Share-Economy: Heilsbringer oder Kapitalismusfalle?
Wer versucht, einem zweijährigen Kind zu erklären, dass ein Spielzeug nicht ihm gehört, stößt meist auf völliges Unverständnis. Das Konzept von Eigentum muss man Kleinkindern erst noch erklären, vorleben und mitgeben. Um so interessanter ist es, dass sie es –sobald verinnerlicht – fortan zu jeder Zeit lauthals einfordern. Eigentum und Besitz sind eine kulturelle Erfindung des Menschen –eine Erfindung, die in den nächsten Jahrzehnten wieder deutlich an Bedeutung verlieren könnte, wenn es nach dem Silicon Valley geht.
Der Wunsch nach besserem Konsum
Seit einigen Jahren ist die Share-Economy dabei, unser Verhältnis zu Gütern radikal in Frage zu stellen. Dabei muss es nicht immer Uber oder Airbnb sein – die Liste mit Unternehmen und Startups, die sich der Share-Economy verschrieben haben, wächst rasant. Skillshare etwa, eine Plattform, auf der jeder ohne Vorerfahrung tätig werden und sein Wissen an andere Nutzer weitergeben kann; VizEat, eine Art Airbnb der Gastronomie, bei dem Nutzer bei fremden Menschen zu Hause essen können; Pley, ein Service, der Lego-Sets für Kinder verleiht; Cohealo, eine Software, die es ermöglicht, teure medizinische Geräte gemeinsam zu nutzen. Oder MuniRent, ein Dienst für Kommunen und kleinere Städte, der das Teilen schwerer Gewerke vereinfacht. Die Liste ließe sich fast endlos weiterführen.
Vor allem vor dem Hintergrund der Diskussion um begrenzte Ressourcen, die Grenzen des ökonomischen Wachstums und ein nachhaltiges Konsumverhalten sind Teilen und die gemeinsame Nutzung von Gütern fortschrittlich. Das ist das Disruptive an der Share-Economy: Solche Formen des Güter- und Ressourcenteilens erfahren mit Hilfe von digitalen Technologien eine radikale Vereinfachung und deshalb auch eine Professionalisierung, die es so bisher noch nicht gegeben hat.
Der hohe Vernetzungsgrad digitaler Gesellschaften ermöglicht Geschäftsmodelle für Tätigkeiten und Dienste, die bisher meist nur lokal privat oder in seit Jahrzehnten professionalisierten Branchen organisiert waren: Die lokale Fahrgemeinschaft oder die gemeinsame Nutzung von Werkzeugen und Gerätschaften in der Nachbarschaft, die Buchung von Hotelzimmern oder professionellen Fahrdiensten. Heute braucht man meist nur eine App dafür.
Das Ende des Kapitalismus?
Der US-amerikanische Bestseller-Autor und Zukunftsforscher Jeremy Rifkin sieht angesichts der Share-Economy sogar das „Ende des Kapitalismus“ aufziehen. Die kapitalistische Form des Wirtschaftens werde es zwar auch in Zukunft durchaus noch geben, aber nicht mehr als bestimmende und treibende Kraft unserer Ökonomie. Vielmehr würden sich die Collaborative Commons durchsetzen, eine gemeinschaftlich organisierte Form des Wirtschaftens, die es quasi jedem ermöglicht, nahezu kostenlos Dinge und Wissen anzubieten und mit anderen zu teilen. Beispiel Auto: In seiner Jugend sei es noch selbstverständlich gewesen, dass jeder ein Auto besaß. „Die Kinder der Millennium-Generation haben am Besitz eines Autos gar kein Interesse mehr: Sie wollen lediglich den Zugang zu mobilen Diensten wie Car-Sharing“, urteilte Rifkin auf der CeBIT 2015.
Diese extrem optimistische Sichtweise über die Zukunft teilt Rifkin mit der Tech-Gemeinde im Silicon Valley – allen voran den Gründern und Machern der meisten Share-Economy-Dienste. Die Betreiber der großen Plattformen sowie die vielen Startup-Gründer dort sind überzeugt, mit ihren technologischen Errungenschaften die Welt maßgeblich zu verbessern. Ihr Glaube an die Sache hat schon fast messianische Züge. Airbnb-Mitgründer Joe Gebbia etwa spricht davon, an etwas Großem arbeiten zu wollen, „etwas, das Millionen Menschen berührt, so viele wie möglich.“ Er könne sich niemals vorstellen, an etwas zu arbeiten, das ohne Seele sei. Es ist eine religiöse Rhetorik, ein bedingungsloser Fortschrittsglaube. Die politische Philosophie dahinter beschrieb der Spiegel kürzlich als „eine eigenartige Mischung aus esoterischem Hippie-Denken und knallhartem Kapitalismus.“
Die Macht der großen Plattformen
Ähnlich wie der Spiegel richtet auch Sascha Lobo einen kritischen Blick auf die Share-Economy und schreibt: „Was oft als Sharing-Economy bezeichnet wird, ist in Wirklichkeit ein euphemistisch benannter Aspekt einer neuen digitalen Wirtschaftsordnung: des Plattform-Kapitalismus“ . Mit diesem Ausdruck bezeichnet Lobo einen von großen Internet-Plattformen geprägten digitalen Kapitalismus. Unternehmen wie Uber und Airbnb verfolgten mit Hochdruck die Strategie, in ihren Märkten Monopole auszubilden, um die Regeln der jeweiligen Branche im Alleingang zu bestimmen und ihre in Wahrheit knallharte Monetarisierungsstrategie ungehindert verfolgen zu können.
In dieser Sichtweise gerät die schöne neue Welt der Flexibilität, des Teilens und gemeinschaftlichen Wirtschaftens zu einer Farce. „Flexibilität gut und schön, aber eben nur dann, wenn sie nicht als peitschendes Effizienzinstrument in den Händen von Leuten wie Uber-Chef Travis Kalanick stattfindet“, so Lobo in einem Interview mit fr-online.
Die entscheidende Problematik großer Plattformen als Arbeitgeber: Durch ihre nahezu monopolitische Position können sie die Arbeitsbedingungen bestimmen – Gewerkschaften für das Zeitalter der Share-Economy müssen erst noch erfunden werden. Und was passiert, wenn auf einen zuvor geregelten Arbeitsmarkt plötzlich –quasi über Nacht – eine Vielzahl „professioneller Amateure“ treten? Es drohen Dumping-Löhne. Hobby-Fahrer oder Teilzeit-Hoteliers stellen ihre Dienstleistungen deutlich günstiger in Rechnung als über Jahrzehnte professionalisierte Branchen. Während die einen sich ein Zubrot verdienen, bestreiten die anderen ihren Lebensunterhalt – zwei fundamental unterschiedliche Herangehensweisen an Arbeit, mit einer sich dramatisch zuspitzenden Perspektive für diejenigen, die von ihrer Tätigkeit sich und eine Familie ernähren müssen.
Algorithmen: In erster Linie effizient
Fast problematischer als die drohende Lohn-Schlacht zwischen langjährigen professionellen Dienstleistern und Share-Economy-Jobs ist aber ein anderer Aspekt in einer von der Share-Economy geprägten Arbeitswelt: In dieser legen nicht mehr Menschen und von Menschen erdachte Regeln und Vereinbarungen fest, wer was wann und zu welchen Konditionen (er)arbeitet, sondern automatisierte Prozesse, Software, Apps und die dahinter anleitenden Algorithmen.
Die Folge: Eine mathematisch hoch optimierte Taylorisierung der Arbeit, die durch ihre Vernetzung eine Effizienzsteigerung erreicht, die alles bisherige in den Schatten stellt. Die digitale Optimierung von Arbeitsprozessen ist in dieser Perspektive der Höhepunkt einer Entwicklung, die mit dem Fließband begann. Der Fahrpreis einer Uber-Fahrt beispielsweise basiert auf etlichen Faktoren und kann je nach Wetter, Verkehrslage und aktueller Nachfrage variieren – ein in Echtzeit berechneter Wert, der einzig und allein einer Effizienzlogik folgt und keine sozialen Aspekte berücksichtigt: 150 Jahre Gewerkschaftsgeschichte innerhalb weniger Jahre mal eben ausgehebelt.
Wenn Freundschaftsdienste plötzlich Geld kosten
Neben dem drohenden Wertverlust der Arbeit sprechen Kritiker von einer grundlegende Veränderung des sozialen Lebens, die die Share-Economy vorantreibt. So auch Byung-Chul Han, Philosoph und Kulturwissenschaftler an der Universität der Künste Berlin, der in einem Essay für die Süddeutsche Zeitung von einer „Totalkapitalisierung der Gemeinschaft“ spricht: „Es ist keine zweckfreie Freundlichkeit mehr möglich. In einer Gesellschaft wechselseitiger Bewertung wird auch die Freundlichkeit kommerzialisiert. Man wird freundlich, um bessere Bewertungen zu erhalten. (…) Der Kapitalismus vollendet sich in dem Moment, in dem er den Kommunismus als Ware verkauft. Der Kommunismus als Ware, das ist das Ende der Revolution.“
Ähnlich kritisch wie Han äußert sich der Sozialpsychologe Harald Welzer, der bei Share-Economy-Diensten wie Airbnb von einer „Umformatierung des Sozialen“ spricht. In einem Spiegel-Interview nennt er ein Beispiel: „Im studentischen Milieu war das Reisen immer billig, weil man irgendwo in einer WG pennen konnte. Seit Airbnb überlegt sich das jede WG genau. Wenn sie das Zimmer umsonst weggibt, hat sie ein schlechtes Geschäft gemacht.“ Wenn Freundlichkeit nur gespielt ist, um eine Fünf-Sterne-Bewegung zu erhalten, wenn Freundschaftsdienste plötzlich Geld kosten, wenn also zuvor unökonomische soziale Praktiken plötzlich in der Absicht der Gewinnmaximierung auf Effizienz optimiert und monetarisiert werden, dann ist Share-Economy nur die Propaganda einer neuen Form des Kapitalismus, der auf die Kommerzialisierung des sozialen Lebens abzielt.
Next Level Surveillance
Mit der Tendenz zur Kommerzialisierung der sozialen Sphäre durch die Share-Economy wird das, was früher privat und mündlich organisiert worden ist, zunehmend in den digitalen Raum verlagert. Damit geht eine potenzielle Zunahme von Überwachung einher. Es liegt auf der Hand: Alles, was über Dienste im Netz organisiert wird, kann von Geheimdiensten abgefangen und genutzt werden, um Personenprofile mit noch mehr Details anzureichern. Wer allein an die Bewegungsdaten der Uber-Kunden denkt, bekommt eine Ahnung davon, wie weitreichend und aussagekräftig solche Daten sein können. Uber selbst hat diesen Umstand schon für Experimente genutzt und beispielsweise seine gesammelten Daten im Hinblick auf die One-Night-Stands seiner Kunden analysiert – was gar nicht so kompliziert ist.
Für sein „analytisches Spiel“ – wie Deutschland-Chef Fabien Nestmann das Vorgehen nannte – hat Uber Fahrgäste erfasst, die an einem Freitag oder Samstag zwischen 22 Uhr abends und 4 Uhr morgens einen Wagen buchten, vier bis sechs Stunden später eine weitere Fahrt bestellten und die zweite Bestellung von einem Punkt innerhalb von 160 Metern des zuvor angefahrenen Ortes kam. „Rides of Glory“ bezeichnete Uber solche Fahrten in einem entsprechenden Blogeintrag, der mittlerweile gelöscht ist.
Digitalisierung und Regulierung
Die Vernetzungsmacht des Internets zu nutzen, um Güter, Ressourcen und Dienste zu teilen, um flexibler zu sein und ökonomisch und ökologisch nachhaltiger zu wirtschaften und zu handeln ist eine fantastische Perspektive, an der wir als Gesellschaft festhalten müssen und die wir weiter forcieren sollten. Aber es ist nicht alles Gold, was glänzt. Die Share-Economy hat auch ihre Schattenseiten: wenn etwa die Fragmentierung der Arbeit zu Dumping-Löhnen führt, eine Kommerzialisierung des Sozialen und eine entsprechende Zunahme von Überwachung drohen, oder große Plattformen ohne jegliche Kontrolle Märkte und Branchen nach ihren Gunsten gestalten.
Es braucht mehr denn je Regulierung, ohne dass dadurch auf der anderen Seite die positiven Früchte der Digitalisierung vernichtet werden. Eine Diskussion wird in diesem Zusammenhang früher oder später wieder verstärkt geführt werden: Die Frage, ob ein bedingungsloses Grundeinkommen für jeden ein Weg ist, die Dumping-Hölle, die mit der Share-Economy droht, in den Griff zu bekommen. Eine teilweise Entkopplung von Lohn und Arbeit könnte die enormen Möglichkeiten, die sich durch die Digitalisierung ergeben, sozialökonomisch regeln und so die positiven Aspekte für alle Gesellschaftsmitglieder hervorheben.
Die Regulierung kann aber auch von den Unternehmen selbst kommen – zumindest in Europa. Die Mitfahrgelegenheits-Plattform BlaBlaCar etwa schließt den kommerziellen Gedanken von vornherein aus: Der Maximalpreis, den Fahrer für eine Strecke verlangen können, liegt knapp unter den durchschnittlichen Fahrtkosten. „Du kannst keinen Profit mit BlaBlaCar machen – damit sind wir eines der wenigen Share-Economy-Unternehmen, das gar keine Probleme mit kommerziellen Ambitionen seitens der Nutzer hat“, erklärt Mitgründer Nicolas Brusson.
Das Beispiel zeigt: Maßvolle Regulierung muss kein Geschäftsmodell zerstören – im Gegenteil. Sie kann Grundlage dafür sein. Die Unternehmen sind dabei genauso gefordert wie die politischen Akteure, denn sie gestalten mit ihren digitalen Diensten die zukünftige Gesellschaft maßgeblich mit.
Kann es sein das der Artikel schon falsch startet..“Das Konzept von Eigentum muss man Kleinkindern erst noch erklären, vorleben und mitgeben. Um so interessanter ist es, dass sie es –sobald verinnerlicht – fortan zu jeder Zeit lauthals einfordern. “
Kleinkinder kämen nicht auf die Idee, dass Dinge nicht ihr Eigentum sein könnten. Man muss ihnen NICHTeigentum anlernen und das sie folglich versuchen Eigentum zu verteidigen, ist völlig naturell. Das Teilen kommt dann ins Spiel, wenn man, um bei den Kindern zu bleiben, die Möglichkeit sieht, dass man einen Matchbox teilt und dann den großen Baggern auch geteilt bekommt, mit der Konsequenz (alle Eltern kennen das Spiel), dass es Zank und Streit gibt, weil JEDER gern seinen Matchbox teilt, aber jeder diesen Bagger haben möchte. Sogar dann, wenn es für seinen aktuellen Spielbedarf sogar das Matchbox tun würde. Schließlich teilt er und damit will er.
Das Fundament oben steigt falsch ein..!