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MIT Technology Review Interview

Augmented-Reality-Künstler: „Es wird Schichten von Realität geben, zwischen denen wir navigieren“

Der Designer Keiichi Matsuda hat mit Hyper-Reality vor einigen Jahren einen eindrucksvollen, dystopischen Kurzfilm über die Zukunft der erweiterten Realität geschaffen. Er wirkt fast wie ein Blick in die Glaskugel.

Von Wolfgang Stieler
8 Min.
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XR überlagert die Realität mit zusätzlichen Informationen. Das kann ganz schön bunt werden, wie diese Szenen aus Hyper-Reality zeigen. (Screenshot: Hyper-Reality / Keiichi Matsuda Ltd.)

Keiichi Matsuda hat eigentlich Architektur studiert, bezeichnet sich selbst aber als „kritischen Designer“, der mit seiner Arbeit versucht, den Einfluss neuer Technologien auf unser alltägliches Leben erfahrbar zu machen. International bekannt wurde Matsuda durch den Kurzfilm Hyper-Reality, der unter anderem im New Yorker MoMA gezeigt wurde. 2021 gründete er sein Design-Studio Liquid City.

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Dieses Interview ist zuerst in der Ausgabe 7/2023 von MIT Technology Review erschienen. Darin beschäftigten wir uns mit dem Markt für Augmented- und Virtual-Reality. Hier könnt ihr die TR 1/2025 bestellen.

MIT Technology Review (TR): Es ist jetzt etwa zehn Jahre her, dass Sie mit Hyper-Reality Ihre Vision von erweiterter Realität veröffentlicht haben. Sie zeigen prekäres Gig-Working, Gamification, gezielte, ortsabhängige Werbung und sogar einen KI-Agenten für den Benutzersupport. Hatten Sie eine Kristallkugel?

Keiichi Matsuda

Mit seinen multimedialen Arbeiten will der Designer Keiichi Matsuda zeigen, welche Auswirkungen neue Technologien auf das tägliche Leben haben können.
(Foto: Getty Images Entertainment / Getty)

Keiichi Matsuda: Wenn wir über neue Technologien nachdenken, neigen wir dazu, sie isoliert voneinander zu betrachten. Wir denken vielleicht über die Zukunft der Künstlichen Intelligenz, die Zukunft der Arbeit, die Zukunft der Städte, die Zukunft des Verkehrs, die Zukunft der Sprache nach. Für mich ist es beinahe eine Pflicht, über all diese Dinge gleichzeitig nachzudenken.

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Für Hyper-Reality haben wir eine Menge Ideen zusammengeführt, sodass wir wirklich ganzheitlich erfahren konnten, wie sich die Zukunft aus der Perspektive eines ganz normalen Menschen anfühlt, der in einer normalen Stadt lebt.

TR: Was dachten Sie, als Sie das erste Mal hörten, dass diese Idee mit der Apple Vision Pro nun Wirklichkeit werden könnte?

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Matsuda: Die Qualität und die Benutzerfreundlichkeit, die Apple bietet, sind großartig. Das ist etwas, das meiner Meinung nach bisher ein wenig vernachlässigt wurde – vielleicht waren die Menschen, die in der Technologiebranche arbeiten, zu lange bereit, ein geringeres Maß an Qualität bei der Hardware zu akzeptieren. Es ist also sehr aufregend für die Branche, dass Apple in diesen Bereich einsteigt.

TR: Wird Spatial Computing, als die Zusammenführung von realer und digitaler Welt, die bisher bekannte digitale Welt kurzfristig ersetzen?

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Matsuda: Ich denke, die Software-Schnittstellen, die wir gewohnt sind, sind bereits äußerst effizient und produktiv. Die Software, die ich auf meinem Laptop habe, ist extrem leistungsfähig. Sie ermöglicht es mir, Aufgaben zu erledigen, die ich mir vorher nicht hätte vorstellen können. Und ich kann ihn überall nutzen. Ich denke also nicht, dass wir bestimmte Technologien kurzfristig als Ersatz für die vorhandenen Geräte betrachten sollten. Steve Jobs hat mal gesagt, der PC sei ein „Fahrrad für den Verstand“. Aber ein Fahrrad kann uns nicht nur schneller ans Ziel bringen, sondern auch an Orte, die wir bisher nicht erreichen konnten.

Ich persönlich komme ja aus der Architektur. Ich habe mich immer sehr dafür interessiert, wie es sich anfühlt, eine neue Umgebung wirklich zu betreten und nicht nur zweidimensional auf einem Bildschirm zu betrachten. Ich hatte das Gefühl, dass der Raum so zu etwas Plastischem werden könnte, mit der Möglichkeit, ihn zu formen.

TR: Ich glaube, ich habe zum ersten Mal in einem William-Gibson-Roman von virtuellen Kunstwerken gelesen, die in Städten aufgestellt werden. Eine faszinierende Idee. Aber das ist nur sinnvoll, wenn jeder, der eine XR-Brille trägt, sie auch sehen kann. Unabhängig von der App, die darauf gerade läuft.

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Matsuda: Es besteht die Möglichkeit, dass jeder, der eine AR– oder XR-Brille trägt, eine völlig andere Realität sieht. Das ist vielleicht für einige Menschen die bevorzugte Lösung. Ich glaube aber nicht, dass die Antwort darin besteht, die Menschen noch tiefer in ihre eigenen Filterblasen zu führen. Denn das bedeutet, dass man sich die Chance entgehen lässt, dass diese Technologien uns näher zusammenbringen. Es geht also immer um die Frage, wie wir Systeme schaffen können, die inklusiver sind.

Ich habe in frühen Krypto-Chats gelesen, dass Leute darüber nachdenken, virtuelles Land zu parzellieren und es zu verkaufen. Aber ich denke, das ist kein gutes Ergebnis, weil es keine Garantie dafür gibt, dass der Besitzer eines bestimmten Stücks Land das Beste für die Menschen will, die dort leben.

Ein anderes Extrem wäre eine Realität, in der die KI alles kontrolliert, was Sie sehen, auf der Grundlage Ihres Geschmacks und Ihrer Vorlieben, Ihres Benutzerprofils und Ihres sozialen Graphen. Eine völlig maßgeschneiderte Realität für Sie konstruiert, die nur von einer Person bewohnt wird. Es gibt aber auch die Idee einer erzwungenen gemeinsamen Realität, bei der man zum Beispiel eine Reihe von Regeln aufstellen könnte, die im Idealfall zu einem guten Ergebnis für alle führen sollten.

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TR: Was wären das für Regeln?

Matsuda: Man könnte festlegen, dass es keine Alltagsobjekte wie Teetassen von der Größe Manhattans geben darf, die den virtuellen Raum komplett besetzen. Es kann Regeln für die Interaktion geben, die nur bestimmte Aktionen erlauben. Es könnte aber auch möglich sein, ein System zum Hoch- oder Herunterstufen von Inhalten zu verwenden, um zu bestimmen, welche Dinge in dieser Welt am meisten geschätzt werden. Vielleicht schließen wir uns aber auch in Stämmen mit gemeinsamen Interessen zusammen. Dann gibt es verschiedene Schichten von Realität, zwischen denen man navigieren kann. Man kann sich sogar einen zukünftigen virtuellen Tourismus vorstellen.

Wir haben letztes Jahr in Zusammenarbeit mit Niantic (AR Game Studio, das durch Pokemon Go bekannt wurde) ein Experiment zu diesen verschiedenen Organisationsmodellen durchgeführt. Wir nannten es „Stories for the Real World Metaverse“. Da gibt es vier Szenarien, die zeigen, wie das Leben in so einer Stadt aussehen könnte. In einer Story bestimmt allein der Grundstücksbesitzer, was alle, die an seiner Hausfassade vorbeigehen, in XR sehen. Die Ladengeschäfte sehen also sehr bunt und attraktiv aus, aber es gibt auch Ecken, die haben keinen Besitzer. Die sind schäbig, und niemand kann etwas daran ändern. Außerdem sind die Anwohner der Straße unzufrieden, weil niemand außer den Ladenbesitzern bestimmen kann, wie die Straße aussehen soll. Sie tun sich zusammen und setzen eine Art Community-Fest durch, bei dem sie ihre Straße selbst mit bunten Masken und Dekorationen schmücken.

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„Es besteht die Möglichkeit, dass jeder, der eine AR- oder XR-Brille trägt, eine völlig andere Realität sieht.“

TR: Sind Sie also eher optimistisch oder pessimistisch, was die möglichen Auswirkungen der erweiterten Realität angeht?

Matsuda: Ich versuche immer, ein Gleichgewicht zu finden. Ich möchte keine reine Dystopie erschaffen, in der nichts wertvoll ist, weil ich nicht glaube, dass das glaubwürdig ist. Und auf der anderen Seite möchte ich nichts schaffen, das nur optimistisch ist und die Augen vor den Gefahren verschließt, die so offensichtlich sind.

Es gibt eine Tendenz, jede neue Technologie als eine Art Bedrohung oder Gefahr zu sehen. Ich denke, es ist wichtig, wachsam zu sein, wenn es darum geht, inwieweit wir uns diese Technologien zu eigen machen wollen. Aber ich glaube auch, dass es noch einen großen Spielraum gibt, wie sie eingesetzt werden können. Es gibt so viele mögliche Zukunftsperspektiven für diese Technologien.

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Anstatt zu versuchen, jetzt zu entscheiden, wie diese Zukunft aussieht und ob wir sie wollen oder nicht, denke ich, dass es an uns liegt – besonders an den Menschen, die in diesem Bereich arbeiten – ihren Geist für diese Möglichkeiten zu öffnen. Denn wenn sie das nicht tun, werden wir mit den langweiligsten und am meisten produktivitätsorientierten, ausbeuterischen und konsumorientierten Versionen dieser Technologie enden.

Screenshot aus dem Film Hyper-Reality

Werbung in XR könnte sich als extrem aufdringlich erweisen. (Screenshots: Hyper-Reality / Keiichi Matsuda Ltd.)

TR: Ihr Film Merger stammt von 2018. Mittlerweile haben Sie Ihr eigenes Studio. Haben Sie noch Zeit, weitere Filme zu produzieren?

Matsuda: Es ist lustig, dass Sie fragen. Kurz vor diesem Interview habe ich einen Trailer für einen neuen Kurzfilm geschnitten, der in den nächsten Wochen erscheinen wird. Hyper-Reality hat drei Jahre lang einen Großteil meiner wachen Zeit in Anspruch genommen. Diesen Luxus habe ich jetzt nicht mehr, weil ich mehrere verschiedene Projekte durchführen muss. Dieser neue Film ist also in gewisser Weise nicht so visuell spektakulär.

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TR: Worum wird es in diesem Film gehen?

Matsuda: Merger war ein Film über eine KI, die man sich in ihrer Komplexität und ihrem Ausmaß kaum vorstellen kann und die all die verschiedenen Dinge beeinflusst, die wir in unserem Leben tun.

Agents, mein Film aus 2023, ist fast das Gegenteil davon: Die Welt ist voll von diesen kleinen Geistern oder Dämonen, die von jedem erschaffen werden und die unter uns leben. Ich versuche, eine Vision zu skizzieren, wie wir KI nicht als einen allmächtigen Angriff auf das Menschsein betrachten können, sondern als eine Art belebte Geisterwelt, die es uns ermöglicht, miteinander und mit der Technologie auf eine Weise zu kommunizieren, die sich sehr, sehr natürlich und sogar niedlich anfühlt.

TR: Das klingt sehr japanisch. Ich habe einen frühen Aufsatz von Ihnen gelesen, in dem Sie über Naturgeister in Japan und virtuelle Realität geschrieben haben.

Matsuda: Merger beruht im Grunde auf der Idee einer KI als allmächtigem Gott. Eine Idee, die ich sehr westlich finde. Ich wollte also einen Kontrast, eine Alternative dazu finden, indem ich über Animismus oder japanischen Shinto als eine Art andere Seite der Medaille nachdachte, wo KI-Agenten, autonome, kleine Programme, nicht allmächtig sind und nicht allwissend. Sie können dumm sein, sie können verspielt sein, sie können gutartig sein, sie können hilfreich sein oder sie können bösartig sein.

Designer sind von der Idee mentaler Modelle besessen. Wir versuchen immer, neue und ungewohnte Technologien mit vertrauten Vorgehensweisen zu verbinden. Wenn man an das römische oder griechische Pantheon denkt, wo es verschiedene Götter für verschiedene Zwecke gab, dann ist das nicht mehr weit entfernt von einem App-Store. Aber in diesem Fall sind wir nicht nur Konsumenten, sondern wir können auch unsere eigenen Agenten erstellen. Wir können sie mit anderen Leuten teilen, und wenn der Agent, den ich erstellt habe, besser ist als der, den meine Toaster-Marke erstellt hat, dann kann man ihn vielleicht austauschen, oder?

TR: Mit Ihrem Studio entwickeln Sie AR-Spiele für Smartphones. Glauben Sie, dass das eine Zukunft hat, wenn gute XR-Brillen auf den Markt kommen?

Matsuda: So ziemlich jeder, der AR für Smartphones entwickelt, träumt von dem Tag, an dem wir leichte AR-Headsets mit fantastischen Displays und extrem langer Akkulaufzeit haben werden. Die Technologie, die wir entwickeln, ist nicht unbedingt für ein bestimmtes Gerät gedacht. Der Traum ist, dass man etwas erschaffen kann, das eine andere Realitätsebene darstellt, die man dann aber mit jedem beliebigen Gerät erleben kann.

Das Gerät könnte sehr leistungsstark sein, wie eine AR-Brille, ein Helm oder ein Visor. Es könnte aber auch etwas viel Leichteres sein, sogar ein Kopfhörer, mit dem man in diese Welt hineinhören kann, ohne sie mit den eigenen Augen zu sehen. Ich denke, es gibt viele verschiedene Arten von Zugang zu diesen Welten, und es ist für mich weniger wichtig, welche man benutzt, um in diese Welten zu gelangen. Für mich ist es interessanter, warum ich versuche, Zugang zu dieser Welt zu bekommen. Was ist in dieser Welt, was bietet sie mir, wie interagiere ich mit ihr und welche Spuren hinterlässt sie auch in der physischen Welt?

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