Narzisstische Chefs sind nicht die Ausnahme. Zu diesem Ergebnis kommt eine im April veröffentlichte Studie eines internationalen Forschungsteams unter Leitung der University of Washington (UW) im gleichnamigen US-Bundesstaat.
Narzissmus: ein unangenehmes Persönlichkeitsmerkmal
Was bislang nur ein Gefühl unter Mitarbeitenden wahr, weist die Studie von Abhinav Gupta, außerordentlicher Professor für Management an der UW Foster School of Business, und seinem Team empirisch nach. Vor allem Narzissmus – neben ein paar anderen ungünstigen Persönlichkeitsmerkmalen – ist es demnach, der Manager kennzeichnet.
Narzissten verfügen über ein überdurchschnittliches Selbstvertrauen. Sie sprechen sich selbst eine besonders hohe Intelligenz und ein fehlerfreies Urteilsvermögen zu. Sie nutzen jede Gelegenheit, um diese überzogene Selbsteinschätzung zu untermauern und verfolgen das Ziel, Bewunderung zu erlangen. Das klingt schon unangenehm, hätte aber nicht unmittelbar negative Folgen für das Unternehmen oder den Unternehmensteil, den sie leiten.
Narzissten blockieren Informationsfluss
Die neuen Forschungsergebnisse des UW-Teams zeigen aber, dass Narzissmus häufig zu Wissensbarrieren innerhalb von Unternehmen und in der Folge zu wirtschaftlichen Schäden führt. Das erklärt Gupta so:
„Viele große Unternehmen sind das, was man als Multi-Business-Firmen bezeichnen würde, eine Organisationsform, bei der es eine Muttergesellschaft und Tochtergesellschaften gibt. Die finanzielle Logik, warum diese Firmen existieren, ist, dass Wissen und Fähigkeiten, die in einer Einheit vorhanden sind, in einer anderen Einheit genutzt werden können.“
Wenn also verschiedene Abteilungen desselben Unternehmens Informationen austauschen, steigert dies die Leistung und schafft einen Wettbewerbsvorteil. In ihren Untersuchungen habe sich indes gezeigt, dass solche Einheiten nicht so stark miteinander kooperieren, wie es für das Unternehmen gut wäre.
Der Grund: Narzissmus. Narzisstische Manager würden den erforderlichen Wissenstransfer blockieren, so Gupta. Aufgrund ihres subjektiven Überlegenheitsgefühls würden sie den Wert von internem Wissen überschätzen und den Wert von externem Wissen unterschätzen. So komme es weder zu einem Informationsfluss aus dem eigenen Einflussbereich hinaus noch zu einem in den eigenen Einflussbereich hinein.
Narzisstische Chefs seien von der Überzeugung getragen, dass sie selbst „genügend Fähigkeiten, Wissen und Fertigkeiten, um unabhängig arbeiten zu können“, hätten. Die Kooperation mit anderen werde als überflüssig angesehen. Gupta dazu:
„Narzissmus beeinflusst den Wunsch der Menschen, unverwechselbar zu sein. Er korreliert mit dem Wunsch nach Ruhm für sich selbst.“
Gewünschte Persönlichkeitsmerkmale auch eine Frage der Strategie
Die Forschenden weisen allerdings darauf hin, dass dieses Persönlichkeitsmerkmal sogar Vorteile haben kann. Die Unternehmensspitze müsse eben zunächst festlegen, welche übergeordnete Strategie verfolgt werden soll. Immerhin ließe sich eine Organisation auch wie ein interner Markt führen, auf dem alle Einheiten aktiv um die Ressourcen der Unternehmenszentrale konkurrieren. Diesem Konzept nach sei es gerade dieser Wettbewerb, der überdurchschnittliche Leistungen ermögliche und wofür der Narzisst letztlich gut geeignet sei.
Die häufigere Strategie, gerade „in sich schnell verändernden oder komplexen Umgebungen“ bestünde indes darin, das Unternehmen nach außen hin insgesamt schlagkräftiger aufzustellen, wozu ein umfassender Wissenstransfer zwischen allen Einheiten unerlässlich sei. Dafür wiederum eigne sich ein Narzisst überhaupt nicht.
Gupta und sein Team schlagen daher vor, bei der Personalauswahl ebendiesen Punkt explizit zu berücksichtigen. So sollte etwa bei der Besetzung von Positionen, die den Austausch von Wissen erfordern, schon im Bewerbungsprozess auf Anzeichen narzisstischer Persönlichkeitsmerkmale geachtet werden. Ebenso könnten Unternehmen eine Organisations- und Belohnungsstruktur entwerfen, die die Zusammenarbeit zwischen den Einheiten fördert.