Frauen in der Tech-Welt: Darum braucht es zusätzliche Förderung
Mädchen können nicht rechnen? Dieses Vorurteil kennt Julia Freudenberg, CEO der Hacker School. Das Problem: Mädchen glauben es teilweise selbst. Die Rollenbilder, die ihnen und auch Jungs in der Kindheit vermittelt werden, prägen die Arbeitswelt. Eine aktuelle Statista-Grafik zeigt das deutlich: Während Informatik bei männlichen Personen der zweitbeliebteste Studiengang im Wintersemester 23/24 war, hat er es bei weiblichen Personen in dem Zeitraum nicht einmal in die Top 10 geschafft. Was die Grafik zu den weiblichen Studierenden zeigt: Frauen wählen gern Studiengänge, die sich auf das Kümmern von anderen beziehen; Männer eher technisch-ausgerichtete.
Das ist keine neue Erkenntnis, sondern ein jahrelang bekanntes Problem. Mit dem setzt sich auch Freudenberg auseinander. Ihr Ansatz: In der Kindheit anfangen und Mädchen frühzeitig Technologie-Wissen vermitteln. Damit allein ist es jedoch nicht getan – das macht sie im Gespräch mit t3n deutlich.
t3n: Den ersten Teil deiner Karriere hast du im Lebensmitteleinzelhandel gemacht, für Unilever hast du etwa die Speiseeismarke Ben & Jerrys in Deutschland eingeführt. Wie bist du von dort zum Coden, zur Hacker School, gekommen?
Julia Freudenberg: Das war kein direkter Weg. 2014 habe ich ein Ehrenamt für die Arbeit mit Geflüchteten aufgenommen. In der Zeit habe ich gemerkt, wie viel Unterstützung Geflüchtete brauchen, um in den Arbeitsmarkt zu kommen. Da habe ich mit Freunden ein Projekt gegründet: Wir sind mit Geflüchteten in Unterkünfte gegangen und haben mit ihnen Lebensläufe geschrieben. Über das Netzwerk für Geflüchtete habe ich den Gründer der Hacker School kennengelernt. Sie wollten damals ebenfalls Geflüchtete auf dem Weg in den Arbeitsmarkt unterstützen – allerdings habe ich ihm gesagt, dass das auf seine geplante Weise nicht funktionieren wird. Am nächsten Tag rief er an und sagte: „Mach‘ du es doch”. Ich reagiere immer sehr intensiv auf Challenges – die Idee fand ich cool. Ich wollte das Projekt groß machen. Ich habe schnell erkannt: Hier werden Kinder begeistert. Die Hacker School verknüpft die kindliche Spielleidenschaft erfahrener ITler mit der Neugier und dem Bildungshunger von Kindern.
t3n: Speziell den Fokus, Mädchen im Tech-Bereich zu fördern, hast du eingebracht. Warum war dir das wichtig?
Zu Beginn hatten wir oft fast nur Jungs in den Kursen – nicht, weil wir es wollten, sondern weil die Nachfrage entsprechend war. Deutschland ist das Land der Zertifikate und Vorurteile. Das Mysterium, dass Mädchen nicht rechnen können, hält sich nach wie vor – dabei rechnen wir nicht mit den Eierstöcken. Schauen wir in den Haushalt: Muss die Glühbirne gewechselt werden, wird eher der Junge gefragt – die Mädchen werden gebeten, beim Tischdecken zu helfen. Ich möchte, dass jedes Kind die gleichen Chancen hat. Mich treibt der Fairness-Gedanke an – wenn wir die Mädels nicht ohne zusätzlichen Aufwand kriegen, müssen wir eben die Extrameile gehen.
t3n: Wenn du die Extrameile ansprichst: Ist das nicht die Aufgabe der Eltern, die die Rollenbilder fördern?
Es ist die Rolle der Eltern – aber auch die des Staats, über die Bildung. Die Herausforderung ist ja: Viele Erwachsene haben nicht wirklich Medienkompetenz, das Handy wird genutzt, um Kinder ruhigzustellen. Das ist kein Fingerpointing. Wir setzen genau da an und wollen Eltern ermuntern, den Raum zum Tech-Lernen für ihre Kinder zu schaffen. Die Eltern haben teilweise vor Tech-Themen mehr Angst als ihre Kinder. Bei der Girls Hacker School haben wir daher auch damit gestartet, Mädchen und Mütter anzusprechen. Es ist spannend zu sehen, wie unterschiedlich die Altersgruppen lernen.
t3n: Was meinst du mit „anders lernen”, hast du da eine Anekdote?
Eine Teilnehmerin war Mitte 50, sie hat einen HTML-Kurs mitgemacht. Hinterher sagte sie: „Die jungen Dinger, die lernen ganz anders; die machen einfach, die probieren und ich grüble immer erst”. Zwei Sachen habe sie gelernt. Erstens: Völlige Begeisterung für die junge Generation. Zweitens: Sie werde nie wieder ihrer IT-Abteilung sagen „Könnt ihr mal kurz” – sie weiß jetzt, worum es geht.
Heute funktioniert das Lernen vielmehr über das Ausprobieren, über das einfach machen. Wir Erwachsenen sind dafür zu verkopft, wir denken alles kaputt. Dabei ist dieses intuitive Lernen unglaublich cool – das können wir von jungen Menschen lernen.
Wie ist es aktuell um Frauen in Vorstandsposten in Deutschland bestellt? Anja Seng Präsidentin der Initiative „Frauen in die Aufsichtsräte“ gibt einen Überblick:
t3n: Du hast auch den Überblick über verschiedene Kurse, in denen mal nur Mädchen und mal Jungs und Mädchen sind. Welche Unterschiede fallen da auf?
Seit ich bei der Hacker School bin, habe ich sehr große Sympathie für die Monoedukation, weil wir so das Ausweichverhalten reduzieren können. Jungs programmieren eher sequenziell und straight, nach dem Motto: „Muss funktionieren, nicht schön aussehen”. Mädchen sind objektorientierter. Sie achten mehr auf Kleinigkeiten. Da zeigt sich, wie sie seit ihrer Kindheit dazu erzogen werden, perfekt zu sein. „Girls are told to be perfect, boys are told to be brave” zeigt sich da. Bei gemischten Kursen müssen wir verstärkt darauf achten, dass Jungs nicht nur an den Tastaturen sitzen und programmieren und die Mädchen ermutigen: Es ist nicht schlimm, wenn etwas schiefgeht.
t3n: Bei horizons by heise hälst du am 28. August auch eine Keynote, bei der es darum geht, mehr Frauen in die Tech-Branche zu bringen. Wenn Frauen von Kindesbeinen an so erzogen werden, was heißt das für die Arbeitswelt?
Als Führungskraft musst du immer mit dem Ansatz rangehen, dass Männer denken, sie können alles lernen und Frauen kommen mit dem Gedanken, sie müssen schon alles können. Diese männliche Einstellung hat es in der Businesswelt leichter als die hochreflektierte weibliche. Das ist jetzt sehr schwarz-weiß gedacht, aber diese Tendenzen sind sichtbar.
t3n: Der Titel deiner Keynote lautet Hack the world to a better place. Warum gehst du davon aus, dass wir mehr Frauen in der Tech-Branche brauchen, damit die Welt ein besserer Ort wird?
Ich glaube, dass wir über Frauen-Netzwerke die Welt retten können, weil wir in ihnen ein höheres Commitment für die Sache haben. Wir müssen ganz egoistisch mehr Frauen in die IT bringen, damit die generative Künstliche Intelligenz auch überhaupt die Sicht der Frauen berücksichtigt. Nur so bekommen wir die generischen Algorithmen in eine Gleichberechtigung und bekommen diversere Produkte.
Du interessierst dich für die Arbeitswelt von morgen? Dann musst du dieses Podcasts kennen:
t3n: Was ist denn deine Forderung an männlich gelesene Personen, um diesen Wandel zu unterstützen?
Wir haben in Deutschland selten ein Verständnis-, sondern oft ein Umsetzungsproblem. Wenn sie sehen, sie haben zu wenige Frauen in ihrem Team, geht es nicht darum, das zu bedauern, sondern es muss geschaut werden, wie sich das ändern lässt. Unternehmen haben eine Verantwortung, Personen nicht nur Inhouse zu fördern, sondern sich darüber hinaus zu engagieren. Sie müssen vom Quartalsdenken des nächsten Abschlusses wegkommen und schauen, was langfristig gebraucht wird – auch um den Wirtschaftsstandort zu stärken und die Gesellschaft mehr zusammenzubringen. Menschen in Führungspositionen sollten nicht immer nur Sweet Talk veranstalten, sondern „Walk the talk” leben und Freiräume schaffen, in denen sich Menschen entwickeln können.
t3n: Dann folgt daraus an Frauen die Forderung, etwa Weiterbildungskurse einzufordern?
Absolut. Dazu brauchen wir eine höhere Fehlertoleranz. Es geht nicht nur um Erfolge, sondern auch darum, was nicht funktioniert. Das ist etwas, was man Frauen auch immer ganz klar vor Augen führen muss: Wenn etwas nicht funktioniert, ist das kein persönliches Versagen oder der Abschied vom Planeten. Es ist in Ordnung zu scheitern – ich liebe es, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die diese Erfahrung gemacht haben.
In eigener Sache: Women in Tech findet im Rahmen der Veranstaltung horizons by heise am 28. August 2024 statt. Freudenberg hält ihre Keynote um 17.30 Uhr in der Dr. Buhmann Schule & Akadamie in Hannover-Mitte. yeebase media, Verlag von t3n, ist Teil der heise Gruppe; die t3n-Autorin Stella-Sophie Wojtczak wird selbst ein Panel moderieren.