Mobility-Startups in Berlin: Stadt unter Strom

(Foto: Michael Hübner)
Laurens Laudowicz wollte nur kurz zur Bank, etwas Bargeld holen. Aber dort kam der Gründer nicht an. Schon nach zwei Ampeln hatten ihn blau uniformierte Polizisten der Berliner Fahrradstaffel wild gestikulierend aus dem Verkehr gezogen. Der Grund: Laudowicz fuhr nicht etwa ohne Licht oder auf der falschen Straßenseite, sondern mit einem motorisierten Skateboard, das schon äußerlich einem Superheldenfilm entsprungen sein könnte. Schwarzes Deck, faustdicke Rollen mit tiefem Profil, rot leuchtende LEDs, dazu ein leise surrender Elektromotor, 30 Stundenkilometer schnell: „Die Beamten mussten ordentlich strampeln, um mich einzuholen“, witzelt Laudowicz.
Die Spritztour des 38-Jährigen war jedoch keine Bagatelle. Denn das E-Skateboard seines Startups Stark Mobility ist in Deutschland illegal. Es zählt zu den sogenannten Elektrokleinstfahrzeugen, für die es offiziell noch keine Zulassung gibt. Darunter fallen motorisierte Tretroller, Hoverboards und sogenannte Mono-Wheels, ein Trittbrett mit einem großen Antriebsrad in der Mitte. Wer die Fahrzeuge auf öffentlichen Straßen nutzt, riskiert ein Bußgeld von 70 Euro und einen Punkt in Flensburg. Allein im vergangenen Jahr hat die Berliner Polizei insgesamt 71 dieser nicht erlaubten Elektroflitzer beschlagnahmt.
Nach Berlin ist Laurens Laudowicz trotzdem gekommen. Der Bremer, der 18 Jahre lang in den USA gelebt hat, hat sein Büro im vergangenen Jahr von San Francisco in die deutsche Hauptstadt verlegt. Zusammen mit vier Mitarbeitern sitzt er jetzt in einem geräumigen Altbau in der Rheinsberger Straße, wenige Fußmeter neben der Factory, dem größten Gründercampus der Stadt, wo Firmen wie Soundcloud und Google residieren. Wie sie hat auch Laudowicz eine große Vision: Er will mit Stark Mobility eine globale Sharing-Plattform für E-Fahrzeuge aufbauen. Und das, sagt er, gehe nirgendwo besser als in Berlin. „Die Mieten sind hier noch vergleichsweise günstig, die Stadt hat früh auf Car- und Bikesharing gesetzt, und es gibt ein großes Netzwerk von Mobilitätsanbietern. Man ist schnell bei der Deutschen Bahn oder Daimler“, sagt Laudowicz. Sein Skateboard? „Erst der Anfang.“
Da rollt was auf Berlin zu
Mit diesen Ambitionen ist der Gründer in Berlin nicht allein. In der Hauptstadt warten derzeit mindestens acht weitere Startups darauf, mit Elektrokleinstfahrzeugen durchstarten zu können. Und schon im März könnte es soweit sein. Dann nämlich soll zumindest das Verbot für E-Tretroller fallen. Die Fahrzeuge verfügen über eine Lenkerstange, zwei Räder, dazwischen das Brett zum Draufstellen. Mit einem Fuß stößt man sich vom Boden ab und braust mit Stromunterstützung los. Ein Verordnungsentwurf des Bundesverkehrsministeriums sieht unter anderem vor, dass die Roller mit bis zu 20 Kilometern pro Stunde auf Radwegen und meist auch auf der Straße fahren dürfen. Der Markt wird schwer umkämpft sein, einige Berliner Startups haben sich vorsorglich schon mit Kapital eingedeckt. Im Oktober sicherte sich beispielsweise Tier Mobility von Investoren eine erste Finanzierung über 25 Millionen Euro. Einen Monat später zog Wind.co mit 19 Millionen Euro nach und die von Szene-Urgestein Lukasz Gadowski gegründete Firma Flash erhielt im Januar sogar 55 Millionen Euro. Auf Konzernseite erprobt die Daimler-Tochter Mytaxi ebenfalls den Einstieg in den Markt. Alle Anbieter verfolgen das Ziel, ein stadtweites Verleihsystem für E-Tretroller zu etablieren. Die Fahrzeuge können per App für einen Euro ausgeliehen werden, die Nutzung selbst kostet dann 15 Cent pro Minute. Abends werden die Roller von Mitarbeitern eingesammelt, aufgeladen und am Morgen an ausgewiesenen Plätzen wieder abgestellt. Vorbild sind hier wieder einmal die Amerikaner. In San Francisco, wo die inzwischen mit Milliarden bewerteten Anbieter Lime und Bird aktiv sind, gehören E-Tretroller längst zum Straßenbild. Auch in Moskau, Paris oder Tel Aviv gibt es das Modell bereits.

Das Gründerteam von Tier: Lawrence Leuschner, Julian Blessin und Matthias Laug. Die Szeneköpfe planen ein europaweites Verleihsystem für E-Tretroller. (Fotos: Tier Mobility)
In den Augen der Gründer sind die Elektroflitzer in Ballungsräumen vor allem für Kurzstrecken geeignet; für die sogenannte letzte Meile von der Haltestelle zum Arbeitsplatz, ins Fitnessstudio oder nach Hause. Also überall dort, wo Bus und Bahn nicht mehr hinkommen. Die Roller sind leicht zu bedienen und bringen Nutzer im Vergleich zum Fahrrad nicht ins Schwitzen. Im Visier haben die Gründer besonders Berufspendler: „Wer schon einmal um 18:30 Uhr an der Friedrichstraße umgestiegen ist, weiß, wie viel Zeit und Nerven das kostet“, sagt Julia Boss, Geschäftsführerin des Startups Wind.co aus Berlin. Die frühere Rocket-Managerin sieht in den E-Tretrollern – trotz der noch fehlenden Zulassung in Deutschland – ein Erfolgsmodell. Die Arbeitslosigkeit im Land sei gering, das Auto kein Statussymbol mehr. So könne ihre Firma vielen Menschen auf dem Weg zur Arbeit, von der Arbeit sowie in der Mittagspause eine zeitsparende Fortbewegungsalternative bieten. „Das gilt umso mehr, als die Zahl der Autos vor allem in Berlin sehr hoch ist, aber niemand seine Zeit mit der ewigen Parkplatzsuche verschwenden will“, sagt Boss.
Übergeordnet werben die Startups auch mit dem Umweltschutz. Tier-Gründer Lawrence Leuschner beispielsweise redet vom „Anfang einer kompletten Mobility-Revolution“. Elektrische Tretroller seien ein erster Schritt hin zu Innenstädten ohne Staus, Lärm, Smog und anderen Umweltverschmutzungen. „Gerade die Städte im Ausland erkennen den Nutzen und die positiven Auswirkungen, welche die neuen elektrischen Fahrzeuge auf Verkehr und Umwelt haben“, sagt Leuschner. Seit Oktober ist der Gründer, der zuvor den Online-Ankaufdienst Rebuy aufbaute, mit seinem Rollerangebot unter anderem in Wien und Madrid aktiv. Sollte die Straßenzulassung wie angekündigt kommen, sagt Leuschner, werde Tier auch in Deutschland – abhängig vom Geschäftsgebiet – „einige hundert oder tausend“ Roller aufstellen. Berlin gilt wegen seiner Größe als einer der hoffnungsvollsten Standorte.
Strenge Regeln für leise Treter
Dass der erhoffte Boom in der Hauptstadt einsetzen wird, stellen manche Experten jedoch infrage. Denn das Bundesverkehrsministerium hat für die Straßenzulassung strenge Regeln festgelegt. So müssen die E-Tretroller nach jetzigem Stand über zwei Blinker und eine Versicherungsplakette verfügen. Auf eine Helmpflicht wurde verzichtet, doch Fahrer müssen mindestens 15 Jahre alt und im Besitz eines Mofa-Führerscheins sein. Ein Show-Stopper, findet Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Zwar könnten die Roller dem Verkehrsforscher zufolge bei sachgerechter Nutzung das Nahverkehrsangebot in Berlin „deutlich“ verbessern. „Aber die Versicherungs- und Führerscheinpflicht wird die Nachfrage nach den Rollern stark bremsen. Das ist wieder mal ein typisches Beispiel für die Überregulierung in Deutschland“, sagt er. In Barcelona oder Paris gebe es diese Regeln nicht. Knie schätzt, dass bis Jahresende nur wenige hundert E-Tretroller in Berlin unterwegs sein werden.
Auch Tier-Gründer Lawrence Leuschner hält die Ausgestaltung der Verordnung noch für verbesserungswürdig: „Gerade junge Menschen in großen Städten, die heute keinen Führerschein mehr machen, werden hier ausgeschlossen“, sagt er. „Wir würden es begrüßen, wenn, wie in den anderen europäischen Ländern, auf Führerschein- und Versicherungspflicht verzichtet würde.“ So könnten Fahrer bei Zuwiderhandlung strafrechtlich verfolgt werden, kommt es zu einem Unfall, drohen außerdem Schmerzensgelder. Immerhin: Wegen der Kritik an einer möglichen Überregulierung hat das Bundesverkehrsministerium die ursprünglich bereits für 2018 geplante Zulassung der Elektrokleinstfahrzeuge zuletzt noch einmal vertagt. Der Entwurf könne sich noch ändern, räumte das Ministerium Anfang Dezember auf Anfrage ein. Zumindest die Blinker- und Versicherungspflicht soll überdacht werden. Einfache Handzeichen wie beim Fahrradfahren könnten bei der Nutzung der E-Tretroller ausreichen. Auch das pauschale Verbot von E-Skateboards, das weiter bestehen bleiben sollte, scheint nicht mehr in Beton gegossen. So könnte eine Sondergenehmigung für die Laufzeit von zwei Jahren ausgestellt werden, um dann noch einmal neu zu entscheiden.