„Eine wunderbare Abwehrreaktion“: Der Zeckenforscher mit einer Superkraft gegen die Blutsauger

Wird es im Frühling wärmer, sind Zecken nicht mehr weit. Gefürchtet sind vor allem die Krankheiten, die sie übertragen können, zum Beispiel Borreliose. Für den Zeckenforscher Richard Ostfeld vom Cary Institute of Ecosystem Studies in Millbrook, New York, besteht allerdings keine Gefahr. Sobald eine Zecke in seine Haut beißt, stirbt sie. Das Phänomen könnte nun bei der Entwicklung neuer Impfstoffe helfen. Im Videocall verrät der Wissenschaftler, was hinter seiner Superkraft steckt.
MIT Technology Review (TF): Kann man sagen, dass Sie immun gegen Zecken sind?
Richard Ostfeld: Das stimmt und es scheint auf eine erworbene Immunität gegen bestimmte Antigene im Speichel von Zecken zurückzuführen zu sein. Ich scheine eine ausreichend starke Immunreaktion auf die Mundwerkzeuge der Zecke zu erzeugen, die die Zecke tatsächlich tötet.
TR: Wann haben Sie das gemerkt?
Ostfeld: Ich wurde berufsbedingt schon sehr oft gebissen. Und als ich in den 1990er Jahren meine Frau bei ihrer Feldforschung in Zentralkenia begleitete, kamen noch Dutzende, vielleicht sogar Hunderte Zeckenbisse hinzu. Und irgendwann einmal wachte ich mitten in der Nacht durch ein stark brennendes Gefühl am Nacken auf. Also ging ich ins Badezimmer, schaltete das Licht ein und sah einen kleinen schwarzen Punkt in der Mitte eines geröteten Kreises. Eine Zeckenlarve hatte mich gebissen – ein winziges Wesen, kleiner als ein Mohnsamen. Ich zog sie heraus und sah, dass sie tot war. Es gab auch keine Anzeichen, dass sie Blut gesaugt hatte, sodass sie auch keine Krankheitserreger auf mich übertragen hatte.
TR: Sind Sie schon eimal infiziert worden?
Ostfeld: Zumindest wurde bei mir nie eine durch Zecken übertragene Krankheit diagnostiziert, obwohl ich schon viele, viele Erfahrungen mit Zecken verschiedener Arten in verschiedenen Teilen der Welt gemacht habe. Es ist ganz offenbar eine wunderbare Abwehrreaktion.
Impfung gegen Zeckenbisse
TR: Als Sie merkten, dass Ihr Körper Zecken tötet, haben Sie sich gleich mit anderen Forschenden kurzgeschlossen, zum Beispiel um das Phänomen für die Impfstoffentwicklung zu nutzen, wie es ja nun geschieht?
Ostfeld: Ich stehe in Kontakt mit einigen Forschenden, von denen ich weiß, dass sie an Impfstoffen gegen Zecken arbeiten. Ich habe mein Blut angeboten. Ich habe angeboten, ein menschliches Versuchsobjekt zu werden. Ich unterstütze die wissenschaftliche Forschung persönlich und würde gerne helfen. Aber bisher hat sich noch niemand gemeldet. Wissenschaftler:innen der Yale University forschen aber gerade an der Entwicklung eines Impfstoffs für Menschen, der vor Zeckenbissen schützen soll. Dafür wurde das Blut von Menschen verwendet, die genauso wie ich diese Abwehrkraft entwickelt haben.
TR: Was schätzen Sie, wann könnte es eine solche Impfung geben?
Ostfeld: Die Forschung zur Impfstoffentwicklung gegen Zecken ist noch in einem frühen Stadium. Zurzeit helfen vor allem persönliche Schutzmaßnahmen. Dazu gehören Anti-Zecken-Mittel, Schutzkleidung, das Überprüfen des Körpers auf Zecken, wenn man aus der Natur zurückkommt, sowie das Wissen darüber, wie Zecken aussehen und welche Symptome durch Zecken übertragene Krankheiten auslösen können, damit man frühzeitig eine Diagnose bekommen und sich behandeln lassen kann. Diese Maßnahmen werden außerdem durch Vorhersagen darüber, wann und wo das Infektionsrisiko hoch ist, sehr unterstützt. Das ist eines unserer Forschungsthemen.
Spektakuläre Muster und Apotheke im Speichel
TR: Sie erforschen Zecken schon seit über 30 Jahren. Was fasziniert Sie eigentlich an diesen Tieren, vor denen sich viele Menschen eher ekeln?
Ostfeld: Mich ekeln Zecken nicht, was zum Teil daran liegt, dass ich mit ihnen vertraut bin. Ich habe sie inzwischen sehr zu schätzen gelernt. Es gibt Aspekte an Zecken, die faszinierend und sogar schön sind.
TR: Welche denn zum Beispiel?
Ostfeld: Zecken sind sexuell dimorph. Die Männchen und Weibchen haben unterschiedliche Farben und Muster. Einige Arten haben spektakuläre Muster auf ihrem Exoskelett, helle und dunkle Muster. Weibliche Schwarzbeinige Holzböcke sind schön ziegelrot und die Männchen sind schwarz. Dabei haben Zecken nicht einmal Augen. Sie können zwar Lichtverläufe erkennen, aber sie haben keine Augen. Warum Zecken dann diese wunderschönen schwarz-weißen oder andersfarbigen Muster auf dem Rücken entwickelt haben, wissen wir schlicht nicht.
Auch der Zeckenspeichel ist faszinierend. Um an ihre Blut-Nahrung zu kommen, müssen Zecken den Wirt davon abhalten, sie zu töten, so wie ich es tue. Dafür nutzen sie Substanzen wie Antihistaminika und Schmerzmittel, um zu betäuben. Damit der Wirt nicht merkt, dass er gebissen wird. Sie verwenden Antikoagulantien, damit das Blut fließt und nicht gerinnt. Sie verwenden Immunsuppressiva. Sie haben eine Apotheke im Speichel, die im Tierreich einzigartig ist.
Hinterhof im Hochrisikogebiet
TR: Werden die Bedingungen für Zecken künftig noch besser und die Gefahr für Zeckenkrankheiten künftig insgesamt größer?
Ostfeld: Wir wissen zum Beispiel, dass die Fragmentierung von Waldflächen das Infektionsrisiko steigert. Man senkt dadurch die Artenvielfalt, vor allem die Zahl größerer Wildtiere und erhöht die Zahl kleinerer Tiere wie Mäuse, die die allerbesten Wirte für Zecken und Pathogene sind. Wenn diese Fragmentierung des Waldes dann auch noch durch die Errichtung von Wohnsiedlungen verursacht wird, dann schafft man nicht nur eine perfekte Umgebung für viele infizierte Zecken, sondern wir platzieren unsere Hinterhöfe jetzt auch mitten in dieser Hochrisikoumgebung. Das ist ein Grund dafür, dass Lyme-Borreliose-Fälle in Nordamerika und Europa seit Jahren immer häufiger werden. Der Klimawandel scheint diesen Trend ebenfalls zu verschlimmern. Denn er bringt Zecken in Gebiete, in denen sie vorher nicht existieren konnten.
TR: Haben Zecken nicht auch irgendeinen Nutzen, zum Beispiel für unsere Ökosysteme?
Ostfeld: Arten müssen keinen Nutzen haben. Sie sind da, weil sie sich entwickelt haben, um zu überleben und sich zu vermehren. Es gibt auch andere Kräfte in der Evolution, aber die natürliche Auslese ist die wichtigste. Wir könnten natürlich fragen, ob es irgendwelche unerwarteten Vor- oder Nachteile für die Ökosysteme gäbe, wenn Zecken verschwinden würden.
TR: Was wäre die Antwort?
Ostfeld: Zecken sind in vielen Teilen der Welt wichtige Parasiten von Wild- und Nutztieren. Sie können Krankheitserreger übertragen, die diese Wirtstiere krank machen. In einigen tropischen Gebieten ist es deshalb notwendig, Nutztiere chemisch zu schützen. Wenn Zecken also aus diesen Gebieten verschwinden würden, würde dies einigen Wild- und Nutztieren zugutekommen. In anderen Regionen glaube ich ehrlich gesagt nicht, dass wir das in ökologischer Hinsicht bemerken würden, wenn Zecken verschwänden. Hier treten die Symptome der Lyme-Borreliose nur bei Menschen, Pferden und Hunden auf, während andere Tiere offenbar nicht betroffen sind. Es könnte subtilere Auswirkungen geben, die wären aber nur schwer zu erkennen.
(Das Interview ist eine editierte, gekürzte Version des Transkripts)