Zoom-Fatigue enträtselt: „Bereits nach zehn Minuten setzt die Müdigkeit ein“

Die berühmte Kachel bestehend aus den Gesichtern der Kollegen am flackernden Bildschirm – jeder kennt sie: es ist Videokonferenz-Zeit. Laut dem Bitkom haben deutsche Büroarbeiter durchschnittlich acht Online-Meetings am Tag. Mit Beginn der Corona-Pandemie stieg die Anzahl rasant an. Und auch ein damit im Zusammenhang stehender Begriff aus der Arbeitswelt ist inzwischen allseits bekannt: die sogenannte Zoom-Fatigue.
Gehirn-Scans weisen Erschöpfung nach
Dahinter steht das Phänomen der Videokonferenz-Müdigkeit. Forscherinnen und Forscher studieren es seit Jahren. Mit unterschiedlichen Verfahren und durchaus spannenden Erkenntnissen. Eine Studie aus Österreich von der FH Oberösterreich und der TU Graz hat für Aufsehen gesorgt. Anders als die meisten Forschungsarbeiten, die allein anhand von Befragungen arbeiten, untersuchten sie die Fatigue neurophysiologisch.
Rene Riedl ordnet die Relevanz der Forschung hoch ein: „Ein besseres Verständnis von Zoom-Fatigue ist wichtig, da dieses Phänomen weitreichenden Einfluss auf das Wohlbefinden von Einzelpersonen, zwischenmenschliche Beziehungen und organisationale Kommunikation hat“, so der Professor der Fachhochschule Oberösterreich. Ziel sei es, Menschen bei der Nutzung von Digitaltechnologien zufriedener und produktiver zu machen.
Mithilfe von Gehirn-Scans bewiesen sie, dass Videokonferenzen und Online-Schulungen tatsächlich zu stärkerer Erschöpfung führen als analoge Treffen. Im Rahmen eines Laborexperiments ließen sie 35 Studenten an 50-minütigen Vorlesungen teilnehmen, die sowohl im Hörsaal als auch online stattfanden. Anschließend verglichen sie die Hirnströme mit den Antworten der Probanden zu ihrer Müdigkeit und der Stimmung.
Das Forschungsergebnis sei eindeutig: Wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihrem Bericht darlegen, zeigten die neurophysiologischen Informationen, zusammen mit den Antworten aus dem Fragebogen, dass eine 50-minütige Videokonferenz im Vergleich zu einer Präsenzveranstaltung zu messbaren Veränderungen im menschlichen Nervensystem führt. Die kann zweifellos als Ermüdungserscheinungen interpretiert werden.
Rene Riedl und seine Forschungsgruppe empfehlen, Videokonferenzen und Online-Schulungen als mögliche Ergänzung zur persönlichen Interaktion zu betrachten und analoge Treffen nicht komplett durch sie zu ersetzen. Lässt sich ein digitales Meeting nicht vermeiden, sollte jedoch nach 30 Minuten eine Pause stattfinden. Außerdem könnte es hilfreich sein, die Sprecheransicht zu nutzen, um die Intensität ständiger Blickkontakte abzuschwächen.
Herzfrequenzen sprechen für Unterforderung
Auch in Finnland haben Forscherinnen und Forscher die Zoom-Fatigue an der Aalto University in Espoo untersucht. Ihre Herangehensweise war ähnlich: Die Herzfrequenz der Probanden wurde mit tragbaren Messgeräten aufgezeichnet. Zusätzlich mussten alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Anschluss einen Fragebogen zu ihrer generellen Einstellung und ihrem Arbeitsengagement ausfüllen. Das Ergebnis ließ aufhorchen.
Die resultierende Erschöpfung ist keine aktive, sondern eine passive Müdigkeit. Soll heißen: Die Probanden sind nicht gestresst oder mental überlastet, sondern eher träge und abgeschlagen. „Die langsamen Herzfrequenzen sprechen für eine Unterforderung“, so Niina Nurmi, Professorin an der Aalto University. „Bereits nach zehn Minuten setzt die Müdigkeit ein. Ab 30 Minuten steigt der Erschöpfungswert stark an.“
Auch Niina Nurmi hat Tipps: Sie rät dazu, große Videokonferenzen mit reiner Folienpräsentationen zu vermeiden: Diese seien ineffizient und machten Menschen schläfrig. Die Informationen könne man den Mitarbeitenden lieber per E-Mail schicken. Virtuelle Meetings sollten kurz und stimulierend gehalten werden, zum Beispiel durch gemeinsame Diskussionen. Außerdem plädiert auch sie für die Sprecheransicht.
Eine Personengruppe stärker betroffen
In Deutschland haben sich Forscherinnen und Forscher rundum Christian Montag mithilfe von Persönlichkeitstypen an die Thematik gewagt. „Die neuartige Erscheinung der Videokonferenz-Müdigkeit ist noch unzureichend charakterisiert. Sie kann sich in unterschiedlichen Ausprägungen äußern, die emotionale, soziale, motivationale und visuelle Aspekte haben können“, so der Professor der Universität Ulm zur Zoom-Fatigue.
Sein Forschungsteam hat Online-Fragebögen von über 300 Probanden ausgewertet. Speziell das Persönlichkeitsmerkmal „Neurotizismus“ wurde als potenziell begünstigender Faktor für Videokonferenz-Müdigkeit berücksichtigt. „Weiterhin konnten wir Hinweise darauf finden, dass der Zusammenhang zwischen neurotischeren Personen und Burnout-Tendenzen zum Teil über die Videokonferenz-Müdigkeit erklärt werden könnten.“
Gleichwohl sagt er aber auch, dass es weitere Studien benötige, um das Phänomen zu erforschen. In der Auswertung kommen die Forscherinnen und Forscher zu dem Schluss, dass kürzere Videokonferenzen sowie längere Pausen dazwischen ein Schlüssel sein könnten, um das Phänomen einer Videokonferenz-Müdigkeit zu vermeiden. Der Tenor ist der gleiche: Weniger Online-Meetings sind besser für die Aufmerksamkeit.