Wie Schneefall Erdbebenschwärme triggern kann – Studie liefert neue Erkenntnisse
![Es gibt Unterschiede zwischen den Beben, die durch Starkregen und heftige Schneefälle ausgelöst werden, und tektonischen Erdbeben. (Foto: e.backlund / Shutterstock) Wie Schneefall Erdbebenschwärme triggern kann – Studie liefert neue Erkenntnisse](https://images.t3n.de/news/wp-content/uploads/2020/08/Erdbeben.jpg?class=hero)
Es gibt Unterschiede zwischen den Beben, die durch Starkregen und heftige Schneefälle ausgelöst werden, und tektonischen Erdbeben. (Foto: e.backlund / Shutterstock)
Untersuchen Wissenschaftler:innen Erdbeben, richten sie ihren Fokus üblicherweise auf den Untergrund. Dass aber auch relevant sein kann, was über der Erdoberfläche passiert, zeigt jetzt eine neue Studie von Forscher:innen des Massachusetts Institute of Technology (MIT) um den Geowissenschaftler Qing-Yu Wang, der aktuell an der französischen Universität Grenoble Alpes arbeitet. Wang und sein Team fanden heraus, dass auch Schnee bei der Auslösung von Erdbeben eine Rolle spielen kann.
Ende 2020 kam es nach heftigen Schneefällen auf der japanischen Halbinsel Noto im Norden Japans zu einem Erdbebenschwarm mit Hunderten von kleinen Erdbeben. Das Forscherteam nahm die Bebenserie zum Anlass, die Auswirkung der festen Niederschläge auf den unterirdischen Druck der Porenflüssigkeit in Rissen und Spalten der Erde zu untersuchen.
„Wir sehen, dass Schneefall und andere Umweltbelastungen an der Oberfläche den Spannungszustand im Untergrund beeinflussen. Der Zeitpunkt intensiver Niederschlagsereignisse hat gut mit dem Beginn dieses Erdbebenschwarms korreliert“, sagt William Frank vom MIT-Fachbereich für Erd-, Atmosphären- und Planetenwissenschaften und bestätigt damit die Ergebnisse des Münchner Teams. „Das Klima hat also offensichtlich Auswirkungen auf die Reaktion der festen Erde, und ein Teil dieser Reaktion sind Erdbeben.“
Die Studie ist zwar mit ihrem Fokus auf die japanische Halbinsel sehr spezialisiert, dennoch ist das Phänomen des klimatischen Einflusses auf das Auftreten von Beben schon andernorts erkannt und untersucht worden.
Seismische Aktivität in Bayern untersucht
2006 hatten Geophysiker:innen der Universitäten München und Potsdam erstmals nachweisen können, dass selbst geringe Veränderungen des Drucks im Gestein genügen, um Erdbeben sogar in mehreren Kilometern Tiefe auszulösen.
Sie überwachten seit 2001 die seismische Aktivität am Berg Hochstaufen bei Bad Reichenhall in Bayern mithilfe von sechs permanenten und drei mobilen Messstationen. Schon im folgenden Jahr verzeichneten sie mehr als 1.100 Erdbeben. Auffällig war, dass die Beben im März und August gehäuft auftraten – und zwar nach überdurchschnittlich starken Regenfällen.
„Unsere Ergebnisse zeigen dann auch, dass die Erdkruste schon auf kleinste Veränderungen sehr empfindlich reagieren kann“, meint Heiner Igel, Professor für Seismologie an der Universität München. „Dazu kommt aber, dass es im Gestein auch größere Spalten gibt, in denen sich mehr Wasser speichert und entsprechend mehr Druck entstehen kann.“ Es ist sogar wahrscheinlich, dass die Flüssigkeit und die dadurch verursachten Spannungsänderungen im Erdreich über Diffusion durchaus weitere Strecken zurücklegen können und letztlich ihre Wirkung vor allem im Bereich von einem bis vier Kilometern Tiefe zeigen.
Verschiedene Arten von Erdbeben
Es gibt aber Unterschiede zwischen den Beben, die durch Starkregen und heftige Schneefälle ausgelöst werden, und tektonischen Erdbeben. Erstere lösen vor allem sogenannte Schwarmbeben aus. Das sind schwächere Erdbeben, die eine Region über einen längeren Zeitraum von Tagen bis Wochen mit schnell hintereinander folgenden Bebenwellen erschüttern. Sie schwellen in ihrer Stärke an und wieder ab, wobei die größte Magnitude in der zeitlichen Mitte liegt. Das ist bei den katastrophalen tektonischen Beben anders. Bei ihnen entlädt sich die Spannung zwischen den Erdplatten schlagartig in einem Hauptbeben, dem viele schwächer werdende Erschütterungen folgen.
Die Theorie dahinter: Wenn sich tektonische Platten an ihren Kanten ineinander verhaken, baut sich über Jahre oder Jahrhunderte eine Spannung auf, die sich normalerweise irgendwann in einem starken Erdbeben entlädt. Doch schon vorher könnte Wasser einen entscheidenden Auslöser liefern. Nach heftigem Niederschlag erhöht sich der Druck im Porenwasser des Gesteins sprunghaft, wobei das Wasser gleichzeitig als Schmiermittel für die Verwerfungen fungiert und so den Ausbruch eines Bebens erleichtert.
Einfluss von meteorologischen Daten
Um die Beben der Noto-Halbinsel besser zu verstehen, entwickelten zwei der Autor:innen vom MIT ein hydromechanisches Modell, das dem der Münchner Forscher:innen für den Berg Hochstaufen entspricht. In dieses Modell speisten sie meteorologische Daten ein, wie die täglichen Schnee- und Regenmengen, aber auch die Veränderungen des Meeresspiegels. So konnten sie die Veränderungen des Porenüberdrucks unter der Noto-Halbinsel vor und während des Erdbebenschwarms verfolgen.
Die Übereinstimmung zwischen dem Modell und den Beobachtungen war besonders groß, wenn der Schneefall einbezogen wurde. Das war nicht so, wenn die Modellierer ausschließlich die Regenfälle berücksichtigten.
„Wenn wir verstehen wollen, wie Erdbeben funktionieren, schauen wir zuerst auf die Plattentektonik, denn das ist und bleibt der Hauptgrund für Erdbeben“, sagt William B. Frank, einer der Autoren des MIT-Papers. „Aber was sind die anderen Faktoren, die beeinflussen können, wann und wie ein Erdbeben entsteht? Das ist der Punkt, an dem man beginnt, sich mit den Kontrollfaktoren zweiter Ordnung zu befassen, und das Klima ist offensichtlich einer davon.“
Angesichts des fortschreitenden Klimawandels mit zunehmenden Starkregenereignissen und heftigeren Schneefällen ist im Kontext dieser neuen Untersuchungen also auch vermehrt regional mit kleineren Erdbeben zu rechnen.