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Kolumne

Technologiesprünge: Wieso die Fintech-Nutzung in reichen Ländern hinterherhinkt

In Schwellenländern ist die Bereitschaft zur Nutzung von Fintech-Diensten größer als in entwickelten Nationen. Martin Weigert analysiert in seiner Kolumne Weigerts Word, was dahintersteckt.

Von Martin Weigert
3 Min.
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(Foto: Aris Suwanmalee / Shutterstock)

Eine kürzlich veröffentlichte Studie der Beratungsgesellschaft EY attestiert China und Indien die höchste Nutzung von Fintech-Diensten unter insgesamt 20 untersuchten Ländern. 69 beziehungsweise 52 Prozent der Online-Anwender haben demnach innerhalb der vergangenen sechs Monate mindestens zwei Fintech-Services verwendet. In Deutschland sagen das nur 35 Prozent von sich – immerhin zwei Prozent mehr als in den USA und fünf Prozent mehr als in der Schweiz, aber weniger als in Mexiko und Brasilien. Generell schlagen sich in dem Ranking die Schwellenländer deutlich besser als die wirtschaftlich entwickelten Nationen.

„Altmodische Banken und Kreditkarten-Anbieter“

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Der Tenor der EY-Studie wurde vor einigen Tagen vom Schweizer Uhrenhersteller Swatch bestätigt. Das Unternehmen präsentierte gerade die zweite Generation seiner Uhr mit kontaktloser Zahlungsfunktion. Anders als die Vorgänger-Lösung wird „Swatch Pay“ aber in der Schweiz gar nicht erst angeboten. Stattdessen fokussiert sich die Traditionsfirma mit dem neuen Produkt erst einmal komplett auf China. Swatch begründet die Entscheidung, den Service nicht in Europa anzubieten, mit „altmodischen Banken und Kreditkarten-Anbietern“ bei uns, so die Schweizer Handelszeitung.

Das Beispiel der hinterherhinkenden Nutzung von Fintech-Diensten in den reichsten Nationen der Erde repräsentiert ein wiederkehrendes Phänomen, bei dem langjährige Innovationsführer plötzlich von anderen, bislang wirtschaftlich und in Sachen Infrastruktur weitaus schwächeren Ländern durch technologische Sprünge überholt werden. Die Dynamik erinnert an Clayton Christensens berühmtes „Innovators Dilemma“. Nur stehen hier nicht einzelne, durch Erfolg träge gewordene Unternehmen im Fokus, sondern makroökonomische und gesamtgesellschaftliche Tendenzen.

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Die offensichtlich höhere Bereitschaft von Menschen in Schwellenländern, Fintech-Services auszuprobieren, hängt eng mit der besonderen Bedeutung des mobilen Internets dort zusammen. Während die meisten Bürger in den wohlhabenden Ländern ihre ersten Gehversuche im Digitalen mittels PC und Festnetzinternet unternahmen, ist für Hunderte Millionen Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern das Smartphone das selbstverständliche – und häufig ihr erstes eigenes – Werkzeug, um ins Netz zu gehen. Unternehmen in diesen Märkten reagierten früh, indem sie ihre Dienste primär oder ausschließlich für Smartphones entwickelten. So entstand eine sich selbst verstärkende Dynamik, die zu einer breiten Akzeptanz des Smartphones als Universal-Tool für jedes Alltagsproblem führte. Dazu gehören eben auch Finanzgeschäfte. Und da viele Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländer kein Bankkonto besitzen, fehlen häufig die bei uns ausgeprägten Wechselbarrieren. Für Newcomer im Fintech-Bereich sind dies paradiesische Verhältnisse.

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Gewohnheiten stehen im Weg

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Anders als in Deutschland und vergleichbaren Nationen mussten sich die meisten Nutzer in China, Indien oder Brasilien nicht zuvor mit dem stationären Internet angelernte Verhaltens- und Denkmuster abgewöhnen. Hierzulande stellen Smartphones in den Augen vieler noch immer maximal einen funktional eingeschränkten Ersatz-PC dar. Auch weil die gesamten Strukturen der Wirtschaft und ihre hiesigen Entscheider dieses Narrativ seit einem Jahrzehnt akzeptieren, bleibt die rasante, vom Smartphone befeuerte Dynamik aus, mit der etwa in China gerade das Bezahlen revolutioniert wird.

Das Phänomen des technologischen Überholtwerdens ist nicht exklusiv der digitalen Sphäre vorbehalten. Wer beispielsweise in asiatischen Metropolen wie Seoul, Hongkong oder Singapur mit dem Flugzeug ankommt oder U-Bahn fährt, der wird hinsichtlich Infrastruktur mit einer Modernität, Effizienz und Cleverness konfrontiert, die man in vielen europäischen Städten vergeblich sucht. Lösungen, die vergleichsweise jung sind, besitzen gegenüber solchen mit deutlich mehr Jahren auf dem Buckel augenscheinliche Vorteile, was Anpassungsfähigkeit, Skalierbarkeit und Wartung angeht.

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Manchmal kommt das Überholtwerden aber auch schlicht dadurch zustande, dass ein Land in Sachen High-Tech derartig vor allen anderen liegt, dass es frühzeitig Lösungen entwickelt, die dann jedoch von anderen Nationen nicht übernommen werden. Stattdessen setzen sich komplett andere globale Standards durch. Der einstige Pionier wird schlagartig technologisch abgehängt. Japan hat diesen als „Galápagos-Syndrom“ bezeichneten Prozess zuletzt mehrfach erlebt.

Hoffnung für Deutschland

Das Überholtwerden einstiger Technologie- und Infrastruktur-Platzhirsche gehört wahrscheinlich zu den unvermeidbaren Vorgängen. Wer in einem Bereich an der Spitze liegt, neigt dazu, die entsprechende Technologie zu „verwalten“ und zu optimieren. Anderswo wird diese Technologie einfach übersprungen.

Für Deutschland gibt die beschriebene Gegebenheit aber sogar Grund zu Optimismus – zumindest beim Thema Breitbandinternet: Denn mit einem frühzeitigen, rasanten und flächendeckenden 5G-Ausbau könnte man im Prinzip auf einen Schlag weltweite Spitze bei der Geschwindigkeit und Kapazität werden. Dann ist es irgendwann vielleicht egal, dass in den zwei Dekaden davor Breitbandverbindungen im globalen Vergleich langsam und überteuert waren.

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Kommentare (5)

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Miingno

Schon lange würde ich z.B. gerne mit dem Smartphone an der Kasse zahlen. Doch leider sind die Banken hier sowas von im Hintertreffen, dass es wohl noch sehr lange dauern könnte bis endlich eine vernünftige Lösung eingeführt wird.
Hauptproblem welches ich bemerkt habe ist, dass Banken und Zahlungsanbieter hier einfach zu viel vom Kuchen haben wollen. Schon seit Jahren haben alle großen Einkaufshäuser hier Zahlungsterminals welche mit NFC und allem anderen Goodies ausgerüstet sind. Doch die Banken wollen alle ihre eigene App, ihre eigene Zahlungsplattform aufbauen und nicht auf bestehende wie Android Pay oder Apple Pay aufsteigen, da sie Angst haben, zu viel Gewinn abgeben zu müssen.
Die Bereitschaft, vor allem in der jüngeren Generation, solche neue Dienste zu benutzen finde ich ist vorhanden. Da diese aber nicht über „das große Geld“ verfügen sind die Banken abgeneigt hier viel Zeit und Kapital zu investieren.

dennis

Ganz einfach: Wer nichts zu verlieren hat, geht Risiken ein. Es gibt, besonders in Deutschland nicht die Offenheit eine derartige Schnittstelle zu benutzen. Man schaue einfach mal auf die Statistiken der Karten-Nutzung. Bis heute ist Bargeld das, was bevorzugt wird. Fintechs sind einfach unsicher und das will niemand eingehen. Die junge Generation hat nichts zu verlieren, weshalb sie das auch eingehen würde. Etablierte Mitmenschen sehen das (zurecht) eher kritisch.

Lars

Ein „mobile Device“ ist kein sicheres Kommunikations-, und erst recht kein sicheres Zahlungsmittel. Abgesehen davon bietet es keine Anonymität. In der Schweiz kann ich zu meinem Konto Nummernkreditkarten bekommen, die eine Auswertung von Zahlungsströmen durch Datensauger halbwegs verhindern.

Julia Birkefeld

Na das war doch endlich mal ein schöner Artikel, der die Lage gut analysiert und sogar einen Schimmer Hoffnung mit einfließen lässt.

Martin Weigert

Danke danke :)

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