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Reportage
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Ihr könnt über die Digitalisierung deutscher Konzerne jammern – oder euch Bosch ansehen

Vernetzte Parkplätze und Ridesharing-Apps: Bosch bewegt sich weg vom traditionellen Zulieferergeschäft hin zum modernen IT-Konzern. Dadurch konkurriert es auch mit den ­Konzernen, mit denen es Geschäfte macht: den Automobilherstellern.

Von Lisa Hegemann
13 Min. Lesezeit
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(Foto: Shutterstock/ Alexander Tolstykh)

Anya Babbitt steht am Stand ihres Startups SPLT auf dem Google Demo Day, als ein Mann auf sie zugestürmt kommt. Babbitts Mitgründer hat gerade vor den Besuchern im Grand Circus ­Detroit erklärt, wie das Konzept hinter dem Unternehmen funktioniert, wie es eine App für Pendler geschaffen hat, wie die Mitarbeiter von Firmen so gemeinsam zur Arbeit fahren können. Das soll CO2-Emissionen sparen und Staus reduzieren. Ein Konzept, das der Besucher am Stand als Vorbild für andere Länder sieht: „Ihr müsst nach Mexiko kommen“, sagt er. Die Metropolen seien voller Smog, die Anbindungen des öffentlichen Nahverkehrs schlecht. Er gibt Babbitt seine Karte und sagt ihr, dass er gerne mit SPLT zusammenarbeiten würde.

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Damals weiß die Gründerin nicht, wie sehr sich der Weg ihres Startups durch diese Zufallsbegegnung verändern wird. Denn der Mann, der die SPLT-Macherin 2016 auf dem Demo Day angesprochen hat, ist niemand Geringeres als Alberto Ibannaran, CIO bei Bosch in Mexiko. Er wird in seinem Konzern von dem Startup erzählen – und eine Kooperation vorantreiben. Heute, zwei Jahre später, gehört das junge Unternehmen komplett zu dem deutschen Automobilzulieferer.

SPLT passt zu den Digitalambitionen von Bosch: Mit dem Service können Mitarbeiter eines Unternehmens gemeinsam zur Arbeit fahren, sie teilen sich den Wagen eines Angestellten oder können auf firmeneigene Busse zugreifen. Eine App verrät den Pendlern, wie für sie der günstigste und schnellste Weg ins Büro aussieht. Das Konzept entlastet den öffentlichen Nahverkehr und das Verkehrsaufkommen in den Städten. Für die Mitarbeiter bietet es außerdem den Vorteil, dass sie nicht zu fremden Menschen ins Auto steigen müssen.

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Firmenchef Volker Denner stellt auf der Bilanzpressekonferenz den neuen Dieselantrieb vor. Bosch verspricht, dass der Motor nur noch ein Zehntel der Abgase ausstößt, die ab 2020 zulässig sind. (Foto: Bosch)

Die Kooperation mit Bosch sei ein Glücksfall gewesen, sagt Gründerin Babbitt: „Wir wussten, dass wir einen großen Partner brauchen.“ Nur mit einem weltweit agierenden Unternehmen lasse sich eine Expansion stemmen. Bosch habe ein Netzwerk geboten, das den Start in neue Märkte vereinfache. Bei den Stuttgartern zählt SPLT, ausgesprochen „Split“, zum neuen Connected-Mobility-Solutions-Portfolio. Dahinter versteckt sich ein Unternehmensbereich, der sich mit der Vernetzung von Pkw oder auch Parkplätzen befasst. „Mit ihm wird unsere Vision einer emissionsfreien, stressfreien und unfallfreien Mobilität Realität”, sagte Konzernchef Volker Denner im Februar auf der hauseigenen IoT-Messe „Bosch Connected World“.

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Neuland für Bosch

Was nach einer einfachen Entscheidung klingt, ist tatsächlich Neuland für den deutschen Traditionskonzern. Lange ­betätigte sich Bosch in seiner Mobilitätssparte nur als Zulieferer, ­baute Hochdruckpumpen, Zündkerzen und Generatoren für Auto­mo­bile. Ein klassischer Hardware-Handel, ein typisches Firmenkundengeschäft. Doch durch die Digitalisierung verändert sich der Fokus des Unternehmens. Mittlerweile verkauft es seine Dienste nicht mehr nur direkt an Volkswagen, BMW oder Daimler, sondern setzt vor allem bei seinen vernetzten Lösungen auch auf den direkten Kontakt zum Endverbraucher – wie bei SPLT. Damit macht Bosch ausgerechnet denjenigen Konkurrenz, die bisher die wichtigsten Abnehmer darstellten: den Autoherstellern.

Die Tragweite dieses Wandels für den Konzern wird erst nachvollziehbar, wenn man sich mit dessen Organisationsstruktur beschäftigt. Die Bosch-Gruppe besteht aus der Robert Bosch GmbH und rund 440 Tochter- und Regionalgesellschaften. Der Konzern ist nicht an der Börse gelistet, sondern befindet sich zu einem Großteil in der Hand der Robert-Bosch-Stiftung, sieben Prozent gehören der Familie Bosch. Das Portfolio der Gruppe ist breit aufgestellt und umfasst deutlich mehr als den Autobau. Der Durchschnittsbürger dürfte den Mischkonzern aus dem eigenen Haushalt kennen, von Mixern und Waschmaschinen, von Akkuschraubern und Rasenmähern.

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Aber einen Großteil des Umsatzes verdient der Stiftungskonzern mit Mobilitätslösungen. Von den 78 Milliarden Euro Erlösen im Jahr 2017 machte der Automobilbereich 47 Milliarden Euro aus – fast zwei Drittel des Gesamtgeschäfts. Ähnlich hoch liegt der Anteil am Gewinn: Rund 3,3 Milliarden Euro trug die Sparte zum Überschuss vor Steuern von 4,9 Milliarden Euro bei. Laut der Manage­mentberatung Berylls ist Bosch der größte Automobil­zulieferer der Welt. Die Bedeutsamkeit des Geschäftsfeldes zeichnet sich auch an der Anzahl der Mitarbeiter ab: Mehr als die Hälfte der 400.000 Beschäftigten ist für den Bereich Mobility Solutions abgestellt. Man kann sagen: Die Zukunft von Bosch, die entscheidet sich auf dem Automarkt.

Der Fokus auf den Fahrer wie im Fall von SPLT gehört dabei zu den Strategien des Konzerns und beschreibt ein vergleichsweise neues Phänomen in der Autoindustrie. Normalerweise kamen von Zulieferern wie Bosch, ZF oder Continental ein paar Komponenten, um die die Fahrzeughersteller ein bisschen Blech montierten und die sie dann an die Händler vor Ort verschickten. Was der Kunde damit anstellte, wie oft er mit welcher Geschwindigkeit wohin fuhr, welche Musik er auf der Fahrt hörte, wann er das Auto in eine Werkstatt bringen musste, das wussten die Hersteller und die Zulieferer nicht. Der direkte Kundenkontakt fehlte.

Durch den technologischen Fortschritt kann die Autoindustrie jetzt erstmals verfolgen, wofür der Käufer sein Gefährt eigentlich nutzt. Genau wie die Technologiekonzerne Google oder Facebook können die Unternehmen den Kunden verstehen und auf ihn zugeschnittene Angebote entwickeln. Das Auto wird zum Smartphone auf Rädern. Andreas Herrmann hält „Mobility as a Service“ gerade deswegen für ein Schlüsselthema der Branche – insbesondere für die Zulieferer. „Die klassischen Zuliefererbereiche könnten durch die Digitalisierung unter Druck geraten, die Hardware steht beim Auto der Zukunft nicht mehr im Mittelpunkt“, sagt Andreas Herrmann, Professor der Schweizer Universität St. Gallen. „Es geht nicht mehr nur darum, den Antrieb zu perfektionieren, sondern die Software und das gesamte Mobilitätsverhalten der Kunden zu verstehen.“

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„Die Frage, die wir uns bei Bosch stellen, ist, was wirklich einen Wert für den Endkunden oder für den Enterprise-Kunden bringt.“

Dafür baut Bosch an vielen Stellen um.  Bernd Heinrichs etwa, ein ehemaliger Cisco-Manager, ist seit Oktober als Chief Digital Officer für die Digitalisierung im Automobilbereich bei Bosch zuständig. Zu seinen Aufgaben gehört es, neue Geschäftsfelder zu entdecken und zu implementieren. Bei der Digitalisierung gehe es nicht um die reine Technologie, sagt er. „Die Frage, die wir uns bei Bosch stellen, ist, was wirklich einen Wert für den Endkunden oder für den Enterprise-Kunden bringt.“ Er nennt das die Evolution vom Know-how zum Know-why: Statt sich zu fragen, wie man etwas umsetzt, muss man sich die Frage stellen, warum man etwas umsetzt. „Anstatt eine Dienstleistung zu perfektionieren, müssen wir uns am Kunden orientieren und auch mal ein Minimal-Viable-Produkt auf den Markt bringen“, sagt Heinrichs.

Zu seinen Lieblingsthemen zählt das Ökosystem rund um das Fahrzeug. „Das wichtigste Element bei der Digitalisierung ist die Personalisierung“, sagt er. Das heißt für ihn vor allem: Vernetzung. Beim digitalisierten Auto setzt Bosch auf vier Kernelemente: die Komponentenvernetzung, die Gesamtvernetzung im Auto, die Vernetzung eines Gefährts zu einem anderen Gefährt und die Vernetzung des Fahrzeugs mit seiner Umgebung. Was das im Alltag heißt, verdeutlicht ein Vorzeigeprojekt von Bosch: das ­Automated-Valet-Parking (AVP). Man habe sich bei Bosch gefragt, was die größten „Pain Points“ des Endkunden seien, sagt ­Heinrichs. Schnell kristallisierte sich das Thema Parken heraus. „Am Flughafen einen Parkplatz suchen müssen, darauf hat niemand Lust.“

Beim Konzept von AVP, das Bosch gemeinsam mit ­Mercedes ausgearbeitet hat, findet das Fahrzeug selbstständig einen Stellplatz. Der Nutzer steigt aus dem Auto aus, drückt in der App auf „Parken“ und das Fahrzeug rollt autonom in eine freie Box. Ohne Vernetzung aller Bereiche wäre das nicht möglich: Damit das Einparken reibungslos funktioniert, müssen im Auto Komponenten wie das Automatikgetriebe mit dem Antrieb zusammenarbeiten. Gleichzeitig müssen die Komponenten wiederum mit dem Schlüsselsystem, den Bremsen und der Lenkung interagieren, also das Gesamtsystem einbeziehen. Wenn ein anderes Auto beim Einparken entgegenkommt, muss das Fahrzeug dieses erkennen und reagieren. Und damit es weiß, welcher Platz noch nicht besetzt ist, müssen die Parkplätze mit Lidar-Sensoren und WLAN ausgestattet sein. So stehen alle Bereiche miteinander in Kontakt. Und Bosch in direktem Kontakt mit dem Kunden.

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Derzeit funktioniert das AVP nur in einem Parkhaus im Mercedesmuseum in Stuttgart. Bis Ende des Jahres soll ein weiteres Parkhaus dazukommen. Aber auch wenn die Idee noch nicht flächendeckend eingesetzt wird, steht sie stellvertretend für die Neuorientierung bei Bosch. Denn Ideen, nah am Endverbraucher, verfolgen die Stuttgarter in der gesamten ­Sparte. 2016 schickten sie elektrische Roller mit dem Namen Coup auf die Straße – das erste „reine Endkunden- und Betreibergeschäft“ im Mobilitätssektor, wie Bosch damals verkündete. Hinzu kommen Apps, die als digitales Fahrtenbuch fungieren oder die Ladestationen für Elektrofahrzeuge anzeigen. Damit wird das Familien­unternehmen vom Zulieferer und Partner zum direkten Konkurrenten für Konzerne wie Volkswagen, BMW und Daimler. „Bosch positioniert sich – auch jenseits der automobilen Anwendungen zum Beispiel im öffentlichen Raum – als Problemlöser und signalisiert damit dem ­Kunden, dass es nicht nur die großen Autohersteller gibt“, sagt Dirk ­Liedtke, ­Autoexperte bei der Investmentbank Raymond James.

Dass sich Bosch mittlerweile dem Konsumenten nähert, bestreitet auch Bosch-CDO Heinrichs nicht. „Der Markt der Mobility-­Services entwickelt sich gerade erst“, sagt er. „Wir wollen darin eine Kernrolle übernehmen.“ Die Herstellung eigener Fahrzeuge, also den direkten Wettbewerb, schließt er aber aus: „Wir werden keine Autos bauen.“ Der Manager verweist darauf, dass man ja sogar mit den Konzernen kooperiere – wie mit Daimler bei AVP. Von Konkurrenz könne keine Rede sein. Auch Dirk Liedtke glaubt nicht daran, dass Bosch das Zulieferergeschäft aufgeben wird. „Man kann einen Konzern nicht von heute auf morgen auf digital drehen“, sagt er. Ein solches Vorhaben ginge schon allein wegen der Mitarbeiter nicht.

Experimente in Ludwigsburg

Wie in allen großen Konzernen sind die Mitarbeiter auch bei Bosch der vielleicht wichtigste Faktor, um das Gelingen der digitalen Transformation zu sichern. Der Zulieferer steht vor den klassischen Herausforderungen, langjährige Mitarbeiter weiterbilden und digitale Köpfe finden zu müssen. Klar ist aber auch, dass nicht jeder Angestellte diesen Weg mitgehen wird, dass manche Fähigkeiten irgendwann nicht mehr gebraucht werden. Wandel ist nie für alle positiv.

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Ein kleines Holzhaus mitten in der Fabrikhalle: In Ludwigsburg werkeln die Bosch-Mitarbeiter an neuen Ideen für den Konzern. Die Umgebung spiele für die Kreativität eine wichtige Rolle, sagt Leiter Peter Guse. (Foto: Bosch)

Dass Wandel Mitarbeitern aber nicht nur aufgedrückt werden muss, sondern auch von ihnen vorangetrieben werden kann, beweist eine Fabrikhalle im baden-württembergischen Ludwigsburg. Auf den 5.000 Quadratmetern finden sich Hängematten, ein kleines Holzhaus, ein Meetingraum in Spiegeloptik. Hier, in den Räumen der Robert Bosch Startup GmbH, sollen sich neue Ideen für das gesamte Unternehmen entfalten: Das Team von ­Bepart will Städte und Bürger miteinander verbinden, mit ­Myscotty sollen Nutzer alle Ride- oder Bikesharing-Angebote auf einen Blick angezeigt bekommen, Light E-Mobility hat sich den Bau eines leichten elektrischen Antriebssystems zum Ziel gesetzt. Anders als es der Name vermuten lässt, versammelt Bosch in der Tochtergesellschaft keinen Accelerator, sondern größtenteils Mitarbeiter, die dort ihre eigenen innovativen Ideen verfolgen können. Unter dem Dach der Startup GmbH können sie diese umsetzen. „Wir sind ein Kosmos, der mehr Freiraum ermöglicht, als es die Strukturen in einem Großkonzern üblicherweise erlauben“, sagt Peter Guse, der Leiter der Abteilung. Eine klare Vorgabe etwa bei der Branche macht Bosch nicht. Einzige Voraussetzung: Die Geschäftsmodelle müssen skalierbar sein.

Schon vorher hat es sporadisch Innovationen bei Bosch gegeben. Zum Beispiel entstand 2009 der E-Bike-Bereich, 2011 kamen die ersten Angebote auf den Markt. Heute gilt die Sparte als Erfolgsgeschichte, erst kürzlich hat das Unternehmen das konkurrierende Startup Cobi übernommen. Aber so wie mit den Fahrrädern lief es nicht überall, manche Ideen funktionierten besser, manche schlechter. „Wir haben uns gefragt, wie wir den Erfolg dieser Innovation systematisch vermehren können“, sagt Guse. Die Startup GmbH ist die Antwort darauf, sie ist so etwas wie eine ausgelagerte Forschungsabteilung. Die Mitarbeiter bleiben  unter dem Dach von Bosch von der Idee bis zur Skalierung. Alles, was sie für ihr Geschäftsmodell brauchen, stellt der Konzern – Ingenieure, die die Prototypen bauen, Entwickler, die die digitalen Konzepte in Code gießen. Die Herausforderung besteht im Spannungsverhältnis zwischen schneller Skalierung und Großkonzern. „Wir haben uneingeschränkt dieselben Werte wie Bosch, aber mehr Eigenverantwortung und Agilität“, so Guse.

Bedeutet: Die Regeln, an die sich andere Bosch-Bereiche halten müssen, gelten in der riesigen Halle nicht unbedingt. Peter Guse nennt den Einkauf als Beispiel: Wenn der Konzern normalerweise einen neuen Lieferanten anheuern will, dann müssen dessen Bauteile vorab auf Qualität geprüft werden. Da kann es schon mal Wochen oder sogar Monate dauern, bis die Koopera­tion wirklich zustande kommt. Die hauseigenen Startups dürfen auch ohne lange Prüfung Bauteile einkaufen, die nicht mehr als eine vierstellige Summe kosten. Das verkürzt die Tage der Beschaffung auf ein bis zwei Tage – schon deutlich startuppigere Zeiten.

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Traditionelle Wege verlässt der Konzern nicht nur in der ­Startup GmbH. Auch bei Kooperationen wagt er sich auf neue Pfade, wie die Zusammenarbeit mit DHL zeigt. Gemeinsam bauen die Unternehmen den Streetscooter, ein elektrisch angetriebenes Lieferfahrzeug. Bisher interessierten sich eher Autohersteller für solche Technologien. Dass jetzt auch Firmen außerhalb der Mobilitätsbranche anfangen, eigene Fahrzeuge auf die Straße zu bringen, erweitert das Kundenportfolio der Stuttgarter – und reduziert ihre Abhängigkeit von den großen Automarken. „Durch die Zusammenarbeit mit neuen Partnern werden wir noch schneller werden und damit unser Netzwerk als Key Player im Eco System ausbauen“, sagt Heinrichs. Er nennt die Schlagwörter „Not ­invented here“: Auch mal die Kooperation suchen, statt alles selbst bauen.

Elektromobilität zählt zu den wichtigsten Forschungsfeldern bei Bosch. Das Unternehmen arbeitet unter anderem an einer App, die Fahrern anzeigt, wo die nächste Ladestation steht. (Foto: Bosch)

Weil das Familienunternehmen Milliarden in die Vernetzung oder auch den elektrischen Antrieb investiert, die Projekte der eigenen Mitarbeiter fördert, innovative Ideen dazukauft und geschickt neue Kooperationen austariert, sieht manch einer Bosch schon auf dem Weg zum IT-Konzern. „Was Bosch im Bereich Digitalisierung macht, ist herausragend“, sagt Herrmann. „Gerade die Konzernführung denkt schon sehr weit, sowohl in den Bereichen autonomes Fahren, Konnektivität als auch in der Elektromobilität.“

Doch Bosch muss sich auch fokussieren – und hat sich jüngst gegen einen Zukunftsmarkt entschieden. Das sorgte für Kritik von höchster Stelle.

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Im Berliner Holzmarkt, einem Veranstaltungsort im ­Hipster-Chic mit Wellblechwänden und Holzbänken, warten zehn Gründerteams auf ihren Auftritt. Sie stehen vor der Bühne und plaudern, im Rahmen der Dehub-Initiative sollen sie ihre innovativen Ideen vorstellen. Es ist März, draußen ist es schon dunkel, als die Hauptperson des Abends durch einen Nebeneingang die Räumlichkeiten betritt: Peter Altmaier. Der gerade erst ­vereidigte Bundeswirtschaftsminister wird sofort von einer Traube von Menschen eingerahmt, schüttelt Hände, stellt den Gründern ein paar Fragen. Dann geht er auf die Bühne.

In seiner Keynote redet er vom Jobwegfall durch Automatisierung, vom digitalen Vorbild Estland, von der Evolution Deutschlands vom kranken Mann zur Vorreiterrolle Europas. Und er redet über die Digitalisierung der Wirtschaft – am Beispiel von Bosch. Erst wenige Tage zuvor hat der Stuttgarter Konzern ­bekanntgegeben, nicht in die Produktion von Batteriezellen für Elektroautos zu investieren. Für Altmaier eine enttäuschende Entscheidung. „Da sage ich Ihnen als Wirtschaftsminister: Ich kann mit einem solchen Ergebnis nicht zufrieden sein.“ Und ­poltert weiter: „Geben wir uns damit zufrieden, dass Elon Musk die Gigafactory baut?“

Mit dieser Frage bringt der CDU-Politiker eine der größten He­rausforderungen der digitalen Transformation bei Bosch auf den Punkt: Der Konzern hat sich nach eigenen Angaben neuen Technologien verschrieben, versucht mit unternehmenseigenen Tochterfirmen wie der Startup GmbH frische Ideen im Unternehmen zu generieren und zu integrieren. Aber trotz wachsender ­Umsätze und Gewinne, trotz sagenhaften Eigenkapitals von 38 Milliarden Euro traut er sich an große Projekte nicht heran. Bosch selbst gibt wirtschaftliche Gründe für die Entscheidung gegen die Batterie­zellenproduktion an. Ein 20-prozentiger Marktanteil würde 20 Milliarden Euro kosten, rechnet das Unternehmen vor. Eine plausible Begründung, sagt Autoexperte Liedtke: „Auch für Bosch sind 20 Milliarden Euro eine Stange Geld. Die digitale Transformation kostet den Konzern schon jetzt enorme Summen.“ Aber es ist eben auch eine Entscheidung für die kleinen Schritte, nicht für die großen.

In einem anderen Licht erscheint die Entscheidung zudem, wenn man sich mit den Bemühungen Boschs in einem klassischen Bereich befasst: dem Diesel. Trotz aller großen Digitalversprechen, trotz aller technologischen Initiativen im Unternehmen will Bosch nicht von seinen alten Geschäftsmodellen lassen. Auf der Bilanzpressekonferenz im April stellte der Konzern einen sauberen Diesel vor. Der Motor soll nur noch ein Zehntel der Abgase ausstoßen, die als Grenzwert ab dem Jahr 2020 gelten. „­Heute wollen wir die Debatte um das Ende des Diesels endgültig ad acta legen“, sagte Denner. Den alten Antrieb beibehalten? Diese Ankündigung klingt eher nach Konservierung der Vergangenheit als  nach Zukunftsvision. Nach Schulterschluss mit dem Vertrauten statt einem entschlossenen Blick in die Zukunft.

Der Dieselskandal in der deutschen Autoindustrie unterstreicht das nur zu gut. Die Software, mit der Volkswagen etwa die Abgaswerte von Dieselfahrzeugen manipulierte, stammt von Bosch. Insgesamt drei Ermittlungsverfahren laufen derzeit gegen den Zulieferer, sie alle beschäftigen sich mit der Frage, wie stark die Stuttgarter daran beteiligt waren, Abgaswerte zu schönen. Öffentlich fordert Firmenchef Denner mehr Transparenz in der Automobilbranche, betont die vollumfängliche Kooperation von Bosch mit den Behörden. Gleichzeitig schreibt das Unternehmen in seinem Geschäftsbericht, dass man sich intensiv um eine „faktenbasierte Diskussion der Dieselthematik“ bemühe. Das klingt nicht nach Transparenz, sondern nach Faktenverdrehung – als wäre die Diskussion das Problem, nicht der Dieselantrieb selbst.

Noch kann der Konzern zweigleisig fahren, kann gleichzeitig Diesel- und Elektroantriebe vorantreiben. Aber will er wirklich bei der Digitalisierung der Mobilität vorne mitmischen, dann wird er langfristig traditionelle Bereiche reduzieren müssen. ­Experte Herrmann drückt es so aus: „Durch die Digitalisierung wird altes Wissen obsolet. Nur durch neues Wissen können sich die Unternehmen einen Vorsprung aneignen.“ Dass diese Erkenntnis in voller Gänze bei Bosch angekommen ist, das darf man zumindest bezweifeln. 

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