, der helfen wird. Bei zweiterem achtet man stark darauf, sich eben gerade auf niemanden verlassen zu müssen, weil man es selbst ohnehin am besten kann. Oder eben keiner da ist, wenn man ihn braucht.
Ich selbst gehöre in jedem Fall zu letzteren. Interessanterweise habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht, dass sich das nicht nur auf meine Beziehungen, sondern eben genauso auf den Arbeitsplatz auswirken kann. Nach dem Talk ist mir aber ziemlich klar, warum es mir oft schwer fällt, loszulassen, warum ich manche Sachen immer noch am liebsten selbst mache und wie sehr das meine Kollegen in den Wahnsinn treiben kann. Ein ehrliches Sorry, ihr Lieben, dafür an dieser Stelle. Das Gegenteil von Autonomie ist laut Esther Vertrauen. Das werde ich jetzt mal üben, versprochen!
💥 #MustSeeInAustin
Für alle, die in Austin vor Ort sind, hier noch zwei Tipps. Erst was Praktisches: Es gibt jetzt Bathroom-Pass-Lines in Ballroom D im Convention Center. Heißt, dass man sich anstellen kann, um ein Re-Entry-Ticket in den Raum zu bekommen, wenn man kurz mal auf Toilette muss. Next-Level-Craziness, funktioniert aber.
Außerdem hat HBO am Fair Market in der 5th Street ein Game-of-Thrones-Setting aufgebaut, das nur heute noch von 12 bis 18 Uhr geöffnet hat (Wer geht mit mir hin?).
Unsere Favourite Sessions für Samstag
9:30-10:30 Uhr: The Intersection of New Formats in Media. Journalistischen Inhalten stehen immer mehr Formate zur Verfügung: Video, Text, Podcast, Multi-Media-Story, Instagram-Story und so weiter. In dieser Session unterhalten sich vier Journalisten darüber, wie sich Medienunternehmen entwickeln müssen, um dieser neuen Realität zu begegnen.
9:30-10:30 Uhr: Dear Gov’t: Regulate Us! Sincerely, AI Industry. Auch viele AI-Optimisten warnen vor den negativen Auswirkungen, die die Technologie haben könnte. Es gibt Vorurteile in den Algorithmen oder unethische Einsatzfelder. In diesem Panel geht es darum, welche Regeln nötig sind — und warum die Branche sich nicht mit Selbstverpflichtungen zufrieden geben sollte.
9:30-10:30 Uhr: The Successful Corporate Innovation Playbook. Vertreter von vier erfolgreichen Unternehmen erzählen, wie sie Corporate Innovation betreiben und verraten ihre Top-10-Ratschläge, Startups mit einem etablierten Unternehmen zu verknüpfen. Das Media-Lab-Team zückt die Notizbücher!
11:00-12:00 Uhr: Let’s Ask the Men: Ending the Newsroom Gender Gap. Ein All-Male-Panel, aber mit Absicht. Frauen in Newsrooms sind noch immer unterrepräsentiert. Moderatorin Amanda Bennet hat deshalb drei Männer eingeladen um sie zu fragen: Warum ist das so? Und was wollt ihr dagegen tun?
11:00-12:00 Uhr: 2019 Emerging Tech Trends Report. Es gibt kaum einen Medienfuturisten, der Amy Webb nicht bewundert, und die Mitarbeiter des Media Lab sind dabei keine Ausnahme. Wenn Webb den Tech Trends Report ihres Future Today Institute auf der SXSW vorstellt, sind wir auf jeden Fall dabei. Ihr auch?
12:30-13:30 Uhr: What’s Next For News. Ein Panel bestückt von Axios, der NYT, CNN und Buzzfeed, und dann geht es auch noch um die Zukunft des Journalismus – wirtschaftlich, inhaltlich und sozial. Sicher eine der Must-See-Sessions für Journalisten auf der South By 2019.
14:00-15:00 Uhr: AI For Storytellers: The Good The Bad and The Ugly. AI-Systeme durchdringen jeden Bereich moderner Unterhaltung von der Herstellung bis zum Verkauf. Welche guten, schlechten und hässlichen Einflüsse das haben kann, bespricht Jess Duselier vom Sundance Institute mit Yves Bergquist, der zu AI und Neurowissenschaft in den Medien forscht.
14:00-15:00 Uhr: The Next Uncanny Valley: Interaction in XR. Das Uncanny Valley beschreibt eine Animation, die zwar sehr echt aussieht, an der aber irgendetwas noch nicht zu stimmen scheint und die deshalb ein mulmiges Gefühl auslöst. Visuell lässt sich das selbst bei Mixed Reality schon oft vermeiden – doch wie damit umgehen, wenn dank automatischer Produktion jetzt auch Musik, Gefühle oder Interaktionen „uncanny“ werden können?
15:30-16:30 Uhr: AI and Social Media: How to Take Control. Auf Social Media wird täglich eine Unmenge an Inhalten generiert. Schwer, da noch irgendwie durchzukommen. In dieser Session soll erklärt werden, wie Firmen AI nutzen können, um ihr Social-Media-Marketing zu verbessern.
15:30-16:30 Uhr: Back 2 the Future: Storytelling in Virtual Reality. Ein interdisziplinäres Team aus Austin hat in einem Projekt versucht, nicht nur eine hyperlokale Geschichte in VR zu erzählen, sondern auch die Community einzubinden und eine eigene virtuelle Community zu schaffen. Von ihren Erfahrungen erzählen sie hier.
15:30-16:30 Uhr: Creative Ways to Solve the Bias Problem in AI. Ein großes Problem von Ai in den Medien und überall ist das Bias-Problem: Wenn sich in einem Datensatz Vorurteile manifestieren, werden diese Vorurteile auch auf eine AI übertragen, die mit diesem Datensatz trainiert wird. Ein Expertenpanel mit Vertreterinnen von Firmen und NGO will kreative Lösungen für dieses Problem finden.
15:30-16:30 Uhr: A Global Tour of Disinformation On Social Media. Nicht nur Russland fährt Desinformationskampagnen auf Social Media: Auf der ganzen Welt gibt es Akteure und Opfer solcher Kampagnen. Diese Session soll erklären, wie moderne Desinformation funktioniert, welche Player es gibt und welche Taktiken sie nutzen.
15:30-16:30 Uhr: How Women are Rebuilding a Man-Made Internet. Auch wenn ein Großteil der Nutzer sozialer Netzwerke weiblich sind: Gebaut wurden Instagram, Facebook und Co. von Männern, und das merkt man auch. In letzter Zeit bemühen sich aber immer mehr weibliche Gründerinnen, neue Wege sozialer Vernetzung zu gehen: ohne Trolle, Mobbing und sexuelle Belästigung. In diesem Panel stellen sich vier davon vor.