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Interview

Ehemaliger SpaceX-Ingenieur: „Elon hat sich nie zum Mittagessen mit mir verabredet“

Bülent Altan war einer der ersten Mitarbeiter bei SpaceX, dem Raumfahrtunternehmen von Elon Musk. Im Interview spricht der ­Ingenieur über sein Vorstellungsgespräch, die dramatischen Anfänge bei SpaceX – und die Schattenseiten des Milliardärs.

Von Daniel Hüfner
9 Min.
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(Foto: SpaceX)

Der Aufstieg von Bülent Altan zu einem der wichtigsten ­Mitarbeiter von Elon Musk zeichnete sich schon im Vorschul­alter ab. „In meinem Kindergartendiplom war vermerkt, ich hätte
andauernd nur Raketen gebaut“, sagt Altan und fängt an zu ­lachen. Dann wird der gebürtige Türke philosophisch: „Der ­unendliche Weltraum, die fernen Planeten – das hatte für mich ­immer etwas zutiefst Romantisches.“ Doch statt wie viele andere Jungs von einer Karriere als Astronaut zu träumen, interessierte sich Altan mehr für das Technische. „Ich verstand schnell, dass sich viele Probleme nur mit Technologie lösen lassen. Also war für mich klar, dass ich einmal Raumfahrtingenieur werde“, sagt er.

Vorstellungsgespräch bei Elon Musk

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Bülent Altan hat Computerwissenschaften in München studiert und schrieb sich später für Luft- und Raumfahrttechnik an der ­Stanford-Universität im Silicon Valley ein. Dort hörte er im Herbst 2003 erstmals von SpaceX, als Gründer Elon Musk vor Studenten um neue Mitarbeiter für seine frisch gegründete Raumfahrtunternehmen in Los Angeles warb. Zunächst keine Ideallösung: „Ich mochtedie Stadt eigentlich nicht und wollte im Silicon Valley bleiben. Aber seine Pläne klangen so verrückt, dass ich mir ­SpaceX ­zumindest mal ansehen wollte“, sagt Altan. ­Wenige Monate später saß der damals 25-Jährige in einer riesigen Fabrikhalle in Los Angeles.

Nach mehreren Auswahltests hatte er sich bis zum Vorstellungsgespräch bei Elon Musk vorgearbeitet – der Beginn einer beachtlichen Karriere. In den Folgejahren stieg Altan vom einfachen Raketentüftler zum Chefingenieur der Satellitensparte von SpaceX auf. Inzwischen hat er das Unternehmen verlassen und mit Global Space Ventures eine eigene Risikokapitalfirma für Raumfahrtunternehmen gegründet. Trotzdem hat Altan aus ­seiner über zehnjährigen Arbeit unter Elon Musk noch viele ­Erinnerungen – gute wie schlechte, wie er im Im Interview mit t3n sagt.

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t3n Magazin: Herr Altan, erinnern Sie sich noch an Ihr Vorstellungs­gespräch bei Elon Musk?

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Bülent Altan: Natürlich, das vergisst man nie. Er hat mich sofort mit einer ­dieser berüchtigten Brainteaser-Aufgaben gegrillt. Es ging um Geomoetrie und es gab zwei Antworten auf die Frage. Die Erste fiel mir sofort ein. Bei der Zweiten brauchte ich erst einen kleinen Tipp von Elon, bevor ich zur richtigen Lösung kam. Danach hatten wir ein gutes Gespräch. Ich habe schnell gemerkt, dass er mich haben will. Offenbar hatten sich meine Leistungen in den Auswahltests herumgesprochen. Irgendwann sagte er aber, er habe von meinen Freunden gehört, dass ich überhaupt nicht in Los Angeles arbeiten wolle. Da dachte ich: Jetzt ist es vorbei.

t3n Magazin: Er hat Sie trotzdem dazu gebracht, für ihn zu arbeiten.

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Ja, das war sehr kurios. Statt mich wegzuschicken, hatte Elon im Hintergrund bereits alles organisiert. Meine Frau arbeitete damals bei Google im Silicon Valley, was einer der Hauptgründe für mich gewesen wäre, nicht nach Los Angeles zu gehen. Elon wusste das und hat bei Google-Gründer Larry Page angerufen und ihn gebeten, meine Frau nach Los Angeles zu versetzen. Er fragte mich: Und? Was machen Sie jetzt? Daraufhin hatte ich ­keine Argumente mehr. Er hat mich quasi erpresst (lacht).

t3n Magazin: Sie waren dann einer der ersten 50 Mitarbeiter von ­SpaceX und maßgeblich am Aufstieg zum ­innovativsten Raumfahrtunternehmen beteiligt. Unter anderem haben Sie die Falcon 1 entwickelt – den Vorläufer der heutigen Mehrwegraketen. Wie liefen die ersten Monate ab?

Es war das pure Chaos. Zwar hatten fast alle Mitarbeiter bei ­SpaceX technischen Sachverstand – neuartige Raketenantriebe wie sie Elon Musk vorschwebten, hatte aber noch niemand zuvor entwickelt. Der Großteil der damaligen Raketentechnik stammte ja noch aus dem Kalten Krieg. Es gab einfach niemanden, der uns verlässlich sagen konnte, wie so eine wiederverwendbare Rakete aussieht. Also haben wir vom Reißbrett aus angefangen.

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„Bei SpaceX gab es immer diesen Witz: Wenn jemand um 9 Uhr angefangen hat und schon um ­21 Uhr nach Hause gegangen ist, ­sagte einer: Na, heute einen ­halben Tag freigenommen?“

t3n Magazin: Wie baut man eine neue Rakete, ohne viel Ahnung davon zu haben?

Wir haben den ersten Entwurf in unzählige Arbeitspakete unterteilt, die uns irgendwie logisch erschienen. Beispielsweise in ­Arbeitspakete für die elektrische Energieverteilung, Antriebs­kontrolle, Telemetrie und Verkabelung. Es gab sehr viele Pro­bleme und immer wieder sind wir in technischen Sackgassen gelandet. Wir mussten ständig von vorne anfangen. Anders als bei großen, staatlichen Raumfahrtunternehmen hat uns das aber geholfen.

t3n Magazin: Inwiefern?

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Auf diese Weise konnten wir die bisherige Raketentechnik von Grund auf verstehen und wichtige Effizienzsteigerungen beim Raketenbau erzielen. Daraus ist letztlich auch die Falcon 1 entstanden. Die erste privat entwickelte Rakete, die Nutzlasten in einen stabilen Erdorbit befördern konnte.

t3n Magazin: Die ersten drei Starts ab 2006 endeten mit einem Absturz.

Leider ja. Eigentlich war der erste Start schon 2004 geplant, aber wir mussten den Termin wegen technischer Probleme immer wieder verschieben. Als die ersten drei Starts dann auch noch scheiterten, brach Panik aus. SpaceX stand vor dem Bankrott und wir hatten kaum noch Zeit, um einen vierten Start zu realisieren.

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Ingenieur in Schwerelosigkeit: Trotz der harten Arbeit bei SpaceX blieb Bülent Altan auch Zeit für Spaß. So wie hier bei einem Parabelflug. (Fotos: SpaceX)

t3n Magazin: Wie konnten sie den dennoch realisieren?

Anstatt die Rakete zu verschiffen, haben wir sie per Militär­flugzeug zur Startbahn auf die Kwajaleininseln im Pazifik gebracht. Zumindest war das unser Plan. Kurz vor dem Zwischenstopp auf Hawaii gab es an Bord aber plötzlich einen lauten Knall.

t3n Magazin: Erzählen Sie weiter.

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Wegen des Luftdruckunterschieds hat sich die Rakete bei der Landung wie eine Plastikflasche zusammengedrückt. Es war die Hölle. Daraufhin musste ich den Piloten trotz akuten Treibstoffmangels anweisen, für eine halbe Stunde wieder an Höhe zu gewinnen, damit wir einige Ventile im Rumpf der Rakete öffnen konnten. Nur so konnte die Rakete den Druck wieder ausgleichen und ohne weitere Schäden auf Hawaii zwischenlanden. Auf den Kwajaleininseln angekommen, begannen dann die Reparaturen.

t3n Magazin: Das hat doch sicher wertvolle Zeit gekostet.

Allerdings. Kalkuliert haben wir nach dem Check mit einer ­Reparaturzeit von vier Monaten. Zumal wir ja auch auf einer winzigen Insel waren, wo wir praktisch nichts hatten außer ­etwas Werkzeug. Für Elon waren die vier Monate wegen der finan­ziellen Notlage aber inakzeptabel. Er gab uns eine Frist von zwei Wochen.

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t3n Magazin: Nur zwei Wochen?

Ja. Es war Wahnsinn. Normalerweise musste jede Änderung und jedes neue Bauteil an der Rakete erst sorgfältig dokumentiert, geprüft und von höchster Stelle freigegeben werden. Die Zeit hatten wir aber nicht mehr. Also haben wir die Rakete in Eigenregie auseinandergebaut und repariert. Jeder hat für die Kollegen auf Papier notiert was er gemacht hat, damit beim späteren Zusammenbau nichts vergessen wird. Zum Glück hat der vierte Start dann geklappt –  es war die letzte Rakete, die wir hatten.

t3n Magazin: Wie viele Stunden haben Sie normalerweise gearbeitet?

Sehr viele. Unter meinen Kollegen gab es immer diesen einen Witz. Wenn jemand um 9 Uhr morgens angefangen hat und schon um ­21 Uhr am Abend nach Hause gegangen ist, sagte einer: ,Na, heute wieder einen halben Tag freigenommen?‘

t3n Magazin: Haben Sie in der Fabrik auch übernachtet?

Ja. Gerade in den schwierigen Phasen vor dem Start ist das sogar üblich. Kurz bevor wir das erste Mal ins All geflogen sind, war ich mehrere Wochen nicht zu Hause. Da schlafen Sie dann halt mal auf einer Isomatte in einem Hangar. Aber das ist okay. Bei so einem Ereignis wollen Sie als Ingenieur ja nichts verpassen.

t3n Magazin: Sie wurden später zum Chefingenieur der Satellitensparte von SpaceX befördert, haben lange mit Elon Musk zusammengearbeitet. Wie beurteilen Sie seine Chefqualitäten?

Er ist ein sehr produktverliebter Chef. Er arbeitet sich bis ins kleinste Detail seiner Produkte ein und gibt seine Ideen an Mit­arbeiter weiter, die sie umsetzen. Ich sehe in ihm weniger eine Führungskraft als vielmehr einen Produktmanager – jedoch ­einen verdammt guten. Sein Anspruch ist immer die Grenze des physikalisch Machbaren. Leider kann er auch sehr drakonisch sein.

t3n Magazin: Das müssen Sie erklären.

Er trifft knallharte Entscheidungen und setzt Fristen, die kaum jemand einhalten kann. Das ist aber auch wichtig. Vor allem in größeren Firmen sind fehlende Entscheidungen oft die Achillesferse. Elon sorgt auch dafür, dass es den Mitarbeitern gut geht. Jeder bei SpaceX bekommt Anteile – sogar die Putzkraft.

t3n Magazin: Gerüchte besagen aber, dass Elon Musk schon mal Kaffee über den Tisch spuckt, wenn jemand einen Fehler macht.

Das habe ich so nie erlebt. Es stimmt allerdings, dass er Mit­arbeiter seine Enttäuschung über nicht erreichte Ziele spüren lässt. Nicht im physischen Sinne, sondern verbal. Wenn Sie etwas verkackt haben, dann sagt er es Ihnen auch. Und zwar so, dass Sie keine Argumente mehr dagegen vorbringen können.

t3n Magazin: Gab es etwas, das Sie an Elon Musk gestört hat?

Ich wünschte, er hätte sich in den zehn Jahren der Zusammen­arbeit auch mal mit mir zum Mittagessen verabredet.

t3n Magazin: Er hat Sie nie zum Mittagessen eingeladen?
Nein, für klassischen Small Talk hatte Elon keine Zeit. Dabei ­hätte ich ihn privat gerne besser kennengelernt. Aber für ihn gibt es wirklich nur seine Produkte und seine Firmen. Er ist so fokussiert auf seine Arbeit. Andererseits habe ich von ihm auch viel gelernt.

t3n Magazin: Was zum Beispiel?

Dass sich Ideen ohne ein gutes Team nicht verwirklichen lassen – egal, wie viel Geld auf dem Konto ist. Elon hat sich vom ersten Tag an jeden einzelnen Ingenieur angeschaut und mit Fragen zu Bauteilen oder speziellen Materialien durchlöchert. Danach hat er nur die Leute eingestellt, die schlauer waren als er. Wenn Sie sein Erfolgsgeheimnis wissen möchten: Das ist es.

t3n Magazin: Was haben Sie noch von ihm gelernt?

Entscheidungen schnell zu treffen. Seien Sie sich einer Sache ­lieber nur zu 90 Prozent sicher als ewig auf die 100 Prozent hinzuarbeiten. Sonst gibt es nur Terminverschiebungen.

t3n Magazin: Moment: Sind Terminverschiebungen nicht das größte Problem von Elon Musk? Viele seiner Versprechen kann er nicht einhalten.

Seine Zeitpläne waren und sind immer sehr ambitioniert, das stimmt. Elon geht stets vom Best-Case-Szenario ohne Puffer­zeiten aus. Es ist seine Art, die eigenen Mitarbeiter zu Höchstleistungen anzutreiben. Verzögerungen sind natürlich nie gut, aber in der Luft- und Raumfahrt auch nichts Ungewöhn­liches. Der Start des Airbus A380 hat sich ja auch zwei Jahre verspätet.

SpaceX-Ingenieur Bülent Altan vor ­einer Falcon-1-Rakete, die er maßgeblich mitentwickelte. Sie war die erste private Trägerrakete, die Nutzlasten ins All befördern konnte. (Foto: SpaceX)

t3n Magazin: Eines der großen Ziele von Musk ist es, bis 2024 den ersten Menschen auf den Mars zu bringen. Ein realistisches Ziel?

Auch das ist wieder ein gewagter Zeitplan. Man muss wissen, dass sich Mars und Erde nur ungefähr alle zwei Jahre so nah kommen, dass eine Reise machbar ist. Wenn es Elon also nicht bis 2024 schafft, dann muss er erst mal wieder warten. Trotzdem müssen bis dahin noch viele technische Probleme gelöst werden. Ich gebe ihm daher eine 50-prozentige Erfolgschance.

t3n Magazin: Vergangenes Jahr haben Sie SpaceX verlassen. Wieso?

Das Unternehmen nach so langer Zeit zu verlassen, war hart. ­Allerdings befinden wir uns in der Raumfahrt gerade an einem historischen Wendepunkt. Die gesamte Branche verändert sich weg von einem Spielplatz für Regierungen hin zu einem kommerziellen Milliardenmarkt. Es hat mit SpaceX angefangen, ­inzwischen gibt es tausende Unternehmen. Die Kosten für ein ­Kilogramm Nutzlast in einer Rakete sind von 33.000 auf unter 5.000 US-­Dollar gesunken. Selbst mit einem Ein-Kilogramm-­Satelliten können Sie heute fantastische Dinge anstellen. Das birgt riesige Chancen auch für Unternehmer. Ich will diese Entwicklung aktiv mitgestalten und habe deshalb eine Wagnis­kapitalfirma gegründet.

t3n Magazin: Global Space Ventures.

Genau. Bis Ende des Jahres will ich mit Partnern etwa 250 ­Millionen Euro für entsprechende Startups zusammentrommeln. Wir wollen nicht nur Geld geben, sondern auch ein Ratgeber für technische Probleme sein. Zu den Partnern des Fonds gehören neben meinem SpaceX-Kollegen David Giger, der früher das ­Dragon-Programm verantwortet hat, unter anderem der ehemalige ESA-Chef Jean-Jacques Dordain und Helene Huby, die früher Innovationschefin bei Airbus war.

t3n Magazin: Welche Startups sind für Sie interessant?

Das müssen nicht unbedingt Firmen sein, die neue Raketen­antriebe bauen. Auch Softwaregründungen für die Verarbeitung von Geodaten oder Satellitentechnik sind interessant. Wenn ein Startup kommt und sagt, es kann mit Technologie eine verläss­liche Wettervorhersage für sieben Tage garantieren, investiere ich.

t3n Magazin: Auch in Neugründungen aus Deutschland?

Ja. Vor allem in München ist in den vergangenen Jahren eine ­starke Luft- und Raumfahrtindustrie entstanden. Spannend finde ich zum Beispiel, was die Jungs von Isar Aerospace machen. Die bauen neuartige Triebwerke, mit denen man kleine Träger­raketen ins Weltall schießen kann. Und dann wäre da ja noch Lilium.

t3n Magazin: Sie meinen das Startup mit dem vollelektrischen Lufttaxi.

Genau. Das Video vom Erstflug im vergangenen Jahr war wirklich beeindruckend. Und unter uns: Ich hab gehört, dass sogar Elon begeistert war.

t3n Magazin: Herr Altan, vielen Dank für das Gespräch.

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