Bootstrapping: Wie du ein Unternehmen aus eigenen Mitteln aufbaust
Wohin man in der Startup-Presse auch blickt, überall wimmelt es nur so von Finanzierungsmeldungen. Dieses Hamburger Startup hat zehn Millionen geraised, jenes Startup aus Berlin hat gerade ein Investment über eine noch größere Summe erhalten. Wer ein Startup gründet, gewinnt schnell den Eindruck: Erst, wenn ich Investoren von meiner Idee überzeugen konnte, bin ich auf dem richtigen Weg. „Tatsächlich suchen einige Gründer eine Finanzierung primär für ihre Reputation“, sagt Christoph Behn. „Ich halte das aber für Blödsinn.“ Der Gründer der Kartenmacherei glaubt an die Finanzierungsform des Bootstrapping. Externes Kapital aufnehmen oder aus eigener Kraft wachsen – das eine sei nicht besser als das andere, nur eben anders.
Was ist Bootstrapping?
„Es gibt nicht den einen richtigen Weg, ein Startup aufzubauen“, sagt Behn, wenn er auf das Thema Bootstrapping angesprochen wird. Bootstrapping nennt man die Finanzierung eines Startups aus eigenen Mitteln, ohne dafür externes Kapital aufzunehmen. Behn hat acht Jahre lang selbst ein Unternehmen gebootstrappt, die Kartenmacherei. Ganz ähnlich ist es bei Kati Ernst, der Mitgründerin von Ooia.
Bootstrapping ist die Finanzierung eines Startups aus eigenen Mitteln, ohne externes Kapital.
Beide sprechen gerne über diese Form der Unternehmensfinanzierung, denn für beide war es die richtige Wahl. Sie wissen, worauf es ankommt, wenn Gründer ein Unternehmen aus eigener Kraft hochziehen wollen – und wo die Fallstricke liegen.
Investment oder Bootstrapping – was ist besser?
Doch woher weiß ich dann als Gründer, welche Finanzierungsform wirklich die richtige für mein Startup ist? „Das ist zum einen Typfrage und hängt natürlich auch am Geschäftsmodell und Marktumfeld“, meint Behn. Die Hauptmotivation des erfolgreichen Gründers sei damals Freiheit gewesen. In dem Moment, in dem Investoren in das Unternehmen eingestiegen wären, hätte er diese aufgeben müssen. Darum war Bootstrapping für einige Jahre der richtige Weg für ihn. Will man als Gründer aber möglichst schnell bekannt werden und mit seinem Unternehmen möglichst schnell möglichst stark wachsen, sei eine externe Finanzierung hilfreich.
Kati Ernst, die Gründerin von Ooia, einem Startup für nachhaltige Periodenunterwäsche, schätzt genau wie Christoph Behn die Unabhängigkeit am Bootstrapping. „Wir haben die Freiheit, zu arbeiten, wie wir wollen, und auch gesellschaftspolitisch das zu tun, was wir möchten“, sagt die Gründerin. Im Falle von Ernst und ihrer Mitgründerin, Kristine Zeller, ist das tatsächlich von Wert. Mit ihrem Startup für Periodenprodukte positionieren sich die beiden Unternehmerinnen nämlich immer wieder zu feministischen Themen und stärken damit ihre Marke. Eine Positionierung, die so manchem Investor vermutlich dennoch nicht schmecken würde.
Investoren bringen Expertise – oder einen beschränkten Blick
Tatsächlich war es aber auch für die Ooia-Gründerinnen nicht von Anfang an eine bewusste Entscheidung, auf Investitionen zu verzichten. Die erfolgte erst im zweiten Schritt. Zunächst waren die Gründerinnen nämlich auf Investorensuche. Mit ihrem Konzernhintergrund dachten die beiden, es sei sinnvoll, sich recht früh Business-Angels mit an Bord zu holen. Als Ernst und Zeller aber gemerkt haben, wie wenig Verständnis die zumeist männlichen Investoren für das Produkt der beiden aufbringen können – die businessrelevanten Zahlen wurden völlig außer Acht gelassen –, haben sie sich entschieden, den Aufbau ihres Unternehmens komplett in eigener Hand zu behalten.
Behn und Ernst sind zwei erfolgreiche Beispiele dafür, dass sich B2C-Startups aus eigenen Mitteln aufbauen lassen. Doch noch einfacher, als ein B2C-Unternehmen zu bootstrappen, sei es, eine B2B-Software auf diese Weise zu skalieren. „Du kannst dir in diesem Bereich gut Kunden besorgen und mit denen erstmal ein Projektgeschäft machen“, sagt Behn. So komme schon Geld in die leeren Startup-Kassen und die Softwarelösung ließe sich weiter standardisieren, ganz nach dem Lean-Startup-Prinzip.
Warum Bootstrappen Kreativität erfordert
Beim Aufbau einer B2B-SaaS-Company sei Bootstrapping also sehr praktikabel. Wie aber funktioniert das Wachstum aus eigenen Mitteln, wenn ein Startup eine ganze Menge Working Capital benötigt? Das Wichtigste: „Mit kreativen Mitteln den Cashflow optimieren“, meint Behn. Also dafür sorgen, dass das Startup nicht permanent aus eigenen Mitteln in Vorleistung gehen müsse. Möglichkeiten seien zum Beispiel Dienstleister über Provisionsbasis zu vergüten oder über Crowdfunding früh Kunden zu gewinnen. Genauso hat das auch Ernst mit Ooia gemacht: Um mit dem fertig entwickelten Produkt die ersten Slips produzieren zu können, hat Ooia eine Crowdfunding-Kampagne über Kickstarter gestartet. So musste das Startup die ersten Stoffbestellungen nicht selbst bezahlen, die Kundinnen sind in Vorleistung gegangen.
Ernst hat sich mit ihrem Startup also das Prinzip des Vorverkaufs zunutze gemacht, und das auch nach der sehr erfolgreichen Kickstarter-Kampagne beibehalten. „Das erste Dreivierteljahr waren wir auf unserer Website im Grunde immer ausverkauft“, sagt Ernst. Die Kundinnen haben geordert, die Lieferung konnte produziert werden. So hat es das Unternehmen geschafft, in kurzer Zeit recht schnell zu wachsen, ohne enorme Risiken eingehen zu müssen.
Verschiedene Möglichkeiten, den Cashflow zu sichern
Mittlerweile ist das Perioden-Startup nicht mehr auf den Vorverkauf angewiesen, sondern kann stets vorhandene Ware gewährleisten. Die beiden Gründerinnen haben aber auch jetzt noch eine Lösung in der Hinterhand, die ihnen schlaflose Nächte erspart und einen Puffer im Falle eines kurzfristigen Zahlungsengpasses liefert – auch ohne Investoren. Ernst und Zeller haben sich von ihrer Bank einen Kontokorrentkredit über eine hohe sechsstellige Summe bewilligen lassen. Den haben die beiden Gründerinnen zwar noch nie gebraucht, der Cashflow ist aber gewährleistet.
Zeit ist die wichtigste Ressource.
Kreativität ist also wichtig; genauso wie den richtigen Umgang mit dem vorhandenen Geld zu finden. Eine Gewisse Portion Resilienz für unsichere Zeiten gehört auch dazu; ebenso der Wille, beim Aufbau alles irgendwie alleine regeln zu können. „Zeit ist die wichtigste Ressource“, sagt Behn. Wenn weniger von der Ressource Geld vorhanden ist, muss eben umso mehr von der Ressource Zeit von den Gründern selbst in den Aufbau eines Unternehmens gesteckt werden. Konkret kann das dann so aussehen wie bei Behn selbst: Um Geld zu sparen, hat er am Anfang der Kartenmacherei alle Bestellungen selbst geprüft und sogar einige Kartendesigns selbst gemacht – er konnte eben niemanden bezahlen, der das für ihn hätte machen können.
Am Ende sagen aber sowohl Ernst als auch Behn, dass es die richtige Entscheidung war, lange auf externe Investoren zu verzichten und stattdessen auf Bootstrapping zu setzen. Zwar steht man als Gründer oder Gründerin dann in vielen Situationen eher alleine da, aber die Freiheit, das Unternehmen nach den eigenen Vorstellungen aufzubauen, sei unbezahlbar.
Ich denke bootstrapping ist ein sehr wichtiger Schritt für fast alle Unternehmen um erstmal eine gesunde und nachhaltige Basis für das Geschäftsmodell zu schaffen. Ansonsten kommen viele Unternehmen nach ein paar Finanzierungsrunden darauf, dass sie lediglich eine leere (Marketing-)Hülle geschaffen haben und stehen dann wegen dem oft unnötig erzeugten massiven Burn direkt vor dem Aus, wenn nicht direkt die nächste Finanzspritze kommt. Die Gründer halten in vielen dieser Fälle dann lediglich noch ein paar Prozent ihres Unternehmens. In 2017 hat Round2 Capital aus Wien deshalb begonnen ein alternatives Finanzierungsinstrument im Europäischen Raum zu etablieren, welches hilft dieses Finanzierungsproblem für junge digitale Unternehmen zu lösen – Revenue-based Finance. Um eine frühe Verwässerung zu verhindern oder zumindest zu reduzieren bietet Revenue-Based Finance eine einfache Finanzierungsalternative. Durch dieses Instrument erhalten UnternehmerInnen rasch frisches Kapital ohne langwierige Verhandlungen über die Unternehmensbewertung. Die zu Grunde liegende Struktur dieses Instruments basiert auf einem Nachrangdarlehen, dessen Rückzahlung an den Umsatz gekoppelt ist.