Komm zurück, Kollege! Wie Boomerang-Hiring funktioniert
Ein Boomerang kehrt nach einem guten Wurf zum Werfer zurück. Nach einem schlechten Wurf bleibt er irgendwo in der Ferne liegen. So kann es auch mit Mitarbeitern sein: Wer gute Leute nicht fördert und wertschätzt, verliert sie. Aber eine Kündigung muss, wie beim Boomerang, nicht der Abschied für immer sein.
Samanta Radin ist so ein Fall. Im Dezember 2009 kündigte sie bei ihrem damaligen Arbeitgeber Tempus, einer Personalberatung. Zwar mochte sie ihre Arbeit als Consultant, verstand sich mit ihren Kollegen. Aber sie wollte „mal was Neues ausprobieren“, sich selbstständig machen, mit einem kleinen Café.
Auch wenn sie sich damit einen Traum erfüllte: „Die Entscheidung zu gehen, ist mir nicht leicht gefallen“, erinnert sie sich. Sie blieb in Kontakt mit ihren ehemaligen Kollegen, bekam Besuch von ihnen in ihrem Café, manchmal riefen sie an, manchmal gingen sie zusammen Eis essen. Es war nicht so, dass Radin die Entscheidung bereute, ihren Arbeitgeber verlassen zu haben. Sie genoss den Perspektivwechsel von der Arbeitnehmerin zur Gründerin.
Aber als sie Mutter wurde, änderte sich die Lage: Die Zeit für das Café fehlte, die Selbstständigkeit passte plötzlich nicht mehr so gut in ihr Lebenskonzept. Radin entschied sich, einen neuen Job in einem neuen Unternehmen anzufangen. Aber dort machte sie keine guten Erfahrungen. Am ersten Arbeitstag war weder der Vorgesetzte auf sie vorbereitet, noch war der Arbeitsplatz eingerichtet. Statt mit Teamgeist und gegenseitigem Respekt arbeitete man gegeneinander. Sie lernte die Verhältnisse bei ihrem alten Arbeitgeber Tempus stärker zu schätzen: „Es ist nun mal nicht überall so, dass man immer beim Chef ins Büro kommen kann“, sagt sie rückblickend.
Gleichzeitig vermisste sie die Nähe von Tempus zu ihrem Zuhause in Giengen und vor allem zum Kindergarten ihrer Tochter. Der Kontakt zu den ehemaligen Kollegen zahlte sich aus: Sie erzählten der Geschäftsleitung von dem Wunsch Radins, wieder bei Tempus anzufangen. Im April 2014 kam das Unternehmen mit einem Angebot auf sie zu, dieses Mal im Bereich Akademie. Dort kümmert sie sich um Seminare und Workshops. „Gefühlsmäßig würde ich sagen, ich war gar nicht wirklich weg“, sagt sie heute. Wie ein Boomerang fand sie zurück zu ihrem Unternehmen.
In der Fachsprache spricht man auch deshalb von „Boomerang Hiring“: Statt neue Bewerber zu suchen, stellen Unternehmen ehemalige Mitarbeiter wieder ein. Der Arbeitgeber profitiert davon gleich mehrfach: Er kann Kosten für aufwendige Bewerbungsverfahren sparen und die Einarbeitungszeit verkürzen. Vor allem aber muss er nicht damit rechnen, dass es nach ein paar Wochen vielleicht doch nicht passt, dass sich der Mitarbeiter nicht ins Team einfügt, dass seine Leistung nicht stimmt. Beide Seiten kennen sich ja schon. Besonders in Zeiten des Fachkräftemangels gewinnt das Phänomen an Bedeutung.
Kampf um die Besten
Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Die 1.000 größten Unternehmen in Deutschland rechnen damit, dass sie in diesem Jahr bei rund einem Drittel der freien Stellen nur schwer geeignete Bewerber finden werden. Gut fünf Prozent der Vakanzen bleiben wahrscheinlich unbesetzt. In der IT-Branche sieht es besonders schlimm aus: Die Top 300 der IT-Unternehmen erwarten bei fast der Hälfte der freien Stellen Schwierigkeiten bei der Besetzung und schätzen, dass es für circa neun Prozent keine passenden Kandidaten geben wird. Das haben die „Recruiting Trends 2017“, eine Studie der Universität Bamberg, ergeben.
Seit Jahren spiegeln die „Recruiting Trends“ die Ursache für das Phänomen „War for Talents“ wider: Die Unternehmen finden keine passenden Bewerber für ihre offene Stellen. Eine Anzeige auf die Homepage stellen und hoffen, dass reihenweise Motivationsschreiben und Lebensläufe im Postfach landen, funktioniert nur noch bei großen Konzernen – und selbst die bekommen mittlerweile Probleme. „Sich zurücklehnen und warten klappt nicht mehr“, sagt Sven Laumer, Mitautor der „Recruiting Trends“.
Arbeitgeber müssen deshalb erfinderisch werden. Nicht umsonst nehmen die Unternehmen immer stärker selbst die Rolle des Bewerbers ein, kämpfen um die besten Mitarbeiter, die High Performer, die Overachiever. Persönliche Netzwerke haben durch diese Entwicklung an Bedeutung gewonnen. Kontakte, die man über Jahre geknüpft hat, auf Messen, mit Kollegen, an Schulen, werden wichtig, wenn man eine Stelle besetzen muss. Der Name im Adressspeicher reicht da nicht: Es gilt, den Kontakt zu pflegen, ein eigenes Netzwerk aufzubauen, einen Talent Pool anzulegen. Der Arbeitgeber könne dann mit einem „individualisierten Angebot“ auf potenzielle Kandidaten zugehen, sagt Sven Laumer. Ehemalige Mitarbeiter seien in einem solchen Netzwerk eine „gute Quelle“. Er sieht Boomerang Hiring als sinnvollen Weg, qualifizierte Mitarbeiter wieder an das eigene Unternehmen zu binden. Bleibt die Frage: Was macht eigentlich einen guten Mitarbeiter genau aus?
Der Personalexperte Jörg Knoblauch ist Geschäftsführer der Tempus-Unternehmensgruppe, also der Arbeitgeber von Samanta Radin. Für Knoblauch handeln gute Mitarbeiter vorausschauend, engagiert, erfolgreich und sind sehr flexibel. Er bezeichnet solche Leute nach einer Definition von Gallup als „A-Mitarbeiter“. Diese sind laut Knoblauch um ein Vielfaches produktiver als B- oder C-Mitarbeiter. Der A-Mitarbeiter zieht den Karren, während der B-Mitarbeiter nebenherläuft und der C-Mitarbeiter obendrauf sitzt. Oder um es mit einer alten Karriereformel zu sagen: 20 Prozent der Mitarbeiter bringen 80 Prozent der Leistung.
In einem typischen Unternehmen findet man aber nur wenige A-Mitarbeiter und dafür viele B-Mitarbeiter. Diese wenigen Mitarbeiter sind es wert, dass man sich um sie bemüht – auch wenn sie schon gekündigt haben. Knoblauch kämpft auch selbst um diese Leute. „Ich tue alles, um die zu behalten“, sagt er. Denn ein A-Mitarbeiter liebe „das Produkt, die Philosophie, die Herausforderung“.
„Ehrliches Interesse ist das größte Kapital“
Um einen guten Mitarbeiter zurückzugewinnen, muss aber die Grundlage stimmen, wie Gudrun Happich zu bedenken gibt. Sie arbeitet als Business-Coach in Köln und hat bei einigen Klienten miterlebt, dass gute Mitarbeiter kündigten. Dabei erinnert sie sich an einen speziellen Fall, bei dem sie sowohl den Mitarbeiter als auch den Vorgesetzten kannte. Der Arbeitnehmer sei sehr motiviert gewesen, berichtet Happich, habe immer wieder betont, er wolle sich weiterentwickeln. Nur bekam er nie eine Resonanz auf diesen Wunsch. Irgendwann erhielt er von einer anderen Firma ein attraktives Angebot – und ging. Zu Happich sagte der Chef später: „Der war der Beste.“ Nur hatte er das seinem Mitarbeiter nie gesagt. Da bringt es auch nichts, hinterher noch mal anzuklopfen: Wenn die Kommunikation während der Zusammenarbeit nicht stimmt, droht dem Arbeitgeber nicht nur der Verlust des Arbeitnehmers – er verbaut sich auch die Chance, den Mitarbeiter später noch einmal für sich zu gewinnen.
„Die Hürde, bei einem ehemaligen Mitarbeiter wieder anzuklopfen, ist groß.“
Im Arbeitsverhältnis zähle deshalb das Zwischenmenschliche, der persönliche Kontakt, der offene und ehrliche Umgang miteinander, erklärt Happich. Dazu gehört auch, auf die Wünsche des Arbeitnehmers einzugehen. Viele Kündigungen können so schon im Vorhinein vermieden werden. Selbst wenn der Mitarbeiter wie im Fall von Samanta Radin trotz guter Stimmung geht, hilft ein offener Austausch noch. „Das ehrliche Interesse an einem Menschen ist das größte Kapital, das man haben kann“, so Happich. Deshalb lohne sich der Kontakt nach der Kündigung: Alle paar Wochen ein Telefonat, hin und wieder eine E-Mail, wie ist der neue Job, wie geht’s, was gibt es Neues in der alten Firma, das zeigt dem Mitarbeiter Wertschätzung. Dann ist auch die Hürde, zurück in den alten Job zu gehen, gar nicht mehr so groß.
Knoblauch versucht, sogar noch früher anzusetzen. Wenn ein guter Mitarbeiter kündigt, sagt er nicht einfach „Tschüss“. Er verabschiedet solche Arbeitnehmer mit einer emotionalen Party: Das Team hält Lobeshymnen auf den Mitarbeiter, es überreicht ein Fotoalbum mit persönlichen Erinnerungen. „Da fließt Rotz und Wasser“, so Knoblauch. Der Höhepunkt des Abends sei ein Geschenk der Geschäftsleitung: ein blanko unterschriebener Arbeitsvertrag. Das Signal: Falls der neue Job doch nicht die Erwartungen erfüllt, kann der Mitarbeiter den Vertrag jederzeit unterschreiben und zurückkommen. Er muss dann nur noch eintragen, in welcher Position er arbeiten und was er verdienen will. Ein Risiko für Knoblauch, schließlich könnte der Ex-Mitarbeiter diese Generosität auch ausnutzen. Aber der Personalexperte steht zu dem Konzept: „Ein guter Mitarbeiter ist eigentlich unbezahlbar. Selbst wenn wir nichts frei hätten, würden wir ihn mit Handkuss zurücknehmen.“ Rund 40 Prozent seiner ehemaligen Arbeitnehmer habe er so schon wiedergewinnen können. Wie viele auch den Blanko-Vertrag unterschrieben haben, verrät er allerdings nicht.
Ein Ex-Mitarbeiter ist aber nicht nur interessant, weil er mal gute Arbeit für das eigene Unternehmen geleistet hat. Was man nicht vergessen darf: Er sammelt in der Zwischenzeit neue Erfahrungen. So wie Samanta Radin, die während der Abwesenheit von Tempus eine ganz andere Perspektive auf den ehemaligen Arbeitsplatz gewonnen hat. Gudrun Happich betont, wie wichtig diese Erfahrungen sein können: Der Mitarbeiter hat sich weitergebildet, aus Fehlern gelernt, Neues ausprobiert. Jörg Knoblauch kann das aus eigener Erfahrung bestätigen: „Die haben die Welt gesehen, die haben uns zu schätzen gelernt.“
Allerdings ist der Schritt zurück nicht immer einfach – für beide Seiten: „Die Hürde, bei einem ehemaligen Mitarbeiter wieder anzuklopfen, ist groß“, sagt Happich. Gerade wenn der Mitarbeiter von sich aus gegangen ist, stellt sich die Frage, ob er bei einem guten Angebot nicht wieder verschwindet. Manchmal fühlt sich auch der Chef gekränkt, wenn ein Arbeitnehmer das Team verlassen hat. Happich rät Führungskräften dazu, das Ego in solchen Fällen zur Seite zu legen: „So viele gute Mitarbeiter gibt es nicht.“
Für den Mitarbeiter wiederum bedeutet die Rückkehr an den ehemaligen Arbeitsplatz eine persönliche Herausforderung. Ist es nicht ein Rückschritt, wieder beim selben Unternehmen anzufangen? Gestehe ich mir damit eine Fehlentscheidung ein? Was denken die ehemaligen Kollegen? Gudrun Happich rät auch hier wieder zu Kommunikation. Egal, ob der Mitarbeiter gekündigt habe oder gekündigt wurde: „Fehlentscheidungen sind immer möglich, auf beiden Seiten.“ Den neuen und zugleich alten Kollegen könne man offen erklären, wieso man das Unternehmen verlassen habe und welche Beweggründe für die Rückkehr sorgten. Das vermeidet auch Spekulationen unter den Mitarbeitern. Noch besser sei es, einfach auch nach der Kündigung den Kontakt mit den Kollegen zu halten. Das macht den Neu-Einstieg einfacher – so wie bei Samanta Radin.
Die Rückkehr zu Tempus hatte sie zum Zeitpunkt ihrer Kündigung zwar nicht geplant. Aber auch nie ausgeschlossen. Ihre Rückkehr hat sie nur positiv in Erinnerung. „Das Zurückkommen war schön“, sagt Radin. Vor allem wegen der Kollegen: „Die haben sich gefreut, das hat man gemerkt.“
Eine Kündigung muss also kein Wurf in die Ferne sein. Wenn man den Boomerang richtig in der Hand hält und gefühlvoll loslässt, ist die Chance groß, dass er wieder zurückkommt.