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Belanglosigkeiten auf Linkedin: Einfach mal die Klappe halten

Die Sinnsuche hat uns in die Sinnlosigkeit geführt – auch und gerade in den sozialen Medien. Unsere Autorin will die Leistungsgesellschaft zurück, da kam wenigstens irgendetwas bei raus.

4 Min. Lesezeit
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Finden wir Sinn im Smartphone? (Bild: Shutterstock/Ollyy)

Die Sinnsuche der Millennials hat uns alle an den Punkt der absoluten Sinnlosigkeit geführt. Jetzt wird jede (selbst gepflückte!) Heidelbeere zum Objekt der beruflichen Erleuchtung.

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Es ist alles gesagt, aber irgendetwas muss man ja posten. Hier kommt eine Liste von Leuten, die sich für absolut inspirierend halten und dabei anderen im Hirn das Licht ausknipsen: Menschen, die darüber nachdenken, wie erfolgreich sie sind und was das mit ihnen macht. Menschen, die Demut gelernt haben, weil sie jetzt wissen, dass ein Minuszeichen kein Gedankenstrich ist. Menschen, die wochenlang lamentieren, weil sie zu einem Termin gebeten wurden, für den ihnen die Expertise fehlt – und dann die wahre Erleuchtung erleben: Man kann Dinge ja auch googelnd lernen. Wow.

Ganz oben auf der Liste der Leute, die das Internet vollmachen: Menschen, die ihre Follower zu ihrer Social-Media-Abstinenz auf dem Laufenden halten – und was die mit ihnen macht.

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Da hätte ich lieber die Leistungsgesellschaft zurück, die hatte im Bullshit-Bingo zwischen Morgenroutine und Power-Tools wenigstens noch Ergebnisse versteckt. Im Gegensatz dazu ist „kam nix bei rum“ heute ein lebensveränderndes Ereignis. Und natürlich ist es belebend, zu scheitern.

Und ja, es tut gut, sich das mal von der Seele zu schreiben und dann zu sehen, wie andere Menschen dafür Herzchen-Icons antippen. Aber die Frequenz an Erleuchtungen, die es für einen Hauch von Reichweite auf Social Media braucht, erinnert ein bisschen an die Stroboskoplichter meiner Heimatdisco: Galvanize (world, the time has come to … push the button).

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Nasebohren verändert das Gehirn

Das Leben macht etwas mit uns. Nur halt nicht so viel, wie Social Media uns gerade glauben macht. Ich hatte mal einen Kollegen, der ständig fragte, was irgendwas mit irgendwem mache, und damit tiefschürfende Gespräche anzetteln wollte. Er selbst war ziemlich langweilig und ich denke, die so Geplagten hätten seine Fragerei auch nicht gebraucht.

Natürlich können wir aus allem etwas lernen. Wir müssen aber nicht. Nicht jedes Lebensereignis braucht Reflexion, nicht alles, was wir erleben, muss mit Bedeutung aufgeladen werden. Wachstum ist etwas Leises. Weisen wir allem einen höheren Sinn zu, dann übersehen wir die Tiefe in uns.

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Ein schönes Beispiel liefert uns die Wissenschaft: Es gibt diese Studien, laut denen lesen das Gehirn verändert. Was die Neurowissenschaftler:innen nicht erwähnen: Alles verändert das Gehirn. Das Gehirn vernetzt sich mit jedem Eindruck neu, sonst könnten wir nichts lernen und wir wüssten Jahre nach dem Jobwechsel noch immer nicht, wo der Lichtschalter ist.

Wann immer wir also etwas tun, passiert auch im Kopf ganz viel. Je interessanter und eindrücklicher unsere Beschäftigung ist, desto mehr regen wir damit unsere Gehirnaktivität an. Neuroplastizität nennt sich das. Sie taugt nicht für Schlagzeilen, weil sie für unsere Körper (und die wissenschaftliche Community) Routine ist.

Die schlechte Nachricht: Social Media hat nicht unbedingt einen positiven Einfluss auf das Gehirn. Es wird so scharf auf Nachrichten, Likes und Kommentare, dass es sogar „phantom vibrations“ wahrnimmt.

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Ja, genau: Das sind Halluzinationen, die uns suggerieren, jemand im Internet hätte uns lieb, obwohl es gar nicht stimmt. Dedüm. Das Ergebnis: Menschen posten immer mehr. Und weil ihnen die Geschichten ausgehen, posten sie immer belangloseres Zeug mit immer mehr Pathos. Dieser Pathos sorgt für Aufmerksamkeit, er bewegt – aber es steckt eben nichts drin.

So leicht, so seicht, ein Traum

Menschen sind demütig, fühlen sich geehrt, sie lernen, sie staunen, sie bewundern, sie feiern. Sie suchen nicht den Sinn des Lebens, sie suchen Sinn für sich selbst. Und weil es seltsam verpönt ist, seine eigenen Errungenschaften geil zu finden, ist der Sinn nun eine Zahl von Likes für demütig-geehrt-gelernt-gestaunt-bewundernd-feiernde Posts. Und die funktionieren, weil sich ein Reflex breitgemacht hat: Wenn ich das nicht like, dann likt der meine Posts auch nicht und ich brauche seine Likes.

Wir haben eine Kreislaufwirtschaft der Anerkennung geschaffen – für Bullshit. Wir leben in den philosophischen Untiefen der Aufmerksamkeits­ökonomie und wir sterben dabei ganz langsam vor uns hin. Diese Textpassage ist so gut, ich will eure Herzchen sehen.

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Das Inspirierendste, das jeder Mensch auf Social Media erlebt, ist niemals das, was gepostet wird. Es sind die Herzchen, die uns sagen: Du bist jemand. Du wirst gesehen. Du bist wertvoll. Du wirst geliebt, zumindest, wenn diese Liebe nur einen Fingertippser verlangt.

Obacht! Dafür darf der Beitrag nicht zu komplex sein. Tiefe überfordert, Seichtigkeit ist risikofrei. Was als Kontroverse formuliert wird, muss konsensfähig sein. Es sind Stammtischparolen, nur noch feiger versteckt. Sollen das die Zeugnisse unserer Kultur sein, wenn wir eines Tages nicht mehr sind? Zum Glück sind Daten ja nicht besonders haltbar. Lasst uns nur hoffen, dass niemand das Internet ausdruckt.

Du inspirierst keine Sau

Es gibt diese Quotecard im Netz, ich glaube, so ein Boomer-Influencer namens @Konfuzius hat die zu seiner Zeit noch persönlich in MS Paint eingetippt. Geht so:
Was du mir sagst, das vergesse ich.
Was du mir zeigst, daran erinnere ich mich.
Was du mich tun lässt, das verstehe ich. Bäm.

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Mit euren inspirierenden Geschichten seid ihr direkt auf Level 1: „Was du mir sagst, das vergesse ich.“ Plopp – ciao. Deshalb funktioniert die Suche nach Inspiration im Internet nicht und deshalb kann auch niemand irgendwen nachhaltig inspirieren, indem er ein Selfie postet und belanglose Weisheiten teilt. Menschen lesen etwas auf dem Display, das Gehirn ist kurz von seinem eigenen Leben abgelenkt, Like, Herzchen, weiterscrollen. Hängen bleiben bestenfalls noch die eigenen Worte.

Wer denkt schon abends darüber nach, was wildfremde Leute heute wieder bei ihrem kurzen Gespräch mit dem Tankstellenwart über sich selbst gelernt haben? Der ist übrigens nicht auf Social Media, weil er nach seiner Schicht rausgeht, sein Leben lebt und mit seinen Kumpels aus der Taxizentrale über all die Millennials herzieht, die sie heute wieder nach Lebensweisheiten ausgehorcht haben. Die lachen sich tot über uns. Und sie haben recht.

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3 Kommentare
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Caly

Yap und die Hälfte ist zudem gelogen. Vor allem im HR, Marketing und New Work Bereich wird es immer schlimmer. Die merken es aber nicht – halten sich alle für nachhaltig, divers und ganz toll. Kaufen sich aber alle 14 Stunden was bei Amazon und fotografieren sich permanent selbst.

Ich bin Fan von Dr. Cal Newport – Digital Minimalism. Check it out.

Antworten
Jutta Oppermann, allegria design . Marketing-Beratung und Design.

Ein sehr erfrischender Beitrag, der mir aus dem Herzen spricht, liebe Isabel.
Wo bleibt der Mehrwert so vieler Beiträge in den sozialen Medien? Diese Frage beschäftigt mich schon länger….
Prädikat: lesenswert!!!
Danke und gerne mehr davon.

Antworten
Julia Nikolaeva

Womit ich einverstanden bin: ein bisschen mehr Leistungsgesellschaft auf Social Media wäre nicht schlecht. Andererseits gibt es sie durchaus, man muss nur den Leistungsträgern folgen. Die sind durchaus auf Social Media aktiv, ja, auch der Tankstellenwart und seine Kumpels aus der Taxizentrale.

Was absoluter Bullshit ist: dass Menschen Dinge liken, weil sie selber Likes haben wollen. Wenn Sie das tun, ist das sehr traurig. Wenn andere das bei Ihnen tun, ist das sehr traurig. Ich tue das nicht.

Der Rest ist eine Frage der eigenen Timeline, und die stellt man sich selbst zusammen. Folge ich Langweilern, die belangloses, inhaltsleeres Zeug posten? Oder folge ich inspirierenden Leuten? Das entscheidet jeder selbst. Sie folgen Langweilern? Dann verallgemeinern Sie das bitte nicht. Ich folge nur tollen Menschen.

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