Aldi Shop & Go: So funktioniert der erste kassenlose Supermarkt von Aldi
Aldi hat in London-Greenwich den ersten kassenlosen Supermarkt unter dem Namen Shop & Go gestartet, dessen Planungen bereits im vergangenen Herbst publik geworden waren. Dabei handelt es sich um einen zum Aldi Local-Segment gehörenden Supermarkt mit 450 Quadratmetern Verkaufsfläche, der das dort übliche Food-Angebot bereithält, aber ohne die sonst in anderen Marktvarianten übliche Non-Food-Aktionsware auskommt. Das Unternehmen erklärt, dass es sich dabei um den größten rein kassenlosen Markt in Europa überhaupt handele.
Der Markt funktioniert auf Basis einer App und ermöglicht den Kund:innen den Einkauf mithilfe von technischer Erkennung der entnommenen Waren. Kund:innen betreten nach Download der dazugehörigen App und Registrierung mit Hinterlegung persönlicher Daten und Zahlungsdaten den Markt über eine Schranke, wählen die Produkte, die sie haben wollen, aus und können diese direkt einpacken. Sie verlassen am Schluss den Markt ohne einen expliziten Kassier- oder Scanvorgang. Das System erkennt dabei, welche Waren sie entnommen haben und rechnet diese entsprechend ab. Bezahlt wird ausschließlich über die hinterlegte Kreditkarte, den digitalen Kassenzettel gibt’s dann in der App.
Erkennung von Kund:in und Ware ausschließlich per Kamera
Dabei arbeitet die verwendete Shoplösung vom Cashless-Spezialisten Aifi rein auf Kamerabasis, anders als bei einigen Mitbewerbern, die zusätzlich Sensoren einsetzen. Eine große Herausforderung sind bei solchen Lösungen stets Datenschutzthemen. Anders als etwa bei der hybriden Rewe-Pick-&-Go-Lösung oder bei einigen Amazon-Supermärkten (hier gibt es neben den kleinen Amazon-Go-Stores mehrere Varianten) sind bei Aldi ausschließlich Kund:innen im Geschäft, die auf diese Weise einkaufen und sich vorher über die App registriert haben. Dabei kann das bei Aldi zum Einsatz kommende System auch im Rahmen von Group-Shopping Familien erkennen, also zuordnen, wem eine Ware abrechnungstechnisch zuzuordnen ist, wenn mehrere Familienmitglieder gemeinsam einkaufen.
Einkaufen können die Kund:innen dabei, indem sie einfach die Waren in eine mitgebrachte Einkaufstasche oder einen Rucksack packen – eine, wie Tester:innen berichten, ungewöhnliche Erfahrung, die zunächst aufgrund des gelernten menschlichen Verhaltens etwas Überwindung koste. Schwierig ist in vielen Fällen die korrekte Erkennung der Waren, etwa wenn unterschiedliche, aber ähnlich aussehende Sorten einer Ware unterschiedliche Preise haben. Hier erklärt das Unternehmen, dass dies in ihrem Fall aufgrund des vergleichsweise einfachen Sortiments kaum zu Problemen führe, beteuert aber, dass Kund:innen bei entsprechender Falschberechnung durch die App auch entsprechend zeitnah reklamieren oder stornieren können.
Diese Kulanz ist in der Tat eine Grundeigenschaft bei nahezu allen kassenlosen Supermarktsystemen – man will und muss zunächst Vertrauen bei der Kundschaft schaffen und lernt ohnehin durch jeden Fehler, den ein solches System macht. Keine Angaben macht Aldi dazu, wie man die Shop-and-Go-Variante im Vorfeld getestet hat. Eine landestypische Lösung kommt übrigens bei der Abgabe von altersbeschränkten Produkten wie alkoholischen Getränken zum Einsatz: Hier prüft eine Gesichtserkennung, ob der beziehungsweise die Einkaufende bereits 25 Jahre oder älter ist (Challenge 25). Alternativ kann man diese Prüfung aber auch über einen der Mitarbeitenden im Markt erledigen, was vor allem in Zweifelsfällen bei jünger aussehenden Kund:innen hilfreich ist.
Hoher Datenschutz soll Vertrauen schaffen
Generell arbeiten die Kameras, die für die Zuordnung der Personen und Waren zuständig sind, ohne eine spezifische Personalisierung, sodass bewusst keine biometrischen Daten der Kund:innen verarbeitet werden. Das bedeutet, dass der Kunde oder die Kundin nur als Person an sich erkannt wird und anhand seiner Bewegung im Markt abgerechnet wird. Auch erklärt das Unternehmen, dass man bei einem zweiten Besuch eine neue Session starte und die jeweiligen Sessions nicht zusammengeführt werden. So verzichtet Aldi darauf, hieraus entsprechende Schlüsse zu ziehen oder Konsumforschung zu betreiben. Aldi ist hier, wie auch andere Anbieter solcher Lösungen, extrem zurückhaltend. Genau genommen sind die technologischen Möglichkeiten hier in vielen herkömmlichen Supermärkten übergriffiger, was das Erkennen von Einkaufsvorlieben und die Auswertung des Kund:innenverhaltens betrifft.
Für Aldi ist die neue Technologie vor allem als zusätzliche zukunftsausgerichtete Form des Einkaufsmarkts interessant, aber bewusst kein Mittel, um Personal einzusparen. So erklärt ein Unternehmensvertreter, dass in der Filiale dieselbe Zahl an Mitarbeitenden zum Einsatz komme, wobei natürlich die Einsatzgebiete etwas anders sind. Man erwartet, dass insbesondere weniger technikaffine Kund:innen schon Fragen bezüglich des Einkaufsvorgangs haben werden oder dass es für die Verbraucher:innen zunächst ungewohnt ist, die Waren einfach aus dem Regal in den mitgebrachten Rucksack oder die Einkaufstasche zu packen.
Aldi arbeitet mit spezialisierten Startups zusammen
Das kassenlose Shoppingsystem in seiner Gesamtheit stammt vom Shopping-Technologie-Anbieter Aifi, der weltweit die Technologie anbietet, um bestehende Geschäfte kassenlos zu machen oder neue Stores zu designen, die auf kassenlose Technologie ausgerichtet sind. Das Unternehmen hat unter anderem für den französischen Retailer Carrefour und für die polnische Zappka-Gruppe entsprechende Stores entwickelt. Die App selbst, die unter iOS und Android funktioniert und in Großbritannien ausschließlich mit der dort am weitesten verbreiteten Kreditkarte abrechnet, stammt von der Osnabrücker Agentur Basecom, die auf Shopping- und Retail-Lösungen spezialisiert ist. Dahinter steht eine Spryker-Backend-Lösung. Die Altersfreigabe-Lösung (für Challenge-25-Produkte) stammt von Yoti.
Insgesamt ist Aldi bei den kassenlosen Supermärkten bei Weitem nicht die einzige Lebensmittelkette, die mit modernen Supermarktlösungen experimentiert. Hier konkurriert eine Vielzahl an Lösungen sehr unterschiedlicher Ausrichtung, die aber in eigentlich allen Fällen über einzelne Filialen und erste Gehversuche noch nicht hinausgekommen sind. Ein Teil der Lösungen funktioniert wie bei Amazon Go oder Rewe und basiert darauf, dass Kund:innen ihre Waren wie gewohnt in einem Geschäft auswählen und automatisiert beim Rausgehen abrechnen lassen. Ein anderer Lösungsansatz ist eine Art überdimensionaler Verkaufsautomat, bei dem über einen großen Touchscreen oder eine App die Waren ausgesucht und einem:r Kund:in zugeordnet, von einem Roboter zusammengestellt und dann nach Bezahlung an einem zentralen Abholpunkt bereitgestellt werden.
Aldi hat die Technologie aus Deutschland heraus entwickelt, ein Teil der IT in Mühlheim a.d.R. ist auch für den britischen Markt zuständig, wenn es sich um solche grundlegenden Technologie-Cases handelt. Ein Unternehmensvertreter erklärt, dass gerade die internationale IT, die in Deutschland angesiedelt ist, an vielen Stellen technologisch weit vorne ist und daher auch für IT-Mitarbeiter:innen spannende Herausforderungen biete, beispielsweise im Zusammenhang mit dem Ahead-Projekt, einer unternehmensübergreifenden Digitalisierungslösung, die eines der größten IT-Projekte der Firmengeschichte markiert. Gerne arbeite man auch mit Startups zusammen, die Kooperationen werden via innovation.aldi-sued.com koordiniert – Startups können hier eine Art Eigenbewerbung ausfüllen.
Aldi ist mit mehr als 920 Geschäften die fünftgrößte Supermarktkette in Großbritannien. Ob man die hier erprobte Technologie auch für deutsche Standorte plant, ist unklar – das Unternehmen macht hier erfahrungsgemäß erst Angaben, wenn es wirklich so weit ist.