Wirtschaft: Der alternative Jahresausblick für 2019
Deutschland beim Wirtschaftswachstum fast Schlusslicht
Die wirtschaftliche Zukunft der Welt wurde zuletzt intensiv in Davos diskutiert. Dort tagte das Weltwirtschaftsforum, das unmittelbar mit einem Paukenschlag begann: Das prognostizierte Wirtschaftswachstum für Deutschland wurde von 1,9 Prozent auf 1,3 Prozent korrigiert – kein anderes Land erfuhr eine höhere Senkung. Die Zeiten des ungebremsten Wirtschaftswachstums scheinen vorerst vorbei zu sein. Innerhalb der großen Wirtschaftsnationen rechnet der IWF 2019 einzig für Japan (1,1 Prozent) und Italien (0,6 Prozent) mit einem geringeren Wachstum. Deutschland wird also voraussichtlich unter den Schlusslichtern liegen. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Handelskonflikte, Brexit und ein schwächelndes China sind nur die Spitze des Eisbergs. Als die wahren Wachstumshemmnisse könnten sich hausgemachte Probleme der EU herausstellen.
Die Aufregung war groß innerhalb der deutschen Medienlandschaft, für die die Meldung ohnehin ein gefundenes Fressen war. „NUR 1,3 Prozent, welch Schmach“, so der Tenor der Berichterstattung. Nur warum eigentlich? Arbeitslosigkeit auf Rekordtief, steigende Reallöhne und zusätzlich nochmals 1,3 Prozent Wirtschaftswachstum dieses Jahr. Krise klingt anders. Es gibt zwar durchaus Indikatoren, die Grund zur Sorge geben. Die sollten jedoch immer im Kontext der grundsätzlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen betrachtet werden. Ein niedrigeres Wirtschaftswachstum mag zunächst problematisch erscheinen, aber ist es das wirklich? Es folgt eine Übersicht und Bewertung prägender Faktoren für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands in 2019.
1. Draghis Abschied – Zinsanstieg in Europa
Das It-Girl der europäischen Finanzszene, Mario Draghi, räumt im Oktober 2019 seinen Posten als Präsident der Europäischen Zentralbank. Die EZB, die bisher in sturer Starrsinnigkeit auf Rekordniedrigzinsen beharrte, könnte mit dem Ausscheiden des noch Chefs und Billiggeld-Liebhabers eine Wende vollziehen, die längst überfällig ist. Klar ist: Die Zinswende kommt. Und mit ihr wird auch der Markt der Finanzierungen kräftig durchgeschüttelt: Sie werden teurer. Erfahrungsgemäß sind insbesondere Bankdarlehen von der Zinskorrektur betroffen. Asset-basierte Finanzierungen zeigen sich robuster gegenüber Zinsschwankungen, wobei mittelfristig auch sie einigen Konditionsanpassungen unterliegen. Die steigenden Zinsen haben darüber hinaus nicht absehbare Konsequenzen für Süd- und Osteuropa, die unter der steigenden Zinslast leiden würden.
Gleichwohl ist die voraussichtliche Leitzinserhöhung ein Schritt in die richtige Richtung, da sie den Weg für eine handlungsfähigere Zentralbank ebnet. Bei einer Rezession hätte die EZB dann die Möglichkeit, mit einer Zinssenkung zu reagieren, um billiges Geld in Umlauf zu bringen und Investitionen anzuregen.
2. Aufstieg der Populisten – Abstieg des EU-Binnenhandels?
Es könnte alles so schön sein mit der EU: Reisefreiheit, Wirtschaftswachstum und über 50 Jahre Frieden, um nur eine kleine Auswahl der Annehmlichkeiten zu nennen. Wären da nur nicht die populistischen Kräfte, die fernab jeglichen wirtschaftlichen Sachverstands und moralischen Anstands EU-Errungenschaften der letzten Jahrzehnte torpedieren. Besonders spannend wird es diesen Mai: Die Wahl des EU-Parlaments, die bisher erstaunlich geringes mediales Interesse erfährt, steht an. Laut Umfragen könnten rechtspopulistische Parteien über 20 Prozent der Sitze des EU-Parlaments erringen – insbesondere aus Mittel- und Osteuropa. Sollten sie in der Folge Regierungsverantwortung übernehmen, könnte die EU dem amerikanischen „Vorbild“ folgen und den Freihandel einschränken. Das würde vornehmlich die exportorientierte deutsche Wirtschaft schmerzlich treffen. Eine gespaltene EU läuft zudem Gefahr, international an Einfluss und Ansehen zu verlieren. Insbesondere die USA und China hängen uns bei zukunftsbestimmenden Entwicklungen bereits zunehmend ab.
Ob eine Regierungsbeteiligung einer europakritischen Fraktion wahrscheinlich ist, bleibt umstritten. Zwar gilt eine Kooperation der großen Fraktionen mit den Euroskeptikern von EFDD und EFN als ausgeschlossen, doch könnten diese strategische Posten innerhalb der EU besetzen. Dies hätte jedoch eher Symbolcharakter – eine Einschränkung des EU-Binnenmarkts gilt als unwahrscheinlich.
3. Trumps Wundertüte – Überraschungen garantiert
Ganz sicher kann man sich bei Donald Trump nie sein. Das haben Politik und Wirtschaft gleichermaßen seit 2016 zu spüren bekommen. Man erinnere sich nur an die Autozoll-Debatte des letzten Jahres, die die deutsche Wirtschaft monatelang in Atem hielt. Bis heute bleibt es ungewiss, ob Strafzölle auf deutsche Autos undenkbar oder nur einen Tweet entfernt sind. Bauchschmerzen verursacht die Kontroverse in jedem Fall und es ist nur eine von vielen. Der Welthandel leidet zudem zunehmend unter der protektionistischen Politik des US-Präsidenten. Trump riskiert damit, eine weltweite Abwärtsspirale auszulösen, wie einst US-Präsident Hoover in den 1930er Jahren. Der vollbrachte es, den Welthandel innerhalb von drei Jahren um knapp zwei Drittel einbrechen zu lassen. Das ist insbesondere deshalb so gefährlich, weil die USA Deutschlands wichtigster Außenhandelspartner für Exporte sind.
Was oftmals außer Acht gelassen wird: Die Präsidentschaft und die damit einhergehende Politik Trumps sind keinesfalls in Stein gemeißelt. Selbst wenn die Bemühungen einer Amtsenthebung fehlschlagen, stehen bereits nächstes Jahr Präsidentschaftswahlen in den USA an. Sollte sich der Trend der Zwischenwahlen fortsetzen, könnte den USA eine 180-Grad-Wende der Wirtschaftspolitik bevorstehen. Entgegen der Darstellung zahlreicher Politmagazine ist die aktuelle Verzerrung der transatlantischen Beziehung eher ein akuter Infekt als eine chronische Krankheit. Die angespannten Beziehungen zwischen der EU und den USA könnten sich folglich schon nächstes Jahr entspannen, womit auch ein Abbau von Schutzzöllen wahrscheinlich wäre.
4. Indikatoren für eine Rezession
Ungeachtet der Risiken des laufenden Jahres ist die Gefahr einer Abkühlung der Märkte nicht neu. Der DAX hat im letzten Jahr bereits knapp 20 Prozent an Wert eingebüßt und liegt nun wieder auf dem Niveau von 2016. Das Risiko eines weiteren Abstiegs ist gegeben: Der Ifo-Geschäftsklimaindex sank im Dezember erneut und liegt in puncto Geschäftserwartungen mittlerweile auf Vierjahrestief. Ein weiteres Warnsignal folgt aus der Zinsstrukturkurve für US-Anleihen. In Amerika lag die Rendite zweijähriger Staatsanleihen jüngst über dem Renditeniveau zehnjähriger Anleihen. Eine inverse Zinsstruktur gilt als einer der verlässlichsten Vorboten einer Rezession. Anleger rechnen zukünftig mit fallenden Zinsen und investieren somit vermehrt in langfristige Anleihen (weil sie auf lange Sicht stabile Zinsen garantieren) und drücken somit deren Rendite. Auch die grundsätzlich sinkenden Wachstumsprognosen lassen sich als Vorzeichen einer Rezession deuten – wenn man so will.
5. Hoffnung trotz Krisenhysterie
Trotz der wirtschaftlichen Risiken gibt es auch Grund zur Hoffnung. So rechnet der Außenhandelsverband BGA trotz zahlreicher internationaler Unruheherde mit einem Wachstum der deutschen Exporte von bis zu drei Prozent im laufenden Jahr. Für 2020 wird gar ein Wachstum von 3,5 Prozent erwartet. Bedenklich ist allerdings, dass ein Wirtschaftswachstum von „nur“ 1,3 Prozent per se von vielen Experten bereits als Problem erachtet wird, ungeachtet der Symbolwirkung. Zur Erinnerung: Der Durchschnitt des preisbereinigten Wirtschaftswachstums der letzten zehn Jahre beträgt 1,4 Prozent. Das entspricht ironischerweise nahezu dem Wert, der für das diesjährige Wirtschaftswachstum erwartet wird. Trotz zahlreicher valider Indikatoren, die eine zeitnahe Abkühlung der Märkte prophezeien, sollte dieses Verhältnis im Hinterkopf behalten werden. Dann würde sich zumindest ein Teil der Hysterie als überflüssig herausstellen.