Manchmal erweckt es den Eindruck, dass Amazon die schlechte Presse nur so anzieht. Erst in dieser Woche kam eine Meldung über unterschlagene Trinkgelder in den USA, jetzt folgt eine Meldung, die das Unternehmen im Hinblick auf die Überwachung der Mitarbeiter auch nicht sympathischer erscheinen lässt: So plant der Digitalkonzern, seine Lieferwagen mit Überwachungskameras auszustatten, die mit künstlicher Intelligenz arbeiten sollen. Offiziell heißt es, die Kameras sollen die Sicherheit verbessern, aber gleichzeitig wirft eine solche Maßnahme natürlich Fragen zum Datenschutz und zur Privatsphäre auf. Geplant ist all das daher erst einmal in den USA; wann und ob deutsche Fahrzeuge folgen sollen, ist unbekannt (deren Fahrer lassen sich ja den Empfang von Paketen außerhalb von Coronazeiten sogar noch auf Papier und nicht per Handheld bestätigen).
Lehrvideo zeigt die Funktionsweise der Kameraüberwachung
Bekannt wurden die Pläne der Logistiksparte von Amazon, als das Unternehmen ein Lehrvideo veröffentlichte, in dem den Vertragspartnern, die für Amazon die Wagen betreiben, die neuen Kameras erklärt wurden. In dem Video, das via Vimeo frei zugänglich ist und von Amazon DSP selbst veröffentlicht wurde, zeigt das Unternehmen, wie die Kamera auf der Basis künstlicher Intelligenz leichtsinniges Verhalten von Fahrern erkennen soll und entsprechende gesprochene Warnhinweise aussprechen kann. Man suche stets nach Wegen, das Fahrerlebnis für die Fahrer zu verbessern und die Sicherheit der Fahrer zu erhalten, erklärt eine Unternehmenssprecherin in dem Video.
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Amazon setzt hier auf eine Sicherheitstechnik des kalifornischen Startups Netradyne namens Driver-i – ein kleines Gerät, das am Innenspiegel des Fahrzeugs fest gemacht wird und mit vier HD-Kameras (in Richtung Straße, Fahrer und zweimal seitlich) ausgestattet ist. Eine Kamera filmt dabei den Fahrer permanent, sobald zwei LEDs leuchten. Das Gerät protokolliert neben dem Verhalten des Fahrers auch den Verkehr und kann im Falle eines Unfalls beispielsweise auch dazu beitragen, den Unfallhergang zu rekonstruieren – das kann für oder gegen den Fahrer des Zustellfahrzeugs genutzt werden. Immerhin soll das Gerät nicht den Ton in der Kabine aufzeichnen oder das Kamerabild in Echtzeit in eine Zentrale übertragen (sprich: keine Lifeview-Funktionalität).
Protokolliert werden dabei insgesamt 16 Ereignisse wie abruptes Bremsen, starkes Beschleunigen, zu schnelles Fahren, aber auch Überfahren eines Stoppschildes oder einer Ampel und zu enges Auffahren. In einigen Fällen reagiert das Gerät mit einem gesprochenen Hinweis an den Fahrer, in anderen Fällen werden die Ereignisse nur protokolliert. Zusätzlich kann der Fahrer selbst kritische Situationen für Beweiszwecke aufzeichnen lassen, beispielsweise wenn eine Zufahrt versperrt ist. Inwieweit die Warnungen an den Fahrer gleichzeitig eine Benachrichtigung der Basis auslösen, dazu macht Amazon in dem Video keine Angaben.
Amazon-Überwachung: Geräte schneiden permanent Daten mit
Zwar schneiden die Geräte permanent Daten mit, laden diese aber erst auf Betreiben des Fahrers oder wenn es zu einem ungeplanten Ereignis gekommen ist, hoch. Amazon versichert, dass nur speziell autorisierte Arbeitskräfte Zugriff auf die Daten haben, auch eine permanente Echtzeitüberwachung sei nicht möglich, beruhigt die Sprecherin die Fahrer und die Betreiber der Lieferfahrzeuge. Das Material soll aber für Nachschulungen genutzt werden, heißt es. Immerhin soll es eine Möglichkeit geben, dass Fahrer während einer Pause, die sie im Wagen verbringen, die Kamera komplett deaktivieren können.
Natürlich ermöglicht die Technik auch, dass der Fahrer beispielsweise entlastet wird, wenn ihn ein anderes Fahrzeug schneidet; unterm Strich ist die Technologie aber erst einmal eine Möglichkeit für Amazon, die Wagen und die Fahrer mehr oder weniger flächendeckend zu überwachen. Das Video betrifft erst einmal nur Lieferfahrzeuge in den USA, eine Einführung in Deutschland könnte in dieser Form an deutschem Arbeitsrecht scheitern – sicher ist das aber nicht.
t3n meint:
Ob eine solche doch recht weitreichende Überwachung aber nicht doch auch bei uns denkbar ist, bleibt unklar. Denn einige einschränkende Maßnahmen, die die Privatsphäre der Fahrer betreffen, sind ja durchaus angedacht. Was bleibt, ist aber dennoch ein mieses Gefühl und die permanente Angst, kontrolliert zu werden. Hinzu kommt, dass gerade der immense Zeitdruck, dem sämtliche Fahrer (egal, bei welchem Logistiker) unterliegen, zu offiziellem Fehlverhalten führen könnte – dass dann im schlimmsten Fall geahndet werden kann.
Tobias Weidemann