Virusbekämpfung 4.0: Mit Daten gegen die Pandemie
Das Coronavirus hat Deutschland und die Welt in eine riesige Krise gestürzt. Fakt ist aber auch: Pandemien, wie wir sie gerade erleben, sind längst kein neues Phänomen. Vor allem zur Spanischen Grippe, die zwischen 1918 und 1920 grassierte, gibt es einige Parallelen. Auch hier konnte sich das Influenza-Virus aufgrund der enormen Mobilität der Menschen, die stark mit dem Ende des Ersten Weltkrieges zusammenhing, beinahe über den gesamten Globus ausbreiten. Etwas, das auch damals schon das gesellschaftliche Bild prägte: Mund-Nasen-Masken. Denn obwohl die Menschen das Virus noch nicht medizinisch nachweisen konnten, hatten sie bereits verstanden, dass es sich über die Luft und den engen Kontakt zu anderen übertrug. Dennoch infizierten sich Schätzungen zufolge etwa 500 Millionen Menschen mit der Spanischen Grippe – entsprechend der damaligen Weltbevölkerung also knapp jeder Dritte.
Natürlich sind wir der damaligen Zeit heute um einiges voraus. Damit sind allerdings nicht nur Medikamente, Beatmungsgeräte oder ein möglicher Impfstoff gemeint. Vor allem Daten spielen während der gegenwärtigen Corona-Pandemie eine wichtige Rolle. Die enormen Mengen, die in unserer global vernetzten Welt zur Verfügung stehen, geben zentralen Einrichtungen wie dem Robert-Koch-Institut oder der WHO die Möglichkeit, das Infektionsgeschehen nicht nur zu überwachen, sondern auch die richtigen Schlüsse daraus ziehen und entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten.
Mit Daten gegen eine Überlastung des Gesundheitssystems
Die deutsche Corona-Warn-App, die inzwischen über 20 Millionen Mal heruntergeladen wurde, ist ein gutes Beispiel dafür, wie moderne Technologie dabei hilft, Infektionsketten zu durchbrechen. Sie hilft gewissermaßen dabei, mit unserem Smartphone die unsichtbare Gefahr sichtbar zu machen. „Da sich das Virus über Tröpfchen und Aerosole verbreitet, ist es wichtig, zu wissen, mit wem Infizierte während des Ansteckungszeitraums in Kontakt standen beziehungsweise in wessen Nähe sie sich aufgehalten haben“, erklärt Andre Heeg uns im Gespräch. Der frühere Zahnarzt und Gesichtschirurg ist inzwischen als Managing Director und Partner bei BCG Digital Ventures tätig und kennt deshalb beide Seiten – die medizinische genauso wie die datengetriebener Innovationen. „Bei der Entwicklung der Tracking-Apps in Europa hat man sich für die Nutzung der sogenannten ‚Bluetooth-Low-Energy‘-Technologie entschieden. Einfach erklärt dient sie dazu, das Smartphone mit anderen Geräten zu verbinden, die sich in unmittelbarer Nähe befinden. Das hilft dabei, zu registrieren, welche Smartphones sich in diesem Moment an derselben Stelle befinden. So lässt sich verfolgen, welche Menschen sich im fraglichen Zeitraum nah beieinander aufgehalten haben.“
Das neueste Update der Corona-Warn-App, die Version 1.7, ist seit Kurzem verfügbar. Wie wir bereits berichteten, ist dadurch jetzt unter anderem eine Risikoprüfung mehrmals täglich möglich. Und es sollen weitere Verbesserungen folgen, denn eine Cluster-Erfassung, wie sie von Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz bereits seit Längerem gefordert wird, ist auch in der neuen Version immer noch nicht enthalten. Ebenfalls geprüft wird derzeit die Implementierung eines Kontakttagebuchs. „Ein Kontakttagebuch ist ein guter Weg, Infektionsherde aufzudecken – insbesondere dann, wenn es im Zusammenspiel mit Beacons vollautomatisch geführt wird“, so Oliver Miltner, Gründer und Co-CEO von Doctorbox. Die Berliner Gesundheitsplattform bietet ein solches Kontakttagebuch bereits seit März 2020 an. Die Beacons, die Doctorbox zum Tracken der Kontakte benötigt, werden aktuell an 50.000 Standorten in ganz Deutschland installiert, darunter zum Beispiel in Apotheken, Hotels und Geschäften des Einzelhandels. Miltner erklärt: „Wenn vor Ort eine Infektion bekannt wird, werden sämtliche Personen, die im selben Zeitfenster wie die infizierte Person vor Ort waren, über die App informiert und der Ort als potenzieller Cluster identifiziert. Das Kontakttagebuch kann dann anschließend ganz bequem per PDF im Format des RKI oder alternativ als strukturierter maschinenlesbarer Datensatz exportiert und dem Gesundheitsamt zur Verfügung gestellt werden.“
Location Intelligence schließt die Versorgungslücke
Das, was Daten im Kontext der Pandemie leisten können, geht aber noch weit über die Verfolgung von Infektionsketten hinaus. Zwar ist auch das ein wesentlicher Faktor, der bestimmt, ob es in deutschen Kliniken zu einer Überlastung kommt, aber auch dann, wenn es auf lokalen Intensivstationen bereits zu Engpässen kommt, führt kein Weg daran vorbei, alle verfügbaren Informationen in einen größeren Zusammenhang zu setzen. Genau nach diesem Ansatz funktioniert das sogenannte ‚Kleeblatt-Prinzip‘ des Bundesinnenministeriums, nach dem je drei bis fünf Bundesländer eine Planungseinheit bilden. Es soll sicherstellen, dass jeder Corona-Patient die beste Versorgung erhält – auch dann, wenn es in seiner Region keine freien Betten mehr gibt. „Das kann allerdings nur dann funktionieren, wenn die Informationen an richtiger Stelle zusammenlaufen und die Entscheider auch einen aktuellen Überblick über die Lage in umliegenden Krankenhäusern haben“, meint Jürgen Schomakers, der als Managing Partner bei Esri tätig ist. Das Unternehmen hat sich auf geografische Informationssysteme spezialisiert und hat mit seiner Location-Intelligence-Technologie unter anderem dabei geholfen, das Intensivregister-Dashboard der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin zu realisieren. Die interaktive Karte, die auch für das deutsche Kleeblatt-Prinzip herangezogen wird, gibt auf einen Blick Auskunft darüber, in welchen nahegelegenen Landkreisen noch Kapazitäten zur Verfügung stehen. „Würden all diese Daten nur schriftlich abgebildet, wäre es unglaublich zeitaufwendig, genau zu verstehen, in welchen großflächigeren Regionen sich die Lage zuspitzt“, so Jürgen Schomakers. „Sind die Daten in einer Karte visualisiert, so ist es möglich, innerhalb von Sekunden genau zu sehen, welche Regionen unterhalb oder oberhalb der kritischen Werte liegen.“
Auch bei der Verteilung eines möglichen Impfstoffes wird es von größter Wichtigkeit sein, alle relevanten Geodaten im Auge zu behalten. Wer bekommt den Impfstoff zuerst? Risikopatienten? Oder doch eher medizinisches Pflegepersonal, das täglich in engem Kontakt mit kranken Menschen steht? Auch hier kann die Location Intelligence maßgeblich weiterhelfen, wie Jürgen Schomakers von Esri berichtet: „Die Technologie kann beispielsweise aufzeigen, in welchen Regionen besonders viele Risikopatienten leben oder wo hohe Ansteckungszahlen auf viele Risikopatienten oder auch systemrelevante Arbeitsgruppen treffen.“ Diese Zahlen stets im Auge zu behalten, ist für die Verteilung des Impfstoffes elementar. Vor allem die Kühlkette darf zu keinem Zeitpunkt unterbrochen werden, was die beteiligten Pharmaunternehmen derzeit vor eine enorme Herausforderung stellt. Doch nur, wenn alle mit dem Transport zusammenhängenden Faktoren in Echtzeit überwacht werden, lässt sich letztlich sicherstellen, dass der Impfstoff nicht nur schnell bei denen ankommt, die ihn benötigen, sondern er auf dem Weg dorthin auch nicht an Wirksamkeit verliert. Ohne große Mengen von Daten, die für die Entscheidungsfindung herangezogen werden, wäre das auch mit dem besten Impfstoff der Welt schlichtweg nicht möglich.
1920 Ende des zweiten Weltkrieges? Man lernt nie aus :)
Hallo lieber Leser,
danke für deinen Kommentar! Damit ist gemeint, dass sich das Virus mit dem Ende des Krieges und den heimkehrenden Soldaten ausbreiten konnte und die Pandemie bis 2020 anhielt.
Dennoch ging 1918 der erste Weltkrieg zu Ende und dabei haben unter anderem heimkehrende indische Soldaten das Virus nach Indien gebracht.