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Chatbots nach dem Hype: Wie smart sind die kleinen Programme wirklich?

Der Traum von intelligenten­ Chatbots, die unsere Wünsche auf Anhieb ­verstehen, hat sich bisher nicht erfüllt. Doch hinter den überzogenen Erwartungen gibt es durchaus spannende Ansätze.

8 Min. Lesezeit
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(Grafik: Shutterstock / Irina Strelnikova)

Als Mark Zuckerberg vergangenes Jahr die Öffnung des Facebook Messengers für Chatbots verkündete, waren die Erwartungen in der Tech-Branche groß. Ein Chat-Programm, das selbstständig auf Nutzeranfragen reagiert und automatisiert auf deren Bedürfnisse eingeht? Das sorgte für große Aufmerksamkeit bei vielen Unternehmen. Kunden würden in Zukunft nur noch im Messenger einkaufen und Leser ihre News per Chatbot empfangen. Und auch im Kundendienst, so die Idee, könnten sie zügig die E-Mail und das Telefon ersetzen, dadurch die menschliche Fachkraft einsparen und Personalkosten reduzieren. Besonders Mutige prophezeiten sogar, dass die kleinen Helfer praktisch von heute auf morgen sämtliche Apps auf dem Smartphone ersetzen.

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Inzwischen gibt es rund 34.000 Chatbots im Facebook-­Messenger. Der wiederum kann auf eine Milliarde täglich aktive Nutzer verweisen. In allen Branchen beschäftigen sich Marketingexperten und Entwickler mit der Frage: Wie bringe ich mein Produkt, meine Dienstleistung oder meinen Inhalt per Chatbot an den Kunden? Sowohl Konzerne wie British Airways, Nike oder die Deutsche Bank als auch junge Internetunternehmen wie Uber, Zalando oder Poncho experimentieren mit ihnen. Das Credo: Die Kunden dort abholen, wo sie sind. Menschen, die in der U-Bahn, im Park oder im Stau auf ihr Smartphone schauen, sind mit hoher Wahrscheinlichkeit gerade in einem Messenger unterwegs.

Trotzdem ist von dem Hype 2016 nur wenig übrig geblieben.  „Viele haben die Komplexität von Chatbots und die dafür notwendige Technologie unterschätzt“, sagt Max Koziolek. Zusammen mit Hendrik Höft und Markus Stellenberg hat er Spectrm gegründet, ein Startup, das für Marken unterschiedlicher Branchen smarte Bots entwickelt. Dass die Programme den Menschen ersetzen, ist für ihn noch weit entfernt: Sie seien schlicht nicht fähig, menschliche Gespräche zu führen. „An intelligenten Unterhaltungen arbeiten wir, an echten jedoch nicht“, kritisiert er. Koziolek wirbt dafür, vor allem mit dem Begriff künstliche Intelligenz etwas vorsichtiger umzugehen.

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„Wohin kann ich für 500 Euro fliegen?” Der Kayak-Chatbot versteht individuelle Fragen. (Foto: Dunnnk / Kayak)

Gute Chatbots konzentrieren sich seiner Meinung nach derzeit darauf, ein einfaches Nutzererlebnis, ein intuitives Chat-Design und ein ausgereiftes Natural Language Processing (NLP) zu garantieren. NLP umfasst sämtliche Techniken und Methoden zur maschinellen Verarbeitung natürlicher Sprache. Ziel ist eine möglichst  intuitive Kommunikation zwischen Mensch und Maschine. Fragt ein Kunde beispielsweise nach Änderungen seines Flugstatus, versteht ein guter Chatbot die Anfrage sofort und kann entsprechend antworten. Erhält der Fragesteller anschließend Änderungen zum Boarding, hat das Hilfsprogramm einen guten Job gemacht. Schlechte Exemplare senden hingegen ungefragt irrelevante Push-Benachrichtigungen und bieten dem Nutzer im Vergleich zu einem Newsletter oder einer Website kaum Vorteile.

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Auf dem Markt befinden sich derzeit noch viele Beispiele der letzten Kategorie. Das liegt vor allem daran, dass sich Marketingverantwortliche und Entwickler mit wenig Budget auf Bot-Baukästen stürzen. Deren rudimentären Funktionen erlauben kaum individuelle Lösungen. Per Drag & Drop lassen sich darin zwar Module, die für verschiedenste Funktionen stehen, zusammenschieben, jedoch fühlt sich das Gespräch mit einem Baukasten-Bot oft nach Einbahnstraßen-Kommunikation an. Anwender vermissen nicht nur natürlich wirkende Kommunikation, sondern schlicht die „Intelligenz“, die Spectrm-Gründer Koziolek einem guten Chatbot zuspricht. Anfragen, die ein Programm nicht versteht, verlaufen sich im Sand oder führen dazu, dass der Anwender letztlich doch wieder nur per Link auf die Website geleitet wird. Derartige Chatbots helfen nicht.

Reiseplanung mit einem Chatbot

Einen durchaus intelligenten Chatbot hingegen verantwortet Matthias Keller, Chief-Scientist bei der Reisesuchmaschine ­Kayak. Der Entwickler hat an der Realisierung des hauseigenen Bots mitgearbeitet. „Unser Ziel war es, vor allem jüngere Zielgruppen anzusprechen, die selten Apps installieren, jedoch viele Messenger nutzen.“ Der Kayak-Bot durchsucht Flug-, Hotel- und Mietwagen-Angebote im Netz und unterstützt die Kunden bei der Buchung. Das bedeutet auch, sie danach über etwaige Veränderungen auf dem Laufenden zu halten und bei Bedarf wichtige Informationen wie die Buchungsnummer oder Reisezeiten zu übermitteln. Die Kayak-Software unterscheidet dabei selbstständig zwischen Anfragen, die der Chatbot automatisch beantworten kann, und solchen, die einen Service-Mitarbeiter erfordern.

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Seit dem Launch im vergangenen Jahr sei die Nutzung stetig gestiegen, so der Chef-Entwickler. „Wir bekommen über den Facebook-Messenger sowohl Suchanfragen, Buchungen als auch Mitteilungen an unseren Kundenservice.“ Vor allem in den USA und Brasilien wird der Kayak-Chatbot besonders gut angenommen. In Deutschland habe er jedoch nur wenig Zulauf erhalten. Das Programm nehme hierzulande noch keinen signifikanten Teil des Suchaufkommens ein. Das führt Keller vor allem darauf zurück, dass das Interesse an Chatbots in der Bundesrepublik generell eher niedrig sei. Der Digitalverband Bitkom fand kürzlich heraus, dass sich tatsächlich nur jeder vierte Bundesbürger überhaupt den Einsatz eines Chatbots im täglichen Leben vorstellen kann, davon wiederum nur knapp 58 Prozent für die Reisebuchung und 41 Prozent, um Nachfragen und Beschwerden beim Kundendienst einzureichen.

Kayak lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen. Es sei noch zu früh, ein endgültiges Fazit zu ziehen. „Wir verfolgen einige Ideen, um unsere Chatbots zu schlauen Reiseberatern zu machen“, sagt Keller. „Die sind allerdings noch in einem sehr frühen Stadium.“ Trotzdem warnt er auch: „Chatbots sind kein Allheilmittel.“ Manager sollten die Erwartungen nicht allzu hoch stecken.

Interne Nutzung von Chatbots

Ganz ähnliche Erfahrungen hat auch die Bild gemacht. Als Face­book die Chatbots bekannt gab, war das Boulevardblatt als Partner des sozialen Netzwerks ganz vorne mit dabei. Sportbegeisterte konnten dem Bild-Ticker eine Nachricht schicken, um anschließend Gerüchte über Transfers via Facebook-Messenger zu erhalten. „Wir haben schon frühzeitig angefangen, mit Messaging-Diensten zu experimentieren“, sagt Mathias Meier, Leiter der Produktentwicklung bei Bild. „Es war abzusehen, dass die so genannten Closed-Social-Networks innerhalb kürzester Zeit soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter bei den Daily-­Active-Usern überholen.“ Für die Berliner hatte ein Testlauf somit oberste Priorität. Inzwischen sind rund 50 Chatbots für das Medium im Einsatz. Für jedes Interessengebiet gibt es das passende Chatprogramm, selbst der HSV ist abgedeckt. Die Nutzer haben das neue Angebot laut Bild gut angenommen. Die Klickraten auf Nachrichten seien um einiges höher als auf vergleichbaren Posts der Facebook-Seiten.

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Die Reichweite entspricht allerdings noch nicht den Ansprüchen. Genaue Zahlen verrät Meier dazu zwar nicht. Aber die Bild hat die gleichen Erfahrungen wie Kayak gemacht: Die deutsche Zielgruppe ist zwar aktiv, jedoch vergleichsweise klein. Das habe auch die Konkurrenz bestätigt. „Die Herausforderung, die noch kein journalistisches Angebot auf diesen Plattformen gelöst hat, ist das Onboarding“, sagt der Bild-Manager. „Wir glauben aber an das Potenzial und testen weitere Formate.“

Für die Medienmacher geht das Thema inzwischen jedoch weiter als anfangs gedacht. Anders als Kayak will die Bild-Zeitung die Bots nämlich auch fernab des Facebook-Messengers einspannen. Hohe Priorität habe derzeit vor allem die Entwicklung interner Programme, die im redaktionellen Alltag unterstützen. „Slack-Bots machen uns beispielsweise darauf aufmerksam, wenn unsere Apps in den Stores eine schlechte Bewertung erhalten“, erklärt Meier. Ein anderer Helfer schlägt Alarm, wenn in der Hamburger Lokalredaktion eine Geschichte besonders gut geteilt wird. Dann können die Berliner überlegen, ob sich die Verteilung auch auf anderen Facebook-Seiten lohnt. „Die Bots reagieren zwar automatisch, aber überaus intelligent“, erklärt Meier. „Das ist es, was für uns einen guten Bot vom Oldschool-Newsletter unterscheidet.“

Konkurrenz von Siri und Alexa

Die technische Entwicklung von Chatbots steht zwar noch am Anfang. Trotzdem werden sie längst von Bots ganz anderer Art bedrängt. Apples Siri machte 2011 den Anfang, aber spätestens seit dem Erfolg von Echo sind Voicebots ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangt. Mit dem intelligenten Lautsprecher und der Sprachassistentin Alexa ist Amazon treibende Kraft in den heimischen vier Wänden. „Wenn auf fast jedem Paket ein Hinweis auf das Gerät zu finden ist, weiß man, dass Jeff Bezos es ernst meint“, sagt Spectrm-Chef Koziolek. Auch Google und Apple ziehen in diesem Jahr mit ähnlichen Lautsprechersystemen in den Wettkampf.

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Technisch stehen Voicebots vor den gleichen Herausforderungen wie Chatbots. Sie müssen menschliche Sprache verstehen lernen und anschließend richtig interpretieren. Sucht ein Anwender beispielsweise nach „Romantische Reise am Valentinstag“, muss ein guter Voicebot erkennen, dass der 14. Februar gemeint ist, dass wahrscheinlich zwei Personen verreisen und dass sich Paris als Stadt der Liebe besser eignet als Bielefeld. In den vergangenen zwei Jahren hat sich die Voice-Recognition und der NLP deutlich verbessert. „Die Fehlerquote ist von mehr als 20 auf unter fünf Prozent gesunken“, sagt Koziolek. „Das sind Welten.“ In den USA haben Amazon-Voicebots, die sogenannten Alexa-Skills, gerade die 15.000er-Marke geknackt. In Deutschland gibt es bisher 1.637 solcher Bots.

Die Grafik zeigt: Während in Nordamerika der Facebook Messenger der meist genutzte Messenger ist, sieht das in Europa anders aus: Hier ist Whatsapp klar die Nummer eins. (Grafik: Similar Web)

Dass Voicebots die Chatbots komplett ablösen, wird laut Koziolek aber nicht passieren. Zwar wird die gesprochene Sprache auch im Messenger streckenweise Anwendung finden. Aber es hängt sehr vom Nutzungsszenario ab, wann welche Eingabe­methode gewählt wird. „In der U-Bahn muss nicht jeder mitbekommen, dass mir der Pullover in L doch nicht passt und ich ihn umtauschen will“, sagt der Bot-Spezialist. Zudem haben Voicebots ein limitiertes User-Interface. Chatbots können Bilder senden, ein Voicebot müsste das T-Shirt beschreiben. „Das kann sehr umständlich sein. Ein Bild sagt halt mehr als tausend Worte.“ ­Koziolek glaubt, dass sich Voicebots auch in Zukunft vor allem auf Lautsprecher und Chatbots auf Messenger konzentrieren. „Wir werden beides gleichberechtigt nebeneinander nutzen.“

In Deutschland noch Nische

Zwar sind Chatbots noch weit entfernt von einer Maschine, die eine echte menschliche Unterhaltung simuliert. Allerdings reagieren sie in Teilen bereits durchaus intuitiv und kommunizieren intelligent. Für spezifische Anwendungsfälle, die noch wenig komplex sind – wie etwa Reiseplanung oder News –, können sie durchaus Servicecharakter entfalten. Oder wenn es um Benachrichtigungen geht: Bei spezifischen Einstellungen sind Chatbots bereits in der Lage, den Nutzer zum gewünschten Zeitpunkt über Ereignisse zu informieren. Der Vorteil für den Nutzer liegt auf der Hand: Statt in unzähligen verschiedenen Apps mit jeweils unterschiedlichen User-Interfaces unterwegs zu sein, reicht eine App, die er ohnehin täglich nutzt.

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Dass die Entwicklung der Technologie vorwiegend in Nordamerika stattfindet, hat für deutsche Nutzer jedoch gewichtige Nachteile. Sprachbarrieren führen dazu, dass sich der Ansturm der Anwender noch in Grenzen hält. Niemand schreibt oder spricht gerne englische Befehle ins Gerät. Daneben fehlt es vielen Deutschen auch an Vorstellungskraft, die kleinen Helfer im Alltag einzusetzen. Erst wenn die maschinelle Verarbeitung deutscher Befehle funktioniert, kann die Technologie hierzulande überzeugen und sich verbreiten – was wiederrum Unternehmen auf den Plan rufen würde, noch mehr Ressourcen in die Entwicklung zu stecken.

Hinderlich ist aber auch, dass Chatbots in einem Messenger populär sind, der in Deutschland relativ wenig genutzt wird – dem Facebook-Messenger nämlich. Die Bundesbürger nutzen lieber Whatsapp. Auf dem Messenger mit dem grünen Icon findet ein Großteil des digitalen Lebens statt: Dort verabreden sich die Nutzer, diskutieren die neuesten Bundesliga-Ergebnisse oder verschicken ihre Urlaubsbilder. Weil die Geschäftsbedingungen des Dienstes kommerzielle Zwecke verbieten, trauen sich Unternehmen nur mäßig in die beliebten Chatfenster. Solange aber Face­book die Chatbots nur im Messenger erlaubt, bleibt der Erfolg hierzulande vorerst aus – selbst dann, wenn die kleinen Programme tatsächlich hilfreich sein könnten.

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Dein t3n-Team

Thomas Zale

Interessanter Artikel. Für den Kundenservice könnten Chatbots auch Vorteile bringen. Hier ein interessanter Artikel dazu: https://www.online.tgmmediagroup.it/der-kundenservice-der-zukunft/

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