Eigentlich klingt es ganz einfach: „9 für 90“ – ein kostengünstiges ÖPNV-Ticket, das im Monat gerade einmal neun Euro kostet und zunächst mal 90 Tage lang erhältlich sein wird, das hat die Bundesregierung heute im Rahmen des Entlastungspakets verabschiedet. Gleichzeitig soll mehr Geld in den öffentlichen Personennahverkehr fließen, damit dieser leistungsfähiger wird. Wann und wie viel genau, bleibt unklar. Das ist alles und nichts – und lediglich ein Zuckerl an jene, die das Auto häufiger stehen lassen oder komplett darauf verzichten. Und es ist doch ein Schritt in die richtige Richtung, der an das 365-Euro-Ticket erinnert, das Wien schon länger kennt und über das in Deutschland schon eine Weile diskutiert wird.
Denn das Signal, das dahinter steht, ist vernünftig und zeitgemäß im Sinne der Nachhaltigkeit: Günstiger ÖPNV kann die Menschen zum Umsteigen bewegen. Nicht immer, aber immer mal wieder, im besten Fall öfter als bisher. Natürlich gibt es nicht flächendeckend die Möglichkeit, Bus und Bahn ausreichend zu nutzen und in einer vertretbaren und mit dem Individualverkehr vergleichbaren Zeit von A nach B zu gelangen.
ÖPNV ist oft eine Ergänzung und ein Teil im Verkehrsmix
Gerade einmal 63 Prozent der Deutschen kommen von der nächstliegenden Haltestelle mindestens stündlich weg. Und während den rund 27 Millionen Deutschen, die in der Großstadt leben, ein vernünftiges und leistungsfähiges Nahverkehrsangebot zur Verfügung steht, trifft das eben auf 55 Millionen Verbraucher:innen nicht zu. Das heißt aber nicht, dass nicht auch ein Teil dieser Gruppe sporadisch mit Bus und Bahn unterwegs ist. Um das herauszufinden, ist der Schritt der Bundesregierung also eine gute Idee.
Im Prinzip zumindest – denn wahrscheinlich wird es so laufen wie mit der Homeoffice-Regelung, die wir erst im Rahmen der Corona-Pandemie überhaupt großflächig ausprobiert haben. Diejenigen, die dem ÖPNV etwas abgewinnen können, werden wohlwollend und kreativ einsteigen. Die vielen anderen, die es „immer schon gewusst haben“, werden dagegen insbesondere angesichts der Engpässe, die jeder Nutzer, jede Nutzerin kennt, abwinken und sich in ihrer Meinung bestätigt fühlen. Insofern wären die Grünen besser beraten gewesen, wenn sie verstanden hätten, dass ein Verkehrsmittel nicht nur billig, sondern auch gut und gerne nutzbar, pünktlich und erreichbar sein muss.
Knappes Timing: Verwirrung bei Verkehrsbetrieben
Doch ob der Vorstoß der Grünen in der geplanten Form überhaupt kommt, ist unklar. Die regionalen Verkehrsunternehmen sind dem Vernehmen nach zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht darüber informiert worden, wie sie das umsetzen können. Ob dann beispielsweise treue Stammkunden, die ohnehin ein Abo haben, in geeigneter Weise einbezogen werden, ob das auch über Verbundgrenzen hinweg gilt, ob die Nahverkehrszüge der Bahn mit eingeschlossen sind (und wie weit) – all das kann im Moment niemand sagen.
Denn die Verkehrsbetriebe sind auf so etwas nicht vorbereitet – und wer die Entscheidungswege der oftmals aus Stadtwerken hervorgegangenen Organisationen kennt, kann sich ungefähr vorstellen, was dort jetzt abgeht. Immerhin: Gerade im Sommer dürfte das dennoch eher dazu führen, dass Menschen, die nur sporadisch mit Bus oder Bahn unterwegs sind und jetzt einfach mal ein solches Ticket kaufen, die Kapazitäten nicht sprengen werden. Denn genügend nutzen trotz vorhandener Monatskarten bei gutem Wetter das Fahrrad oder sind ohnehin noch im Homeoffice.
Unterm Strich ist #9fuer90 also ein richtiger Schritt mit einem denkbar knappen und ungünstigen Timing. Hätte man all das mit mehr Überlegung und weniger Hektik geplant, könnte mehr dabei rauskommen. Bleibt zu hoffen, dass das Ganze mehr ist als ein Strohfeuer zugunsten des ÖPNV. Denn Verkehrswende ist niemals nur „E-Auto“, nur „Carsharing“, nur „Fahrrad“ oder nur „Bus und Bahn“. Der Verkehrsmix in Verbindung mit finanziell attraktiven und praktisch nutzbaren Lösungen kann dazu beitragen, dass jede:r weniger CO2-Emissionen produziert, sich vernünftig und umweltbewusst verhält und weniger Energie verbraucht.