Autonome im Stress: So werden Fahrassistenzsysteme getestet
Entspannt folgt der Mercedes einem Kia in Autobahntempo. In ausreichendem Abstand. Die Passagiere unterhalten sich, hören Musik, sind abgelenkt. Plötzlich drängelt sich ein Ford Fiesta in die vorher große Lücke – und bremst.
Der Mercedes fängt an zu piepen und legt kurz darauf automatisch eine Vollbremsung hin – ohne, dass der Fahrer das Bremspedal berührt hat.
Die Passagiere rucken nach vorne, Gurte halten ihre Körper fest. Nur wenige Zentimeter vor dem Fiesta kommt der Mercedes zum Stehen. Das ist eine unangenehme Situation, die täglich passieren kann. Hier war es nur ein Versuch auf einem Testgelände. Test bestanden.
Situationen gefahrlos nachstellen mit weichen Hindernissen
Der Fiesta als Ziel-Fahrzeug ist ein GST, ein „Guided Soft Target“. Er besteht nur aus einer weißen Hülle in Form des Kleinwagens auf einer ferngesteuerten Plattform mit vier Rädern.
Auf dem 265 Hektar großen Areal des Test- und Prüfgeländes AVL Zalazone in Ungarn lassen sich auf einem Autobahnabschnitt, einem Hochgeschwindigkeitsoval und einem Handlingkurs unter anderem Fahrassistenz- und autonome Systeme kontrollieren.
Für künftige Tests kommt eine 15 Hektar große Smart-City-Zone hinzu – für Szenarien in der Stadt. „Solche Versuche lassen sich nicht sicher und reproduzierbar im öffentlichen Straßenverkehr überprüfen, dafür benötigen wir eine abgesperrte Strecke“, sagt Robert Matawa, Leiter Testing hochautomatisiertes Fahren bei Tüv Süd.
Das Gelände liegt rund 50 Kilometer vom Plattensee entfernt und wird von einem österreichisch-ungarischen Joint Venture betrieben.
Automatisiertes Fahren – erst Prüfgelände, dann Straße
„Diese Versuche sind ungefährlich, und wir können sie wieder und wieder durchführen, mit den exakt gleichen Geschwindigkeiten“, sagt Alexander Kraus. Der Leiter der Technologieabteilung vom Tüv Süd entwickelt mit einem Team Prüfmethoden für Level-3- und Level-4-Systeme. Dazu zählen Assistenzsysteme, mit denen Autos automatisiert, also selbstständig, fahren können.
Aber auch bisherige Systeme nach Level 2, beispielsweise der Notbremsassistent, werden überprüft. Dieser kann in Verbindung mit einer aktiven Geschwindigkeitsregelung das Auto selbstständig beschleunigen und bremsen. Damit die Hersteller die Zulassung dafür erhalten und die Systeme verkaufen können, muss eine Prüfgesellschaft diese kontrollieren und freigeben.
Rollende Testlabore
Im Mercedes sitzen Prüfer und kontrollieren gerade die aktiven Assistenzsysteme. Gespickt mit zusätzlichen Monitoren, Schaltern und Kabeln im Fußraum, wird das Auto zum rollenden Testlabor.
Damit die Autos immer die gleiche Geschwindigkeit fahren, aktiviert der Ingenieur vor der Fahrt einen Fahrpiloten. Ähnlich einem Roboter übernimmt das System die Kontrolle auf dem kurzen Stück und beschleunigt auf Autobahntempo.
Dank auf zwei Zentimeter genauen digitalen Karten fährt der Kia als Traffic Simulation Vehicle (TSV) die Strecke entlang, dicht dahinter folgt der Mercedes. Erst als der Kia davonzieht, schert von rechts der Fiesta ein und bremst den Mercedes aus. Die Insassen müssen dem Auto vertrauen, dass es rechtzeitig bremst – ein ungewohntes und unangenehmes Gefühl.
Der Versuch lief gut – noch einmal
Nach der Vollbremsung speichert der Computer die Daten im Mercedes. Ingenieur Robert Matawa fährt von der Strecke, startet das System neu und beginnt einen weiteren Versuch.
„Wir müssen sicherstellen, dass die Systeme einwandfrei und zuverlässig funktionieren, daher überprüfen wir sie mehrmals“, sagt er. Denn ein Notbremsassistent darf nie ausfallen. Für die unabhängigen Versuche mietet sich die Prüfgesellschaft die Fahrzeuge von einer Autovermietung.
Bei künftigen Systemen zum autonomen Fahren wird der Testaufwand erheblich steigen. Die Prüfer müssen weiterhin sicherstellen, dass das Fahrzeug nach den vorgeschriebenen Richtlinien immer einwandfrei funktioniert. Nur, dass die Systeme zunehmend komplexer arbeiten.
Dafür begleitet der Tüv Süd die Entwicklung der Hersteller, die sie damit beauftragen, kontrolliert frühzeitig die Software, simuliert sie und entwickelt daraus eigene Tests und Szenarien in allen erdenkbaren Verkehrs- und Alltagssituationen für die Praxis.
Erst wenn die simulierten Tests erfolgreich sind, geht es auf die Prüfstrecke wie in Ungarn. „Wir beraten Autohersteller nicht, sondern prüfen als unabhängige Dienstleister deren Systeme auf Funktion und Zuverlässigkeit. Wir betreiben reine technische Kontrolle“, stellt Alexander Kraus klar.
Automatisiertes Fahren – wie klappt es im Alltagsverkehr?
In der Smart-City sollen künftig Autos den Alltagsverkehr simulieren, bei jedem Wetter. Denn ganz gleich, ob bei Regen, Nebel oder Schneefall: Die Sicherheitssysteme müssen entweder zuverlässig arbeiten oder die Lenkarbeit wieder an den Fahrer zurückgeben. Andernfalls bleiben die Autos im Regen oder Schnee einfach stehen.
Bislang konnten solche Versuche nur simuliert, nicht aber praktisch geprüft werden. Dennoch sei eine Simulation wichtig. „Ergebnisse aus der Simulation lassen sich schneller entwickeln“, sagt Alexander Kraus. Sie könnten dann über Software-Updates direkt in Autos übertragen und kontrolliert werden. „So lassen sich der Fahrversuch schneller starten und die Systeme freigeben“, sagt er.
In der Vergangenheit entwickelten Autohersteller neue Technologien schneller, als Prüforganisationen sie auf Sicherheit testen und freigeben konnten. Gesetzliche Regularien hinken daher oft hinter den technischen Möglichkeiten hinterher – weltweit.
Die ersten Autos legen automatisch los
Dass das durchaus schnell klappen kann, hat Mercedes-Benz vor ein paar Monaten gezeigt. Einige Fahrzeuge dürfen teilautonom nach Level 3 fahren. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) hat dem Hersteller dafür die Systemgenehmigung für Deutschland erteilt. Mit dem sogenannten Stauassistenten folgen solche Autos dann bis zu einer Geschwindigkeit von 60 Kilometern pro Stunde einem vorausfahrenden Fahrzeug und lenken und bremsen dabei selbstständig.
Bald soll noch mehr möglich sein: Nach einem vor einigen Wochen getroffenen Beschluss der UNECE, dem Weltforum für die Harmonisierung von Fahrzeugvorschriften der UN-Wirtschaftskommission, wird die Höchstgeschwindigkeit bei autonomem Fahren in bestimmten Verkehrssituationen von 60 auf 130 Kilometer pro Stunde angehoben. Auch Spurwechsel sollen erlaubt werden. Nach Angaben der UNECE von Ende Juni hat die EU die Umsetzung bereits angekündigt. Dafür müssen nationale Bestimmungen angepasst werden.
Das Einsatzgebiet bleibt aber vorerst beschränkt: Die neuen Regeln gelten nur auf Straßen, die von Fußgängern und Radfahrern nicht benutzt werden dürfen – also etwa Autobahnen.
Stufen des autonomen Fahrens
Laut SAE, einer Organisation für Technik und Wissenschaft, die sich dem Fortschritt der Mobilitätstechnologie widmet, werden Fahrzeuge in fünf verschiedene Level eingeteilt. Ganz autonom fahrende Fahrzeuge sind Autos nach Level 5. Sie verzichten auf Lenkrad und Pedale. In diesen Roboterfahrzeugen gibt es keinen Fahrer.
Bei Fahrzeugen zwischen Level 0 und Level 4 muss der Fahrer ins Lenkrad greifen, entweder immer (bis Level 2) oder zeitweise (Level 3 und 4) – wenn die verschiedenen Assistenzsysteme aus Verkehrs- oder Witterungsgründen nicht mehr automatisch ins Geschehen eingreifen können. Level-4-Fahrzeuge haben daher noch Lenkrad und Pedale.
Bei Level-3-Fahrzeugen beschleunigt, bremst und lenkt das Auto streckenweise selbsttätig. In anderen Situationen fordert das System den Fahrer auf, binnen zehn Sekunden die Kontrolle zu übernehmen.