Andreas Dittes von Talentwunder: „Wir stellen das Recruiting auf den Kopf“

(Foto: Andreas Dittes/Facebook)
Ein Talentwunder gegen den Talentkrieg
Es ist doch echt zum Mäusemelken: Der seit Jahren in Deutschland grassierende Fachkräftemangel hat sich auch in diesem Jahr weiter verschärft. Wie eine Studie von Manpower ergab, klagt mit 46 Prozent knapp jedes zweite Unternehmen über akute Personalnot. Zum Vergleich: Das sind sechs Prozentpunkte mehr als 2014. Mit Talentwunder hat Andreas Dittes vor anderthalb Jahren eine datengestützte Recruiting-Plattform gegründet, die das ändern soll.
Über 1.000 registrierte Personaler und Konzerne wie beispielsweise Swisscom nutzen die Plattform des siebenköpfigen Startups schon, um leichter an junge und talentierte Fachkräfte zu kommen. Im Interview mit t3n spricht Gründer und CEO Andreas Dittes über die Idee hinter der Plattform, warum Facebook-Profilbilder ein Indiz für einen Jobwechsel sind und welche Herausforderungen Arbeitgeber noch meistern müssen, um im War for Talents das Oberwasser zu behalten.
t3n: Andreas, du hast im letzten Jahr eine Plattform namens Talentwunder gegründet. Was steckt dahinter?
Andreas Dittes: Die Idee von Talentwunder ist es, das Recruiting auf den Kopf zu stellen. Statt bloß auf Bewerbungen zu warten, können sich Arbeitgeber über unsere Plattform quasi bei dir als Fachkraft bewerben. Das ist vor allen in Bereichen wichtig, wo klassische Stellenanzeigen nicht mehr weiterhelfen.
t3n: Wo ist dies denn der Fall?
Dittes: Vor allem in der Software-Entwicklung. Wenn man als Unternehmen in Berlin beispielsweise zehn JavaScript-Entwickler sucht, benötigt man in der Regel drei bis vier Monate, um überhaupt ein paar Kandidaten zusammenzukratzen. Dieses Problem wollen wir lösen.
t3n: Und wie?
Dittes: Wir haben festgestellt, dass etwa 90 Prozent der Menschen bis 50 Jahre in sozialen Netzwerken aktiv sind und dementsprechend als Zielgruppe für talentsuchende Arbeitgeber infrage kommen. Zum einen wird natürlich Facebook genutzt, zum anderen sind aber auch Netzwerke wie Xing und LinkedIn relevant. Auch Plattformen wie Stackoverflow oder Github werten wir aus. Überall dort also, wo Talente ihre Arbeitswelt abbilden oder Fragen zu ihrem Job stellen. Aktuell haben wir so über 1,1 Milliarden Profile aggregiert und wahrscheinlich die größte Recruiting-Datenbank der Welt aufgebaut. Was wir mit Talentwunder machen ist, dass wir die einzelnen Daten aus den Netzwerken aggregieren und so herausfiltern, dass wir Arbeitgeber mit jobrelevanten Daten über geeignet erscheinende Mitarbeiter versorgen können.„Mit 1,1 Milliarden Profilen haben wir die wahrscheinlich größte Recruiting-Datenbank der Welt aufgebaut.“
t3n: Welche Erkenntnisse können Personaler über Talentwunder gewinnen?
Dittes: Angenommen du suchst als Arbeitgeber nach einem PHP-Entwickler. Über unsere Plattform kannst du jetzt eine Suchabfrage starten – entweder weltweit oder lokal begrenzt auf eine Stadt oder einen Ort. Je nach gewähltem Filter zeigen wir dir anschließend alle geeigneten PHP-Entwickler gelistet nach ihrer Wechselwahrscheinlichkeit an. Das können wir auf Basis der Angaben in den Social-Media-Profilen relativ gut berechnen.

Mit Talentwunder sollen Unternehmen leichter an Fachkräfte kommen. (Screenshot: t3n)
t3n: Ihr erstellt also eine Art Score, wie zufrieden oder unzufrieden ich mit meinem Job bin …
Dittes: Genau. Wir schauen uns zum Beispiel an, wie lange die gesuchte Person schon in ihrem derzeitigen Arbeitsverhältnis ist, wie lange sie früher bei anderen Arbeitgebern beschäftigt war und ob sie bei einem Unternehmen ist, bei dem man typischerweise sehr lange oder sehr kurz beschäftigt ist. Bei Firmen wie Bosch arbeitet man als Angestellter durchschnittlich fünf bis sieben Jahre. Bei einem Internetunternehmen hingegen vielleicht gerade mal anderthalb Jahre. Aber auch das Profilfoto kann Aufschluss über die Wechselwilligkeit einer Fachkraft geben.
t3n: Das Profilbild!?
Dittes: Ja. Wer auf Xing oder LinkedIn ein neues Profilbild hochlädt, macht sich in der Regel hübsch für einen neuen Job. Das ist eines der stärksten Signale für Recruiter, dass eine Person offen für eine neue Herausforderung ist. Vereinfacht gesagt kann man sich das so vorstellen, dass die Person Montag früh zur Arbeit geht und sich denkt: „Was für ein scheiß Job!“. Jetzt muss man unterscheiden zwischen den Mitarbeitern, die aktiv oder passiv suchen. Die Aktiven gehen auf Monster oder Jobware, die Passiven überarbeiten ihr Social-Media-Profil. An die gehen wir ran.„Die Person geht Montags zur Arbeit geht und denkt sich: „Was für ein scheiß Job!“
t3n: Sicher hörst du diese Frage nicht zum ersten Mal, aber: Wie gewährleistet ihr den Datenschutz?
Dittes: Also grundsätzlich sind alle Daten, die wir über Talentwunder aggregieren, auswerten und an Arbeitgeber vermitteln, öffentlich im Netz verfügbar. Natürlich halten wir uns an die üblichen in Deutschland und Europa geltenden Datenschutzgesetze. Unsere eigenen Kundenaktivitäten sind beispielsweise auf Servern in Frankfurt gespeichert.
t3n: Okay, und wie verdient ihr Geld?
Dittes: Unser Geschäftsmodell funktioniert praktisch wie eine Art Flatrate. Recruiter, Personalberatungen oder ganze Konzerne können sich wahlweise auf Monats- oder Jahresbasis einen Zugang zu unserem Talentpool verschaffen und dann unbegrenzt viele Suchabfragen durchführen. Wer Talentwunder flexibel auf Monatsbasis nutzen will, zahlt 399 Euro, für die einjährige Laufzeit werden hingegen 3.999 Euro fällig.
t3n: Was sind die größten Herausforderungen, die Unternehmen angesichts des Fachkräftemangels bewerkstelligen müssen?
Dittes: Ach, der Fachkräftemangel ist gar nicht das größte Problem. Problematisch ist vor allem die sogenannte Fachkräftelücke, also die jährliche Differenz zwischen Absolventen aus den Universitäten und neuen Stellenausschreibungen bei den Unternehmen. Die liegt aktuell bei circa 52.000 und addiert sich jedes Jahr auf. Unternehmen müssen sich gut überlegen, wie sie damit umgehen. Man kann natürlich einfach dort einen zusätzlichen Standort eröffnen, wo es die Talente noch gibt, die ich erreichen will oder ich rekrutiere global statt lokal. Generell müssen Unternehmen aber auch flexibler werden.
t3n: Was bedeutet das?
Dittes: Es gibt inzwischen immer mehr, sehr gut ausgebildete Software-Entwickler, die sagen: Ja, ich hätte eigentlich schon Lust auf einen neuen Arbeitgeber. Ich möchte aber nur vier Tage in der Woche arbeiten. Das ist gerade im Mittelstand oder bei Konzernen ein Problem. Deren Arbeitsverträge sehen halt vor, dass man fünf Tage, 40 Stunden und „9 to 5“ zu arbeiten hat. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Die Flexibilität im Digitalzeitalter schließt übrigens auch neue Arbeitsmodelle wie Job-Sharing oder ein vorübergehendes Sabbatical ein. Gerade junge Generation will nicht mehr möglichst lange für möglichst viel Geld arbeiten, sondern sich mit einem Job auch ein Stück Lebensqualität sichern.„Arbeitsverträge sehen vor, dass man fünf Tage, 40 Stunden und „9 to 5“ zu arbeiten hat. Das ist nicht mehr zeitgemäß.“
t3n: Wie sehen deine weiteren Pläne mit Talentwunder aus?
Dittes: Über die Berechnung der Wechselwahrscheinlichkeit eines Bewerbers hinaus werden ganzheitliche Persönlichkeitsanalysen der nächste große Schritt sein. Das finden wir extrem spannend und schließt die tiefergehende Nutzung von Netzwerkdaten mit ein. Damit können wir das Recruiting für einen typischen deutschen Mittelstand sehr vereinfachen.
t3n: Hast Du noch ein Beispiel?
Solche Firmen sitzen nämlich nicht in Berlin, sondern in Paderborn. Das erschwert die Suche nach Fachkräften zusätzlich. Mit einer Persönlichkeitsanalyse können Arbeitgeber dann zum Beispiel herausfinden, ob ein möglicher Bewerber irgendwelche Beziehungen zu Paderborn hat, weil er dort aufgewachsen ist oder seine Freunde und Familie dort leben. So können Recruiter herausfinden, wie sinnvoll die Kontaktierung eines Bewerbers überhaupt ist. Je mehr man vorher über einen Bewerber weiß, desto besser. Vielleicht kann man auf Vorstellungsgespräche in Zukunft sogar ganz verzichten.
Das System ist ziemlicher Bullshit.
Ich bin derzeit auf der Suche nach nem Job und erfülle kaum eine dieser Kriterien, nach denen die bei Google+, Xing, Facebook und whatever suchen. Man kann sich nicht mal als williger Arbeitnehmer registrieren.
Stattdessen verkaufen die Zugang zu Leuten, die sie aus frei verfügbaren Quellen abgefischt haben und die dann mit Jobspam zubombardiert werden, ohne dass sie das vielleicht wollen?