Die Physiker Philip Frey und Stephan Rachel an der Universität Melbourne haben einen Quantencomputer in den USA so programmiert, dass er einen sogenannten Zeitkristall aus 57 Quantenteilchen simuliert. Bisher lag die höchste Anzahl bei 20 Elementen, berichtet Science. An dem Projekt unbeteiligte Physiker bezeichnen das als einen Durchbruch, weil kein herkömmlicher Computer dazu in der Lage gewesen wäre. Das komplexe System war jahrelang nur eine theoretische Hypothese der Physik.
Zeitkristall: Ein immerwährender Zyklus in der Zeit
Der Name des Theorems stammt von Nobelpreisträger Frank Wilczek, einem Physiker am MIT. Ihm fiel die besondere Anordnung von Atomen in Kristallen auf, die nicht durch Gleichungen für die Kräfte zwischen den Atomen erklärbar sind. Sie entsteht spontan, wenn sich die Atome abkühlen und aneinander schmiegen. Dann tritt eine Kettenreaktion auf, die das Muster herausbildet. Dieses Muster ist in den Kräften demnach nur implizit enthalten. Wilczek fragte sich, ob er nicht Ähnliches mit der Zeit anstellen könnte. Er konzipierte ein System, in dem Quantenteilchen durch Kräfte interagieren, die sich nicht mit der Zeit verändern. Seine zyklische Entwicklung sollte es auch in seinem energieärmsten Zustand ausführen können. Der Zeitkristall wiederholt sich so immer wieder – gefangen in einem ewigen Kreislauf. Science schreibt: „Das erwies sich als unmöglich.“ 2016 nahmen sich Wissenschaftler:innen dem Problem erneut an.
Die Lösung: Quantenmagnete zeigen in 2 Richtungen
In den neuen Überlegungen zum Thema regt eine äußere Kraft immer wieder den Mechanismus an. Dabei nimmt er ein Veränderungsmuster an, das sich wie ein Echo mit einer niedrigeren Frequenz als der des Reizes wiederholt. So wurde zum ersten Mal der Zeitkristall nachgewiesen. 2021 vollbrachten es Wissenschaftler:innen von Google, einen 20-Teilchen-Kristall zu erschaffen. Er bestand aus einer Kette quantenmechanischer Magnete, die dank der Quantengesetze in beide Richtungen gleichzeitig zeigen können. Benachbarte Magnete neigen dazu, sich in gegensätzliche Richtungen auszurichten. Ein zufälliges lokales Magnetfeld bringt jeden Einzelnen hingegen dazu, in die eine oder die andere Richtung zu zeigen. Ein ständiger magnetischer Strom sorgt dafür, dass sich die Magneten alle zwei Impulse von oben nach unten kippen – oder umgekehrt. Am Ende soll sich die Anordnung immer wieder um die eigene Achse drehen.
Experimente mit Diamanten und Quantenbits
Das Theorem versuchten Wissenschaftler:innen immer wieder mithilfe von Experimenten umzusetzen. In ihren Systemen drehten sich Elektroden in Diamanten, eingesperrte Ionen oder Quantenbits in einem Quantencomputer. Die Qubit-Demonstration aus Melbourne fällt jedoch viel größer aus. Die Qubits, die gleichzeitig auf 1, 0 oder 1 und 0 gesetzt werden können, programmierten Frey und Rachel so, dass sie sich wie Magneten verhielten. Bei bestimmten Einstellungen der Wechselwirkung blieb jede Anfangseinstellung der 57 Qubits stabil und drehte sich nach zwei Impulsen wieder in den Ausgangszustand zurück. Die Art und Weise wie die Wechselwirkungen zwischen den Magneten das Muster stabilisieren, macht das System zu einem Zeitkristall. Das Spannende daran ist, dass nicht etwa die Stärke, sondern die Zufälligkeit des Systems zur Stabilität des Phänomens führen.
Nächster Schritt: Unendlich lange Zyklen
Frey und Rachel arbeiten bereits an der Perfektionierung des Zeitkristalls. Dem Theorem zufolge müsste die Wechselwirkung unendlich lange andauern. Die Qubits des IBM Quantencomputers konnten ihren Zustand jedoch nur 50 Zyklen lang stabil halten. Die beiden Physiker haben auch schon einen praktischen Nutzen ihrer Entdeckung im Kopf: Die stabilisierende Fähigkeit der Wechselwirkungen könnte zum Beispiel zur Speicherung bestimmter Zustände genutzt werden. Doch bis die Vision eines solchen Speichers Wirklichkeit wird, vergeht noch einige Zeit.