B2B im E-Commerce: So kann es funktionieren
In meinen letzten Projekten war im B2B-Umfeld von Zahnmedizin, Markisenhandel, Verlagswesen, Möbel und Bürobedarf der E-Commerce-Anteil eigentlich immer das kleinste Problem. Die Unternehmen haben es mit gut durchdachten Anforderungen und professionellen Agenturen zu ansehnlichen Shops gebracht. Die Projekte waren häufig unfassbar teuer, aber erfüllten letztendlich den zuerst gedachten Nutzen und Projektauftrag: „Wir sind jetzt digitalisiert“.
Der Projektauftrag ist dabei schlüssig und nachvollziehbar. Aus dem bisherigen Konstrukt aus Prospekten und Printunterlagen, manueller Angebotserstellung, einem hervorragenden Call Center mit geschulten und sympathischen MitarbeiterInnen soll nun ein Shop ergänzt werden. Skalierbar, standardisiert, strukturiert und modern für die Zukunft ausgelegt.
Schuld ist die nette Frau im Call Center
Im späteren Betrieb der B2B Plattformen wird jedoch festgestellt, dass die Akzeptanz bei den aktuellen Kunden deutlich geringer ausfällt als gedacht. Die Kunden kaufen kaum im Shop, sondern greifen auf den etablierten Weg über das Telefon zurück. Warum?
Schuld ist die nette Dame aus dem Call Center. Manche Kunden rufen seit 20 Jahren bei ihr an und haben eine persönliche Bindung aufgebaut. Ein kurzer Plausch, ein paar Informationen aus dem firmeninternen Flurfunk und dann die Bestellung, die auf Kulanz wieder unter der Mindestbestellmenge durchgeht. Das B2B-Geschäft ist emotional – auch, wenn es um Zahnimplantate geht.
Reichweite und Conversion Optimierung?
Üblicherweise würde man auf die klassische E-Commerce-Formel zugreifen: Mehr Traffic bei höherer Conversion Rate. Die B2B Shops leiden aber überhaupt nicht an schlechten Conversion Rates – sondern an der Akzeptanz beim Kunden. Ein durchschnittlicher Bestellwert lässt sich zudem bei bedarfsorientierten Produkten selten realisieren. Der Kunde will einfach nicht im Shop kaufen, weil der bisherige Weg attraktiver erscheint. Ein Sensitivieren durch Bonuspunkte, Zugaben oder bessere Konditionen führt zwar zu zufriedenen Kunden, aber nicht zu loyaleren Shopnutzern – die Kunden bleiben beim Telefon und bitten um die gleichen Vorteile. Erhalten sie diese nicht, führt der neue Onlineshop sogar zu einer massiven Abnahme der Kundenzufriedenheit im Allgemeinen.
Produktivität führt zu Motivation
Geschäftlich einkaufen ist selten ein exciting shopping trip sondern eine gestellte Aufgabe, die im Arbeitsalltag erledigt werden muss. Dabei macht das Kaufen von Tinte, Toner und Papier wohl genauso wenig Spaß wie das Bestellen von Scharnieren für Markisenbefestigung, Abutmentschrauben bei Zahnimplantaten oder Waschfaserlaken. Im Arbeitsalltag geht es aber um Produktivität. Aufgaben schneller erledigen, To-Dos schneller abhaken und Nebensächlichkeiten schneller erledigen – dagegen wehrt sich niemand.
Ein B2B-Shop hat daher nur eine Aufgabe: Er muss die Produktivität des Users erhöhen. Er muss Funktionen bieten, die ein Erledigen der Aufgaben schneller, effizienter, transparenter und sicherer machen.
Support the work
Der Büroalltag zeigt, dass arbeitsunterstützende Tools immer akzeptiert werden. Ticketsysteme, Checklisten-Lösungen, Tools wie Evernote und Dropbox, aber auch die Websites der Lieferdienste machen den Alltag im Büro einfacher. Ein B2B-Shop steht nicht nur einfach neben dem Katalog als freundliche Alternative für die jüngeren Sachbearbeiter. Der Shop muss Bestandteil des Arbeitsalltags werden und diesen deutlich optimieren.
Produkte schneller finden, Produktauswahl durch Plausibilitätsprüfungen bestätigen, Kombinationen bewerten, Historie berücksichtigen. Unser Kunde Ratioform hält viel von Historie und zeigt die letzten Bestellungen im Verpackungsmittelshop – logisch, denn eigentlich benötigt ein Versender zu 90% das gleiche Material für die immer gleichen Produkte. Beim Zahnarzt macht das weniger Sinn, denn jeder Patient braucht etwas anderes – eine Bestellhistorie bringt in diesem Fall also nicht mehr Effizienz in den Bestellprozess.
Unser Kunde Warema produziert Markisen. Ich musste lernen, dass dieses scheinbar banale Produkt eine unglaubliche Komplexität hat. Vor allem bei der Befestigung des Produkts braucht es enormen Sachverstand. Ein Onlineshop für die Handwerksunternehmen hat dadurch nicht nur den Charakter des Bestellens, sondern auch des Schulens und Lernens. Neue Mitarbeiter können anhand eines Konfigurators auch ohne jahrelange Berufserfahrung bestellen. Ein guter Zusatznutzen für den Meister, der nun allen Mitarbeitern vorschreibt, online zu bestellen.
Im Fokus steht die Arbeitsweise
Um den Arbeitsalltag optimieren zu können, muss er zuerst verstanden werden. Eine Arzthelferin ist am Empfang und wartet auf den nächsten Patienten. Da sie ja bereits am Rechner sitzt, könnte sie auch schnell Desinfektionsspray bestellen, oder? Nein – das kann sie eben nicht, denn der Rechner hat aus Sicherheitsgründen keinen Zugang zum Internet. Internet hat nur der Arzt an seinem Arbeitsplatz, der aber hat im Alltag keine Zeit. Wer bestellt nun das Desinfektionsspray?
Im B2B-Shop ist es nicht einfach zu erkennen, wer die Produkte auswählt und wer am Ende bestellen darf. Eines ist jedoch klar, es ist selten die gleiche Person. „Who is the boss?” – eine Kernfrage, die gestellt werden muss, um anschließend Arbeitsweisen zu verstehen.
Die Arbeitsweise ist nichts anderes als die Customer Journey – eine viel beschriebene Methode, die leider zu wenig intensiv genutzt wird. Die Customer Journey zeigt den Verlauf und die Nutzung der Touchpoints eines Users. Das ist vor allem im B2B-Umfeld interessant, weil man häufig erkennt, dass die Kunden viele Touchpoints brauchen und nutzen.
Motivation durch Produktivität
User können nur für den B2B-Shop motiviert werden, wenn sie dadurch echte Vorteile haben. Vorteile beziehen sich dabei auf eine Steigerung der Arbeitsproduktivität, weniger auf die Angebotsattraktivität. Heute werden viele Rohrkrepierer produziert. Aus old style wird nice game gemacht.
Ein neues Design soll die abnehmenden Nutzerzahlen im B2B Shop aufhalten. Dabei werden manche Funktionen gestrichen, weil sie mit dem neuen Shopsystem nicht mehr umgesetzt werden konnten oder erst mit Phase 2 in Planung gestellt werden. In Panikprojekten der Digitalisierung werden sie nur von völligen Nonsense-Projekten übertrumpft. Nonsense ist wenig zeitgemäß und zugleich kein ein echter Mehrwert in der Produktivität. User können kaum motiviert werden, den Shop langfristig zu nutzen.
B2B-Projekte brauchen Verständnis und Planung und müssen zu mehr Produktivität führen – der große Unterschied zu B2C.
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Hi Johannes,
super Artikel, vielen Dank dafür! Deine Tipps decken sich auch absolut mit unseren Erfahrungswerten und wir sind uns sicher, dass im B2B online noch extrem viel Potenzial liegt.
Wir sind mit Kaufsafari hingegen im B2B2C-Bereich unterwegs. Das heißt wir vermitteln auf einer Handelsplattform innovative StartUp Produkte an kleine bis mittelgroße Offline- und Online-Verkäufer, damit diese einzigartigere Produkte im Sortiment haben (=> USPs in vielerlei Hinsicht).
Mit diesem Thema befinden wir uns unserer Erfahrung nach noch ein wenig mehr zwischen den B2B- und B2C-Prozessen, da wir eben vor allem den Erstkontakt zwischen jungem Hersteller und oftmals etablierten Unternehmen herstellen möchten. Da hilft auch nur eine sehr gute Usability der Website, um alle Informationen möglichst schnell vermitteln und Vertrauen generieren zu können. Die von Dir angesprochene nette Dame vom Call-Center können StartUps nämlich leider nicht bieten – darum versuchen wir über ausführliche Teamvorstellungen und eine sehr offene Kommunikation die Händler auch emotional abzuholen.
Natürlich ist Produktivität wie von Dir beschrieben im Business-Bereich extrem wichtig. Darum werden wir auch kostenfrei tolle Plugins zur automatisierten Einspeisung der Produktdaten in etablierte Shopsysteme anbieten, damit die Prozesse beim Händler zusätzlich abgekürzt und modernisiert/digitalisiert/vereinfacht werden und hoffen so den von Dir genannten Bedarf besser befriedigen zu können.
Auf jegliches Feedback und Tipps von Dir würden wir uns natürlich sehr freuen!