Mit User-Onboarding-Design überzeugen: Neue Nutzer sollen es einfach haben
Im deutschsprachigen Raum ist der Begriff des „Onboardings“ häufig nur aus dem Personalmanagement bekannt. Hier beschreibt er den Prozess, der neue Mitarbeiter in ein Unternehmen integriert: Den Arbeitsplatz einrichten, die Unternehmensphilosophie vorstellen, die Kollegen kennenlernen und so weiter. In den USA und Großbritannien bilden sich derzeit jedoch vermehrt Teams, die sich dem Thema „User Onboarding“ widmen. User-Onboarding greift die Idee des Mitarbeiter-Onboardings auf und überträgt sie auf Kunden. Neuen Nutzern soll es so einfach wie möglich fallen, eine App richtig einzusetzen: Von der Erstellung des Accounts über den First-Time-Use (FTU) bis hin zur wiederholten Nutzung der App.
Gutes User-Onboarding verbessert zwar nicht das Produkt, aber es kann mehr Menschen für das Produkt begeistern. Kein Nutzer interessiert sich für Funktionen, sondern nur für den Mehrwert, den er mit dem Produkt für sich gewinnt. Diesen zu vermitteln ist daher das erste Ziel eines guten User-Onboarding-Prozesses. Lieblose Handbücher, FAQ- oder Hilfe-Sektionen führen in den seltensten Fällen zum Erfolg, sondern eher zu hohen Absprungraten nach der ersten Nutzung.
Das erste Treffen mit dem Kunden
Der FTU bestimmt den Ton der Beziehung – ähnlich wie bei einem ersten Date. Ist der Nutzer verwirrt, überfordert oder konnte nur wenig bis gar keinen persönlichen Mehrwert aus der Interaktion ziehen, verringert das die Freude auf ein weiteres Treffen. Deshalb muss der Kunde schon bei der ersten Nutzung klar verstehen, wie er mit der App sein Problem lösen kann.
Das User-Interface (UI) bestimmt die Klarheit. Wenn man so will ist UI wie ein Witz: Muss man es erklären, ist es nicht gut. Eine App muss also möglichst intuitiv nutzbar sein, Design und Inhalte müssen sich selbst beschreiben. Je besser das gelingt, desto schneller können neue Nutzer produktiv damit umgehen. Theoretisch sind daher alle Onboarding-Techniken redundant, wenn das UI selbsterklärend ist. In der Praxis sind Apps aber oft zu komplex, um dies zu erreichen. Hier macht das User-Onboarding aus einer guten eine optimale User-Experience (UX).
„Take our tour“
Mit User-Onboarding verbinden viele die klassische App-Tour, die den Nutzer durch die wichtigsten Features führt und ihm schnell einen Überblick verschafft. Google führt seine mobilen Nutzer etwa mit weniger als fünf Illustrationen oder Screenshots durch die Kernfunktionen seines Angebots. So kann jeder User in seinem eigenen Tempo Erwartungen aufbauen und Bedienelemente kennenlernen. Bewusstes Weglassen und das Hervorheben bestimmter Bereiche schaffen Klarheit und Orientierung.
Das soziale Netzwerk Pinterest hat sich bei seiner mobilen Applikation für ein dezentes User-Onboarding entschieden: Im Hintergrund der ersten Ansicht – dem Anmeldedialog – sind Anregungen und Ziele in Form von Vorschaubildern zu sehen. So muss sich der Nutzer nicht erst durch eine Reihe von Darstellungen arbeiten, um sich über die Einsatzmöglichkeiten der Plattform zu informieren.
Animationen und Erklärvideos sorgen im Vergleich zu Texten in der Regel für bessere Conversion-Rates. Mailchimp, ein Cloud-Service für E-Mail-Marketing, zeigt, wie das gelingen kann: Auf seiner Homepage erklärt er mit Hilfe einer animierten Grafik, wie einfach es ist, ansprechende Newsletter zu erstellen. Der Heatmap-Service Crazyegg setzt hingegen auf ein Erklärvideo, das mit einer amüsanten Story und guten Beispielen überzeugt.
Solche Produkttouren lassen sich zwar recht einfach umsetzen, sie sind hinsichtlich ihrer Kommunikation aber auch einseitig: Der User kann lediglich zuschauen, aber nicht interagieren. Doch wenn ein Produkt nur von sich erzählt und den Nutzer nicht zu Wort kommen lässt, kann es nur schwer eine gute Beziehung zu ihm aufbauen.
Einfach mal machen
Es ist daher ratsam, den Nutzer mit dem Produkt interagieren zu lassen. Ein gutes User-Onboarding lädt ihn ein, seine ersten Schritte in der App zu gehen, und treibt die Tour durch das Lösen kleiner Aufgaben voran. Sie führt den Nutzer nicht nur durch die einzelnen Features, sondern lehrt ihn auch gleich, wie diese funktionieren.
Vor allem bei Produkten, die den ständigen Input des Nutzers erfordern, verspricht diese Strategie Erfolg. So kann eine To-Do-App einen Erstanwender dazu auffordern, einen Eintrag zu erstellen und als erledigt zu markieren. Ein soziales Netzwerk kann nach einem ersten Post fragen und anschließend dazu animieren, ihn zu teilen.
Die E-Mail-App Mailbox setzt bei der Bedienung auf Wisch- und Streichgesten, was sich anhand von Pfeilen und Illustrationen erklären lässt. Das User-Onboarding von Mailbox geht aber noch einen Schritt weiter und spornt Nutzer dazu an, es auch direkt einmal auszuprobieren. So versteht dieser die verschiedenen Möglichkeiten leichter und prägt sie sich ein.
Die Aufgaben, die sich für das User-Onboarding eignen, müssen Anbieter sorgfältig auswählen. Im Idealfall sind es Funktionen, die zu Gewohnheiten und damit zur wiederkehrenden Nutzung der App führen. Falsch umgesetzt, besteht jedoch auch die Gefahr hoher Absprungraten. Versteht der Nutzer die Aufgaben nicht oder ist unklar, ob seine Aktionen bereits Auswirkungen auf das Produkt haben oder sich wieder rückgängig machen lassen, so ist eine monologische Tour die bessere Wahl.
Erst geben, dann nehmen
Durch Interaktion baut ein Nutzer eine Beziehung zur App auf. Autohändler verstehen dieses Prinzip – und sind immer für eine spontane Probefahrt zu haben. App-Anbieter machen es ihren Kunden oft unnötig schwer. Eine der gängigsten Hürden ist, dass potenzielle Nutzer ein Konto erstellen müssen, bevor sie eine App nutzen können.
Doch die Zeiten, in denen Kunden all ihre Daten eintragen, um ein neues Produkt zu testen, sind vorbei. Heute möchte jeder erst einmal prüfen, ob und wie das Produkt ein Problem löst – und dann erst entscheiden, ob er sich anmeldet. Daher sollten gute User-Onboardings die Kunden möglichst schnell und direkt zum Nutzen führen. Die Terminfindungs-App doodle etwa kann jeder auch ohne Account nutzen, und die Sprachlern-Software Duolingo lässt neue Nutzer direkt einen einfachen Satz übersetzen.
Selbst wenn Unternehmen zunächst absolut nicht auf Kundendaten verzichten möchten, sollten sie sich fragen, welche Daten wirklich wichtig sind: Braucht eine Testversion tatsächlich alle Kontodaten? Ist wirklich sofort die Anschrift des Nutzers notwendig – oder kann das warten? Braucht man den Namen oder reicht die E-Mail-Adresse? Je weniger Infos zur ersten Nutzung des Produktes nötig sind, desto besser. Am besten gar keine.
Geführte kleine Schritte
Einige Apps benötigen allerdings eine gewisse Vorbereitung, um ihren Nutzen wirklich zeigen zu können. So etwa die Frage-und-Antwort-Plattform Quora, Twitter oder der Video-On-Demand-Anbieter Netflix – großartige Produkte, die aber ohne Setup nicht funktionieren. Wer wie sie nicht auf die Account-Erstellung verzichten kann, sollte den Prozess nicht erklären, sondern optimieren.
Twitter hat das 2014 erkannt und sein User-Onboarding-Design komplett geändert. Seit dem fordert es neue Nutzer nicht mehr dazu auf, einen ersten Tweet zu erstellen, sondern seinen Feed zu füllen. Hierzu fragt Twitter nach den Interessen und macht eine Reihe von Vorschlägen, die der Nutzer später aber auch wieder ändern kann. So abonnieren neue Nutzer mehr Kanäle, als wenn sie die Auswahl selbst treffen müssen – eine der wichtigsten Messzahlen für Twitters Erfolg.
Auch Quora setzt noch einen weiteren Anreiz: Während der Einrichtung ist das komplette Produkt im Hintergrund – als Ziel in der Ferne – sichtbar. Die Visualisierung des Prozesses, etwa durch eine Fortschrittsanzeige, zeigt, wie viele Schritte noch nötig sind, um zum Ziel zu gelangen. Wichtig: Ein guter Onboarding-Prozess gibt kleine, einheitliche Schritte vor und fragt nicht zu viele Informationen in einem Schritt ab.
User Onboarding durch Content
Richtig gute User-Onboardings mischen die genannten Möglichkeiten und lassen das Produkt mit dem Nutzer selbst kommunizieren. Dabei lässt sich viel von der Spieleindustrie lernen. Gute Videospiele haben naturgemäß großartige Onboardings, die den Nutzer in die Story mit einbeziehen. Das Onboarding ist hier bereits ein Teil des Spiels – es macht Spaß, die Regeln zu lernen und Funktionen zu erkunden. Das beliebte Spiel „Dots: A Game About Connecting“ (erhältlich für iOS und Android) begrüßt Spieler beispielsweise mit einem Zitat, das auf das Ziel des Spiels hinweist – danach geht es gleich direkt ans erste Rätsel.
Die Trainings-Parcours vieler Spiele sind „sandboxed“ – also eine Art Sandkasten, in dem neue Nutzer das Spiel ohne Zeitdruck und Konsequenzen ausprobieren können. Dieses Prinzip lässt sich auch für Web-Apps nutzen, indem sie Umgebungen bieten, die alle Funktionen enthalten, aber in sich abgeschlossen sind und somit keinen Einfluss auf andere Bereiche des Produktes haben. So könnte eine Kalender-App einen vorgefertigten Kalender oder eine Bildbearbeitungssoftware eine einleitende Grafik zeigen.
Eignet sich die App nicht zu so einer Variante, können Anbieter auch auf andere Mittel zurückgreifen. Das kann beispielsweise eine Mission sein, die als Checkliste neben dem Produkt zu sehen ist, bis sie vollständig erfüllt ist.
Der Early Win entscheidet
Egal, welches User-Onboarding-Design ein App-Anbieter wählt: Der Kunde muss immer einen Mehrwert für sich erzielen können – und das möglichst direkt und einfach. Dieser kann selbst für ein und dasselbe Produkt unterschiedlich sein. Der eine User sucht nach einer Lösung für ortsunabhängiges Arbeiten, der andere für die Steigerung seiner Produktivität – und dennoch landen beide bei derselben Projekt-Management-App. Anbieter sollten die Möglichkeiten kennen, um potenzielle Kunden direkt zum Early Win – also zum schnellstmöglichen persönlichen Mehrwert – zu führen.
Dann stehen die Chancen gut, die Nutzer dauerhaft „an Bord“ zu halten und aus ehemals fremden Menschen Stammkunden zu machen. Hierbei können Missionen, Checklisten, Vorbilder, Erklärvideos oder auch Wettbewerbe helfen. Denn das User-Onboarding gestaltet nicht nur das erste Treffen mit dem Kunden, sondern auch alle weiteren Dates – bis hin zu einer festen Beziehung.