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Interview

Macht es gut Boomer: Wieso wir diese Generation am Arbeitsplatz doch vermissen werden

Fachkräftemangel – das ist das alles bestimmende Thema. Aber geht auch sowas wie eine Arbeitsmentalität verloren, wenn die Boomer den Arbeitsmarkt verlassen? Der Soziologe Heinz Bude gibt Antworten.

7 Min.
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Die Boomer werden den Arbeitsmarkt bald verlassen haben. (Foto: Dmytro Zinkevych/ Shutterstock)

 

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Es dauert nicht mehr lange, dann wird ein Großteil der Generation Babyboomer den Arbeitsmarkt verlassen haben. Damit sind die Menschen gemeint, die zwischen 1946 und 1964 geboren wurden. Der Name rührt daher, dass diese Jahrgänge die höchste Geburtenrate verzeichneten – die Geburten boomten also.

 1964 war das bisher geburtenstärkste Jahr Deutschlands. 1,36 Millionen Kinder wurden in dem Jahr zur Welt gebracht – 2022 waren es 739.000. Das macht deutlich: In den kommenden Jahren werden deutlich mehr Menschen den Arbeitsmarkt verlassen, als neue dazukommen.

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 Gesprochen wird in diesem Zusammenhang vor allem über den Fachkräftemangel und die Frage, woher die deutsche Wirtschaft die Arbeitskräfte holen soll. Seltener aber wird der Frage nachgegangen, wie sich Konzepte wie Arbeitsmoral, Leistung oder auch der Arbeitsplatz ändern werden, wenn die Menschen den Arbeitsmarkt verlassen, die ihn so stark geprägt haben wie kaum eine Generation vorher und nachher.

 Antworten darauf kann der Soziologe Heinz Bude geben. In seinem kürzlich erschienenen Buch Abschied von den Boomern beschreibt Bude eine Generation, die vor allem immer damit zu kämpfen hatte, zu viele zu sein.

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Herr Bude, wieso sortieren wir Menschen in Generationen ein? Welche Vorteile bringt das?

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 Es ist eine Kategorie, die sich immer erst im Rückblick bildet, dann aber wichtig für die Analyse sein kann. Zum Beispiel wenn es um die Wirtschaft geht: Da ist die Anzahl von Menschen bedeutend, die einer Wirtschaft zu einer bestimmten Zeit zur Verfügung stehen. Bei den Babyboomern waren das sehr viele – und das hatte Auswirkungen auf die Lebenschancen dieser Jahrgangsgruppen. Vom Bildungssystem über den Arbeitsmarkt und die Rente sogar bis zum Sterben. Die Boomer haben stets erlebt, dass sie zu viele sind.

 

Was macht das mit einer Generation?

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Daraus ergibt sich dann auch ein Lebensgefühl. Die Boomer hatten kein bestimmtes Thema, das sie vereint hat. Anders als die 68er-Generation oder auch die jetzigen Generationen, die das Thema Klimawandel haben. Für die Boomer lässt sich rückblickend feststellen, dass es vor allem eine Kontingenzerfahrung war, die sie im Lebensgefühl vereint hat.

Der Soziologe Heinz Bude (Foto: Nicolas Wefers)

 

Was bedeutet das, Kontingenzerfahrung?

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 Die Boomer haben viele Umbrüche miterlebt. Kalter Krieg, Wiedervereinigung, technische Revolutionen. Sie haben dabei gelernt, dass das Leben kaum planbar ist – also kontingent. Dadurch ist aber ein Lebensgefühl von „wir kommen da schon durch“ entstanden. Es hat sich ja immer wieder gezeigt, dass man auch turbulente Zeiten schlussendlich gut überstanden hat. Aber eben durch eine bestimmte Einstellung: Man muss sich den äußeren Umständen anpassen und die Veränderungen annehmen.

 

Den Babyboomern wird heute trotzdem oft vorgeworfen, gestrig und ignorant gegenüber Neuem zu sein. Was halten Sie davon?

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 Das Vorurteil besagt, dass die Boomer ignorant sind, vor allem in Bezug auf die Ökologie. Es ist die Generation der großen Beschleunigung. Massenhaft Flugzeuge, Autos, gut beheizte Wohnungen, Klimaanlagen. Alles natürlich nicht gut für das Klima. Aber es stimmt nicht, dass sie kein Bewusstsein dafür haben. Auch damals gab es schon Projekte wie etwa autofreie Sonntage. Nur war die Klima-Frage damals noch sehr viel fragmentierter. 

 

Was bedeutet das?

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Es ging um einzelne Probleme wie Smog oder Waldsterben, weniger um einen Klimawandel insgesamt. Ich glaube, dass Boomer deshalb auch ungläubiger sind gegenüber apokalyptischen Botschaften, die heute den Diskurs bestimmen. Sie sind aufgewachsen im Glauben, dass man es schon hinkriegen wird, wenn man sich um die einzelnen Probleme kümmert.

 

“Die Boomer haben die digitale Welt überhaupt erst ins Leben gerufen.”

 

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Aber stimmt es nicht, dass Boomer sich oft gegenüber neuen Technologien verschließen?

 Heinz ist der wohl gestrigste Name, den es gibt. Dennoch muss ich das zurechtrücken: Die Champions der digitalen Industrie sind Boomer. Von Bills Gates bis zu Steve Jobs. Über die würde man niemals sagen, dass sie gestrig sind und sich mit neuen Technologien nicht auskennen. Die Boomer haben die digitale Welt, wie wir sie heute kennen, ja überhaupt erst ins Leben gerufen. Auch wenn es jetzt um künstliche Intelligenz geht – das sind Technologien, die die Boomer von Anfang an mit begleitet haben. Darum gehen sie jetzt auch gelassener damit um. Das mag vielleicht für einige ignorant wirken.

 

Wie haben die Boomer damals gegenüber den Vorgänger-Generationen die Arbeitswelt verändert?

 Mit dem Eintritt der Boomer in die Arbeitswelt hat das angefangen, was als Ende des Normalarbeitsverhältnisses gesehen wird. Unterbrochene Berufsbiografien, Lebensläufe, die mehrere Abzweigungen haben – das wurde allmählich zur Normalität. Auch, weil immer mehr Frauen den Arbeitsmarkt betraten und in Teilzeit-Modellen gearbeitet haben. Damit einher ging auch eine höhere Flexibilität bei den Qualifikationen. Fortbildungen wurden üblicher – oder gleich eine komplette berufliche Umorientierung. Auch das hatte damit zu tun, dass die Babyboomer einfach sehr viele waren. Viele erlebten, dass sie etwas gelernt hatten, für das es aber keine Nachfrage gab. Denn die Stellen waren alle schon besetzt.

Heute wird Arbeit oft mit Identität verbunden. Ist das ein Denken, dass den Boomern eher abgeht?

 Für Boomer ist es wohl eher ungewöhnlich, sowas zu sagen wie „ich bin Rechtsanwalt, und das macht meine Identität aus“. Genauso wenig „ich bin Klempner und das ist meine Identität“. In der Boomer-Generation wird Arbeit doch noch mehr als Mittel zum Zweck gesehen. Es geht darum, zu arbeiten, um seinen Unterhalt zu verdienen – und sich im besten Fall auch noch etwas darüber hinaus leisten zu können. Statusobjekte werden wichtiger und der Vergleich mit den Nachbarn: Leben die besser als wir?

 

Was noch?

Gleichzeitig ist aber auch eine starke Erwerbsmoral wichtig. Die Arbeit gut zu erledigen, verstehen sie als ihre Pflicht. Das zeigt sich auch daran, dass nur fünf Prozent der Boomer keine Berufsausbildung haben.

 

Wird diese Mittel-zum-Zweck-Sicht auf die Arbeit fehlen, wenn die Boomer den Arbeitsmarkt verlassen?

 Es ist ein pragmatischerer Zugang zur Arbeit. Das bedeutet eben auch, dass der Wechsel des Arbeitsplatzes oder eine Neuorientierung nicht gleich die Aufgabe einer Identität bedeutet. Auch da sind viele Boomer einfach entspannter. Aber ich sehe da interessante Entwicklungen: Viele Millennials suchen gerade bei den Boomern nach Antworten. 

 

Auf welche Fragen?

Wie haben die das damals hinbekommen, mit den vielen Veränderungen umzugehen? Wie kann man ein Leben führen, in denen es immer wieder Situationen gibt, in denen einem nicht alles fertig präsentiert wird, sondern man selbst neu entwerfen muss? Kurzum: Wie denken denn die Boomer eine von Polykrisen bestimmte Welt? Wie können die mit unterschiedlichen Prozessen umgehen, die nicht alle in die gleiche Richtung gehen?

 

Burn-Out, Bore-Out oder Mental Load sind aber alles moderne Begriffe – wieso haben diese psychischen Aspekte der Gesundheit bei den Boomern anscheinend keine so große Rolle gespielt? Oder ist das ein Vorurteil?

 Aktuell fragen mich einige Generationsgenossen, ob mir nicht auch auffällt, dass viele unserer Generation früher sterben, als wir eigentlich gedacht hatten. Viele scheinen da gerade auf der Strecke zu bleiben – aber das ist nur mein Eindruck und keine statistische Erhebung. Irgendwann haben aber auch die Boomer mitbekommen, dass man sich um sein mentales Wohlbefinden kümmern muss. Aber nicht: Da muss sich jetzt der Staat oder der Arbeitsplatz drum kümmern. Sondern: Wir müssen selbst sehen, wie wir damit umgehen. Self-Care wurde das damals noch nicht genannt, trifft aber doch zu.

 “Boomer haben gelernt, nicht alles so unglaublich ernst zu nehmen.” 

Sind Boomer vielleicht auch einfach besser darin, nicht ständig erreichbar zu sein, wie die Generationen, die mit Internet und Social Media aufgewachsen sind?

 Da haben wir wieder das Thema, dass Boomer gelernt haben, nicht alles so unglaublich ernst zu nehmen. Sie haben die ersten Rechner mitentwickelt und dabei auch wohl auch direkt Praktiken der Grenzsetzung gelernt. Eine Generation, die in eine Gesellschaft mit sozialen Medien, Messengers und Smartphones hineingeboren ist, kann wahrscheinlich deutlich schwerer die Entscheidung treffen, sich dem zu entziehen. Es ist eine Selbstverständlichkeit, immer erreichbar zu sein, die nur selten angezweifelt wird. Das war bei den Boomern noch anders.

 

Viele reden von Fachkräftemangel, der eine Lücke hinterlassen wird – aber wenn wir auf Dinge wie Arbeitsmoral oder Pflichtbewusstsein schauen, wie denken Sie, wir die Lücke da aussehen?

 Die Klarheit der Erwerbsmoral ist bei jüngeren Generationen wohl wirklich anders gelagert. Die Sicherheit der Notwendigkeit, dass das Qualifikationspotenzial durch eigenes Zutun geändert werden kann und muss. Es geht weniger um eine Stabilität des Arbeitsplatzes, als um die Stabilität der eigenen Kompetenz. Man muss selbst gucken, dass man die Welt versteht und sich in ihr zurechtfindet. Es wird sich zeigen, ob diese Qualitäten von jüngeren Generationen adaptiert werden.

 

Wir haben festgestellt, dass Boomer immer viele waren. In der Schule, an der Universität, am Arbeitsplatz. Haben sie dadurch gelernt, bessere Teamworker zu sein?

 Ich glaube, da könnten Sie recht haben. Da gibt es eine erstaunliche Fähigkeit, Konkurrenz und Kooperation zusammenzubringen. In einem Seminar mit 150 Leuten oder einer Klasse mit 32 Kindern, muss man schauen, wie man auffällt. Da muss man sich aber selbst drum kümmern und nicht damit rechnen, dass jemand anderes darauf achtet, dass jeder gleich viel Aufmerksamkeit bekommt. Dadurch entsteht aber auch ein Gefühl dafür, dass es allen anderen in diesen Räumen ganz genauso geht – da ist eine eigentümliche Verbundenheit. Und das ist beim Arbeiten in einem Team natürlich ein großer Vorteil. Besonders, wenn man zusammen vor Ort arbeitet.

 

Wie werden die Boomer unsere Gesellschaft prägen, nachdem sie den Arbeitsmarkt verlassen haben?

 Es gibt für diese Generation ja auch noch eine Linie nach vorne: Boomer sind dabei, Großeltern zu werden. Und Geschichte entsteht vor allem in der Auseinandersetzung zwischen Enkelkindern und Großeltern. Was werden Boomer ihren Enkelkindern über ihr Leben erzählen? Werden die Enkelkinder erfahren wollen, wie alles so gekommen ist, wie es jetzt ist? Da wird es einen großen Wissensaustausch geben, der uns als Gesellschaft wohl noch prägen wird.

 

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