Synthetische Embryonen: Wie Kühe ohne Sperma oder Eizellen schwanger werden sollen
Es ist ein kühler Morgen in der Rinder-Unterrichtsanlage in Gainesville und Kuh Nummer 307 bockt in ihrer Metallhalterung, als der Arm eines Studenten in ihrem Gebärmutterhals verschwindet. Der Arm hält eine Sprühflasche mit Wasser. Sieben weitere Tiere stehen in der Nähe hinter einem Geländer. Sie sind als nächstes an der Reihe, um ihre Gebärmutter ausgespült zu bekommen.
Sobald der Inhalt der Gebärmutter von Nr. 307 in einen Eimer fließt, bringt ihn ein Arbeiter schnell in ein kleines Labor, das unter den Wellblechgiebeln der Scheune eingerichtet ist. „Da ist etwas“, sagte der einen blauen Overall und Gummistiefeln tragende Postdoktorand Hao Ming, der ein rosa Gewebestück unter die Linse eines Mikroskops hält. Doch dann tritt er zurück und ist sich nicht mehr so sicher. „Es ist schwer zu sagen.“
In dem Experiment an der Universität von Florida wird versucht, ein großes Tier nur auf der Basis von Stammzellen zu erzeugen – also ohne Eizellen, ohne Sperma und ohne Empfängnis. Eine Woche zuvor waren allen acht Kühen „synthetische Embryonen“, das heißt im Labor erzeugte künstliche Strukturen, in die Gebärmutter eingesetzt worden. Nun war es an der Zeit, zu sehen, was daraus geworden ist.
Vor etwa einem Jahrzehnt begannen Biologen zu beobachten, dass sich in einem Kunststoffbehälter aufbewahrte Stammzellen spontan zusammenlagern und versuchen, einen Embryo zu bilden. Diese Strukturen, die manchmal auch als „Embryo-Modelle“ oder Embryoide bezeichnet werden, sind nach und nach immer realistischer geworden. 2022 züchtete ein Labor in Israel auf diese Weise Maus-Embryonen in einem Gefäß, bis Schädelfalten und ein schlagendes Herz entstanden.
„Es hat noch nie eine Geburt ohne Ei gegeben“
Im Forschungszentrum in Florida versuchen die Forscher jetzt, diesen Weg bis zu Ende zu gehen. Sie wollen ein lebendes Tier herstellen. Wenn ihnen das gelingt, wäre das nicht nur eine völlig neue Art der Viehzucht. Es könnte unsere Vorstellung davon, was Leben überhaupt ist, erschüttern. „Es hat noch nie eine Geburt ohne Ei gegeben“, sagt der Reproduktionsbiologe Zongliang „Carl“ Jiang, der das Projekt leitet. „Alle sagen, das sei so cool, so wichtig – aber zeigen Sie mir mehr Daten, zeigen Sie mir, dass es zu einer Schwangerschaft führen kann. Das ist also unser Ziel.“
Im Moment ist der Erfolg noch nicht sicher, vor allem, weil die im Labor aus Stammzellen erzeugten Embryonen noch nicht genau wie echte Embryonen aussehen. Sie sind eher wie ein Embryo, den man durch einen Spiegel betrachtet: die richtigen Teile, aber in den falschen Proportionen. Deshalb werden sie bereits nach einer Woche ausgespült, damit die Forscher überprüfen können, wie weit sie gewachsen sind, und um zu lernen, wie man bessere Embryonen herstellen kann.
Bislang wurden die meisten Forschungen an synthetischen Embryonen mit Zellen von Mäusen oder Menschen durchgeführt, und zwar im Labor. Letztes Jahr jedoch veröffentlichte Jiang zusammen mit Forschern in Texas ein Rezept zur Herstellung einer Rinderversion, die sie aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit Blastozysten, dem für künstliche Befruchtungsverfahren (IVF) geeigneten Embryonalstadium, „Rinderblastoide“ nannten.
Einige Forscher glauben, dass Stammzellentiere eine ebenso große Bedeutung haben könnten wie das Schaf Dolly, dessen Geburt 1996 die Klontechnologie in die Ställe brachte. Das Klonen, bei dem eine erwachsene Zelle in eine Eizelle eingesetzt wird, hat es Wissenschaftlern ermöglicht, Mäuse, Rinder, Haushunde und sogar Poloponys zu kopieren. Die Spieler einer argentinischen Mannschaft reiten alle auf Klonen der gleichen Siegerstute namens Dolfina.
Auch synthetische Embryonen sind Klone – nämlich jener Ausgangszellen, aus denen sie gezüchtet werden. Aber sie werden ohne Eizellen hergestellt und können in viel größerer Zahl erzeugt werden – theoretisch in Zehntausenden von Exemplaren. Und genau das könnte die Viehzucht revolutionieren. Möglich wäre damit, jedes Jahr Kälber als Kopien des muskulösesten Ochsen der Welt zu erstellen, perfekt darauf ausgelegt, Gras in Steaks zu verwandeln.
„Ich würde gerne sehen, wie das Klonen 2.0 wird“, sagt Carlos Pinzón-Arteaga, der Tierarzt, der die Laborarbeit in Texas geleitet hat. „Das ist wie Star Wars bei Kühen.“ Damit meint er die riesige Sturmtruppen-Klonarmee des Imperiums.
Bedrohte Arten
Die Zuchtindustrien kreisen bereits um die Technologie. Das Unternehmen Genus PLC, das sich auf die assistierte Reproduktion von „genetisch überlegenen“ Schweinen und Rindern spezialisiert ist, hat begonnen, Patente auf synthetische Embryonen zu kaufen. In diesem Jahr startete es auch damit, Jiangs Bemühungen finanziell zu unterstützen und sich eine kommerzielle Option auf alle Entdeckungen, die er machen könnte, zu sichern.
Auch Zoos zeigen sich interessiert. Bei vielen vom Aussterben bedrohten Tieren ist die assistierte Reproduktion schwierig. Bei kürzlich ausgestorbenen Tieren ist sie sogar unmöglich. Alles, was bleibt, ist etwas Gewebe in einer Gefriertruhe. Aber mit dieser Technologie könnte man theoretisch auch ihnen wieder Leben einhauchen, indem man die Zellen in Embryonen verwandelt, die dann in einer Leihmutter einer Schwesterart ausgetragen werden könnten.