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Digitale Gesellschaft
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Mobile Crowdsourcing als Lebensretter

Crowdsourcing, die „Intelligenz der Vielen“, erlebt in der Verbindung mit der aktuellen Handygeneration eine spannende Weiterentwicklung. Die Kombination aus Smartphone, GPS-Ortung und intelligenten Apps macht Menschen zu lebendigen Messstationen und mobilen Datenübermittlern. „Mobile Crowdsourcing“ ist mehr als das Aufzeigen, in welchen Stadtteilen und Kneipen gerade das Leben tobt. Der Schwarm sorgt per Handynutzung dafür, dass überlebenswichtige Hilfseinsätze eingeleitet, städtische Infrastrukturen verbessert und Katzen sterilisiert werden.

7 Min. Lesezeit
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(Foto: jentakespictures/iStock)

(Foto: jentakespictures/iStock)

Crowdsourcing, die Vergabe von Innovationsprozessen an die Schar der Nutzer, hat in den vergangenen Jahren sämtliche Bereiche für sich eingenommen, von Wissen (Wikipedia) über Webdesign (12designer) bis hin zur Finanzierung von Projekten (Betterplace). Dank verbesserter Handytechnologien und intelligenten Apps erfährt der Prozess seit einiger Zeit eine Weiterentwicklung, denn das ortsunabhängige Agieren des „Schwarms“ eröffnet neue Möglichkeiten. Mit Hilfe von Smartphone-Funktionen wie Kompass und Mikrofon erfassen Handy-Nutzer von sämtlichen Orten aus Daten und leiten sie an entsprechende Websites weiter.

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In Verbindung mit GPS-Ortung entstehen aus den Informationen spannende Kartogramme, beispielsweise zu Strahlenwerten, Luftverschmutzung oder auch zur Katzendichte in Stadtgebieten. Da Crowdsourcing in vielen Bereichen die schnellste und effizienteste Art ist, um Informationen zu sammeln und Messungen zu erheben, kommt es verstärkt zu Kooperationen zwischen Wissenschaft, Behörden, Hilfsorganisationen und Mobile Crowdsourcing-Projekten.

Die Nutzung der Schwarmintelligenz lässt sich in aktives und passives Crowdsourcing unterteilen. Bei der passiven Variante werden Nutzerdaten, etwa von GPS oder WiFi, automatisch gesammelt und vorwiegend in Kartogrammen verarbeitet, nachdem Nutzer die entsprechende Anwendung heruntergeladen haben. Ein Beispiel ist die Smartphone-App Citysense. Auf einer Karte sehen angemeldete Nutzer, wo in ihrer Stadt (derzeit ausschließlich San Francisco) aktuell das Nachtleben tobt (über eine Weiterlinkung zu Yelp und Google erfährt man, was bei den Hotspots los ist). Beim aktiven Crowdsourcing werden User selbst tätig, indem sie zum Beispiel per Handy Bilder machen, Geräusche aufnehmen oder sonstige Werte messen und diese an eine bestimmte Adresse weiterleiten. Bei den folgenden Beispielen handelt es sich um aktives Crowdsourcing.

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Die App „Citysense“ zeigt auf, wo in der Stadt gerade etwas los ist.

Die App „Citysense“ zeigt auf, wo in der Stadt gerade etwas los ist.

Schnelle Hilfe in Krisenregionen

Wo immer in der Welt eine Katastrophe geschieht, sei es durch Naturgewalt oder menschlichen Einfluss, herrscht dasselbe Problem: Den Behörden und Hilfsorganisationen fehlt der schnelle Überblick, um Hilfen zügig und gezielt an die richtigen Stellen zu bringen. Mobiles Crowdsourcing beschleunigt diesen Prozess um ein Vielfaches.

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So bündelt zum Beispiel die Plattform Ushahidi (www.ushahidi.com) Informationen aus Krisenregionen und visualisiert sie in Karten. Für die Daten sorgen die Handynutzer selbst: Nach dem Erdbeben auf Haiti schickten zahlreiche Ortsansässige Infos über den Zustand ihrer direkten Umgebung an die Betreiber – per SMS, Anruf oder E-Mail. Die daraus resultierende Karte zeigte das Ausmaß der Zerstörung regionenbezogen auf. Keine andere Methode hätte einen schnelleren Überblick ermöglicht, Ersthelfern und Organisationen wurde die Hilfe vor Ort erleichtert [1].

Als in Japan die Reaktor-Katastrophe rund um Fukushima geschah, war schnelles Vorgehen gefragt – auf die eigene Regierung war in dieser Hinsicht leider wenig Verlass. Innerhalb kürzester Zeit entstand die Webseite RDTN.org, auf der Strahlungswerte aus allen Regionen Japans veröffentlicht wurden, zugeschickt von den Anwohnern selbst. Die Schwarmmitglieder legten sich einen Geigerzähler zu und übermittelten die Werte mitsamt ihrer GPS-Daten an die Plattformbetreiber. Die Google-Maps-Karte wurde zu einer wichtigen Ergänzung für die Berichte der Regierung [2].

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Aber mobiles Crowdsourcing funktioniert nicht nur in akuten Krisen, sondern auch bei Langzeitprojekten, wie das Unternehmen NextDrop eindrücklich zeigt. Die Plattform ermöglicht indischen Bewohnern eine zuverlässigere Wasserversorgung. In vielen Städten Asiens und Afrikas gibt es nur einmal pro Tag für mehrere Stunden Wasser. Da die Wasser-Zeiten unregelmäßig sind, verbringen zahlreiche Menschen – vor allem Frauen und Arme – den Tag mit Warten auf das Eintreffen des Wassers.

Bei NextDrop können die Wasserversorgungs-Unternehmen nun melden, wenn sie die Wasserhähne für die betreffende Region öffnen. Das System wandelt die Angaben in Updates für die Ortsansässigen um und informiert diese automatisch 30 bis 60 Minuten vor dem Eintreffen des Wassers per SMS.

Die Crowd sorgt nun für die Echtzeit-Rückmeldung, wie zuverlässig und stimmig die Angabe war. Sämtliche Informationen der Anwohner werden mit den Berichten der Wasserversorgungszentren verglichen, sodass Probleme und Störpunkte schnell ausfindig gemacht werden können. Dem Konzept kommt zu Gute, dass die Handy-Nutzung in so genannten Entwicklungsländern überdurchschnittlich hoch ist.

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Bessere städtische Strukturen

Auch hierzulande wird Crowdsourcing genutzt, um Aspekte des städtischen Lebens zu verbessern. Mit der App von NoiseTube können Nutzer beispielsweise die Lärmwerte ihrer Umgebung messen und veröffentlichen. Zwar erhebt auch die EU die Lärmwerte ihrer Mitgliedsstaaten – aber nur alle fünf Jahre. Noise Tube liefert Nutzern wertvolle Informationen über ihren potenziellen zukünftigen Wohnort und könnte zukünftig auch für die verantwortlichen Stadtentwickler von Bedeutung sein. Die NoiseTube-App, ein Gemeinschaftsprojekt der Sony Computer Science Laboratory in Paris und der Freien Universität Brüssel, gibt es derzeit für Java und Android, eine iPhone-App ist in der Pipeline.

Auch der Umgang mit Luftverschmutzung wird dank Crowdsourcing zunehmend demokratisiert. „Portland Smells“ war ursprünglich als Kunstprojekt gedacht, dann entstand daraus die Ausgründung whatsinourair.org, ein Projekt, bei dem es um soziale und ökologische Gerechtigkeit geht. Nutzer melden, wenn sie in ihrem Wohngebiet auf seltsame Gerüche aufmerksam werden (was in einer Industriestadt wie Portland/Maine nicht gerade selten vorkommen dürfte).

Bei whatsinourair.org sieht man auf den ersten Blick, wo es in Portland stinkt.

Bei whatsinourair.org sieht man auf den ersten Blick, wo es in Portland stinkt.

Um den Duft zu beschreiben, gibt es bereits vorgefertigte Antwortmöglichkeiten: Farbdämpfe, verbrannter Gummi, Benzin und anderes. Auf diese Weise können zum Beispiel illegale Müllhalden ausfindig gemacht und Erhebungen zur Luftverschmutzung in einzelnen Stadtteilen – beispielsweise in der Nähe von Schulen – gemacht werden. Leider gibt es von whatsinourair.org derzeit noch keine Smartphone-Applikation, dies wird aber hoffentlich nur noch eine Frage der Zeit sein [3].

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Schweizer Mitbürger aus Zürich haben seit einiger Zeit eine tolle Möglichkeit, um die Stadt auf Missstände in der städtischen Infrastruktur aufmerksam zu machen. Mit der entsprechenden iPhone-App fotografieren sie beim Spazierengehen einfach beobachtete Mängel an Straßen, Laternen, Automaten etc. und schicken die Bilder inklusive GPS-Daten direkt an die Stadtverwaltung. Das Projekt ist ein sinnvolles Einsatzgebiet für Crowdsourcing, schließlich kann keine Stadtverwaltung die gesamte städtische Infrastruktur im Blick behalten [4].

Ein weiteres Anwendungsfeld ist der Stadtverkehr: Die Applikation Waze (www.waze.com) erhebt per GPS Daten über das eigene Fahrverhalten. Die Bewegungen (bzw. Nicht-Bewegungen) erlauben Rückschlüsse über Verkehrsaufkommen und -hindernisse; Nutzer erhalten rechtzeitig Angaben, welche Straßen aktuell besser zu meiden sind [5]. Auch Google Maps nutzt mittlerweile Handy-Daten, um Staus rechtzeitig zu erkennen.

Biketastic (www.biketastic.com) schlägt sich hingegen auf die Seite der Radfahrer. Mit Hilfe der App können Fahrrad-Pendler die beste Route für die Fahrt zum Arbeitsplatz ermitteln, was vor allem in Großstädten sinnvoll ist. Die Ermittlung erfolgt, indem zahlreiche Nutzer Daten wie GPS, Beschleunigung und Geräusche per Smartphone übermitteln und mit persönlichen Anmerkungen ergänzen. Wichtige Faktoren sind zum Beispiel die Beschaffenheit der Straße, Höhenunterschiede und die Länge der Stoppzeiten.

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Täter- und Tierfahndung

Mit der App von barcoo erhalten Nutzer sämtliche Infos zu den eingescannten Produkten – samt Preisvergleich.

Mit der App von barcoo erhalten Nutzer sämtliche Infos zu den eingescannten Produkten – samt Preisvergleich.

Ein recht neues Einsatzgebiet für mobiles Crowdsourcing ist die Fahndung nach Tätern oder Tieren. Vor allem bei den sommerlichen Krawallen in London und anderen englischen Städten wurde die Crowd mobilisiert, beim Finden von Randalierern zu helfen. Ein frustrierter Mitbürger stellte Bilder von Plünderern auf der Webseite „Catch a looter“ ein und forderte dazu auf, die Täter zu identifizieren und zu melden. Andere taten es ihm gleich und machten beim Gang durch die Straßen „Schnappschüsse“ von Menschen bei kriminellen Handlungen.

Etwas weniger heikel geht es bei catmapper zu. Dort werden nicht Menschen gemeldet, sondern Katzen. „Then I got obsessed with cats. While walking around neighborhoods in Portland you will run into them all over the freaking place“, schreibt Gründer Max Ogden. Er fragte sich, in welchen Stadtgebieten wohl die höchste Katzendichte herrscht und ob man nicht Informationskampagnen zur Sterilisation von Katzen gezielter angehen könne, wenn man Zugang zu den Daten hätte. Also fing er an, unterwegs gesehene Katzen zu filmen und mit einer vom ihm programmierten Webapp auf Basis von jQuery Mobile [6] im Netz zu veröffentlichen. In Schwung gekommen ist die Idee zwar nicht, aber der Ansatz ist interessant. User können auf einer Karte lokalisieren, wo ihnen ein Kater begegnet und ein Foto samt GPS-Daten verschicken [7].

Verbraucherschutz

Wo die Menge zusammenarbeitet, kann man Verbrauchern in Zukunft nichts mehr vormachen. Mit der App von barcoo gewinnt der Verbraucherschutz kräftig an Fahrt. Smartphone-Besitzer nutzen ihr Handy, um damit in Ladengeschäften oder Onlineshops die Produktcodes zu scannen. Neben dem Vergleich, wo der Artikel am günstigsten angeboten wird, kommen Nutzer so an sämtliche Zusatzinformationen zu den Produkten. So bündelt barcoo zum Beispiel in Zusammenarbeit mit dem Forschungsprojekt WeGreen Informationen zur sogenannten Corporate Social Responsibility (CSR) und kennzeichnet die soziale Verantwortung der Hersteller mit einer „Nachhaltigkeitsampel“.

Fazit

Die möglichen Einsatzgebiete von mobilem Crowdsourcing sind enorm. Örtliche Flexibilität verbunden mit den Möglichkeiten der neueren Handys, intelligenter Apps und GPS-Ortung führt das „normale“ Crowdsourcing auf die nächste Stufe und hat vor allem im sozialen und bürgerpolitischen Bereich vieles zu bieten. Haiti und Fukushima haben es gezeigt: Wo Regierungen versagen und Behörden oder Hilfsorganisationen an ihre Grenzen kommen, wird die Intelligenz des Schwarms zu einer lebensnotwendigen Ergänzung. Aber auch in weniger dramatischen Situationen bietet Mobile Crowdsourcing tolle Möglichkeiten, als Menge das eigene Geschick selbst in die Hand zu nehmen, ob bei städtischer Luftverschmutzung oder infrastrukturellen Mängeln. Insofern ist Crowdsourcing, vor allem in seiner mobilen Variante, auch ein Weg zu mehr demokratischer Mitbestimmung.

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