Berlin ein Failed State? Warum Paul Ziemiak Recht hat
Vorab: Ich bin ein Berlin-Fan. Ich lebe gern hier, ich liebe diese Stadt. Oft auch das Chaos, was sicherlich ein Treiber für Kreativität in dieser Stadt ist. Aber ebenfalls gleich vorweg: Es gibt verschiedene Arten von Chaos. Nehmen wir mich zum Beispiel: Im Privatleben lasse ich mich öfter gern mal treiben, ich probiere andauernd neue Dinge aus, ich lasse mich gern überraschen, ich akzeptiere auch andere Lebensweisen und Modelle und höre nie auf zu lernen. Ich schlafe am Wochenende auch mal aus und lasse Sport ausfallen, wenn ich keine Lust habe. Hier und da lasse ich auch mal 5 grade sein, es ist eben nicht alles durchgeplant. Damit kann ich hervorragend leben.
Verlässlichkeit und Genauigkeit sind für Unternehmen unabdingbar
Im Beruf hingegen ist es anders: Verlässlichkeit, Genauigkeit und das Sicherstellen, dass alles funktioniert, ist für ein großes Unternehmen unabdingbar. Auch mal abends härter zu arbeiten, Dinge gut durchzuplanen, konstruktiv in Details zu gehen, meine private Meinung nicht Überhand nehmen zu lassen und immer im besten Interesse für das Unternehmen zu arbeiten – das ist mein Arbeitsethos. Und genau da fängt das Problem mit dem Artikel des t3n-Autors an.
Eine gewisse Liberalität ist kein Chaos
Dass man in Berlin offen Alkohol trinken kann, dass auch polizeilich bis zu einem gewissen Maße ab und zu mal ein Auge zugedrückt wird, dass man im Park auch grillen kann, ohne dass die Behörden sofort eingreifen, und dass ich hier eine gewisse Liberalität spüre, die Clubs und Kultur viel Luft zum Atmen lässt, die die Szene befruchtet – all das finde ich super. Und all das ist für mich nicht Chaos.
Berlin ist schlecht regiert
Auch ich habe (wie der Autor vorher über Paul Ziemiak anmerkte) einen Großteil meines Lebens als CDU-Mitglied verbracht. Und entgegen seiner Vermutung ist meine Vorstellungskraft sehr hoch. Durch mein Studium habe ich viele Städte gesehen, später als Startup’er auch. Und ja: Es geht besser. Denn Berlin ist nicht schlecht regiert wegen der oben beschriebenen Dinge, die auch der Autor des ersten Artikels so schätzt. Berlin ist schlecht regiert, weil es die Dinge, die professionell laufen sollen, einfach nicht hinbekommt. Und ebenso wie die Unterscheidung zwischen Privatleben und Berufsleben gibt es Dinge, die man gern akzeptiert – und Dinge, in denen ein Schlendrian einer Weltstadt wie Berlin einfach nicht würdig ist.
Das Bürgerbüro – Ein Schildbürgerstreich
Beispiel Behören: Als ich nach Berlin zog, nahm ich an, dass es wie in jeder Stadt in Deutschland auch ist und man sich zeitnah ummelden muss. Problem nur: Es gab in den ersten Monaten keinen Termin bei den Bürgerbüros. Als ich dann endlich einen Termin hatte und im Bürgerbüro aufschlug, wurde mir direkt gesagt, dass ich mich durch meine späte Meldung ja eigentlich strafbar machen würde. Auf meinen Hinweis hin, dass es aufgrund der Terminlage ja keinen früheren Termin gab, wurde mir nonchalent gesagt, dass das ja nicht das Problem der Dame sei. Ein echter Schildbürgerstreich.
Berliner Standesamt: 10 Stunden warten, nichts erreicht
Nächster Termin, einige Jahre später: Standesamt Berlin Pankow. Ich habe es geschafft, viermal dort gewesen zu sein, ohne das zu erreichen, was ich wollte. Und das bei kumulierter Wartezeit von wahrscheinlich mehr als 10 Stunden. Die Website war schlecht beschrieben (Digitales Denken lässt grüßen), am Telefon nimmt keiner ab, die Wartemarken gingen nicht und gefühlt 400 Leute standen da ab 6 Uhr morgens in der Hoffnung, einen Termin zu bekommen.
Fünf Wochen für einen Auszug aus dem Geburtenregister
Fazit: Nach fünf Wochen hatte ich dann meinen Auszug aus dem Geburtenregister – das war 10 Stunden warten, weinende Standesbeamte und viel Ärger später. Woanders? Fünf Klicks auf der städtischen Website mit Überweisung als Zahlungsmethode – und zack, fertig.
Lizenzen für die Firma? Zwei Jahre warten
Ein letztes Beispiel. Für meine Firma brauchen wir Lizenzen. Andere Landesbehörden schaffen das in acht Wochen. Berlin braucht in manchen Fällen bis zu zwei Jahre. Das hat dazu geführt, dass viele Firmen sich überhaupt nicht hier gegründet haben, sondern direkt aus Berlin nach Frankfurt, Dresden, Düsseldorf oder woanders hin gegangen sind.
Die lange Liste des Berliner Scheiterns
Diese Liste hört nicht in Behörden auf: Unausgegorene Meldungen wie der Mietendeckel (oder eher der Bedarf eines Nieten-Deckels, wie es der SPD’ler und ehemalige Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky sagt), wirtschaftsfeindliches Verhalten wie im Falle des geplanten Siemens Campus, Untätigkeit wie auf der Friedrichstraße und bei der möglichen Abwanderung der Galleries Lafayette, die arrogante Ablehung von Entwicklungschancen (Karstadt am Herrmansplatz), die schlechte Behandlung von Berliner Szene-Institutionen wie dem Holzmarkt, die unsägliche Geldverschwendung mit den gepunkteten Straßen und den ungenutzten Sitzecken („Begegnungszonen“), der Flughafen, die Kündigung der Toilettenwerbung am Ku’damm (der zu fehlenden Toiletten führt) – zu jedem dieser Punkte könnte man Absätze schreiben, die den Rahmen jedes Artikels sprengen würden. Aber alle führen zu dem selben Resultat: Diese Stadt wird schlecht regiert und ist einer Hauptstadt, die zur Weltstadt wird, nicht würdig. Nicht umsonst ist keine Bevölkerung in Deutschland so unzufrieden mit ihrer Landesregierung wie die Berliner.
Die Kreativ-Szene ist trotz des Senats in Berlin, nicht deswegen
Berlin ist nicht dank des Senats lebenswert, sondern trotz des Senats. Berlin ist nicht dank des Senats Sitz der Kreativ- und Startup-Szene, sondern trotz des Senats. Berlin ist nicht dank des Senats Weltstadt, sondern trotz des Senats.
Auf das wesentliche konzentrieren: Stadt am Laufen halten!
Man mag sich gar nicht ausmalen, wie diese Stadt gedeihen könnte, wenn der Senat sich mal auf das Wesentliche konzentrieren würde – nämlich, diese Stadt einfach am Laufen zu halten. Wenn der Maschinenraum läuft und alles funktioniert, kann man sich bei anderen „sanften“ Themen auch eine gewisse Liberalität erlauben und Schwerpunkt auf Themen setzen, die nicht im Rahmen des täglichen Lebens liegen. Siehe Kopenhagen, Stockholm, Amsterdam und viele andere Städte.
Berlin geht sehr in Richtung „Failed State“
Wenn aber selbst der Maschinenraum hoffnungslos kaputt ist, dann sollte man ihn vielleicht zuerst reparieren, bevor man sich Sorglosigkeit erlaubt. Darum wird Berlin nicht gut regiert – und das geht dann (wenn auch sehr extrem formuliert) sehr in die Richtung eines „Failed States“.
Dem kann ich nur zustimmen.
Allerdings, zum Tango gehören 2.
Scheinbar gefällt den Bewohnern dieser Zustand. Eine entsprechende Regierung wurde gewählt.
So lange diese Tanzveranstaltung aus dem Süden der Republik zwangsfinanziert werden muss, wird sie auch weitergehen..
Der Süden hat absolut nichts zum Erfolg der dortigen Wirtschaft beigetragen. Gar nichts. Null, Nada. Niente. Es ist schlicht Zufall dass dort Kinder gezeugt wurden, deren Unternhemen viele Jahrzehnte später Produkte in alle Welt exportieren. Die Politik hat dazu nichts beigetragen. Und sie wird auch nicht den Untergang aufhalten und die Massenarbeitslosigkeit beenden, die auf die Regionen mit Dinosauriertechnik zukommt.
ach die Welt ist so schlecht..willkommen in der Welt der Opfer..
Sag das Finn, der den Jammertext geschrieben hat.
Tja, und wer hält die Maschinen am Laufen, wer sind die Maschinisten? Feuerwehrleute, Polizisten, Lehrer, Behördenmitarbeiter, Krankenschwestern, … Und was wurde in den letzten 20 Jahren vom Berliner Senat kaputtgespart? Der Öffentliche Dienst! Wenn man Maschinisten entläßt, niemand die Maschinen schmiert, man sie verrotten läßt, dann hektisch Hilfsmaschinisten einstellt, die von „tuten und blasen“ keine Ahnung haben, muß man sich nicht wundern!
Beispiel Berliner Feuerwehr: Es ist die größte und älteste Feuerwehr des Landes. Darauf ist man stolz.
Es ist aber auch die Feuerwehr mit der höchsten Belastung (Einsätze pro Mitarbeiter) und der schlechtesten Bezahlung! Und miesen Arbeitsbedingungen! Also rennen die Leute weg und neue kommen nicht.
Das alles weiß der Senat, bzw. er könnte es wissen! Aber anstatt ausreichend Maschinisten mit korrekter Bezahlung anzuwerben, die alten Maschinisten anzuhören, weil sie die Maschine kennen, werden Ölläppchen ausgeteilt …
Wer mehr wissen will:
https://berlinbrennt.info
Cool , dieser CDU-Vogel macht jetzt in „Cannabis-startup“ , weil „Movinga“ dann irgendwie doch nicht
so der Hit war, wie fast alle Firmen die er „gross“ gemacht hat. Grosse Klappe, so gar nichts dahinter. Man kann im Internet lesen, dass seine grösste Schwäche das „Aufschieben“ ist, da wundert es einen nicht, dass er nicht in der Lage ist wie andere Termine bei Bürgerämtern innerhalb weniger Tage oder gar am gleichen Tag zu bekommen. Sprich einer der vielen Dummquatscher ohne den diese Stadt nicht ärmer ist.
Hallo Arne (auch wenn Du wahrscheinlich nicht so heißt). Schöne Grüße vom CDU-Vogel an den armen Internet-Troll, der scheinbar kein anderes Hobby hat, als unsachlich Leute zu beleidigen. Normalerweise reagiere ich auf solche Wutbürger-Posts nicht – aber vielleicht bringt es ja was und Du guckst einfach mal in den Spiegel und fragst Dich, woher Deine Wut eigentlich kommt …
Kann dem Beitrag leider nur zustimmen. Schwierig wird es nur sein, eine Balance herzustellen zwischen Liberalität und einer funktionierenden Verwaltung.
Bei den Bürgerbüros hat es meiner Meinung nach auch viel mit Organisation und Kultur zu tun, das ist nicht nur eine Finanzierungs- und Ausstattungsfrage. Wenn im Bürgerbüro Charlottenburg von 6 Sachbearbeiterinnen 3 Solitär spielen, weil die Termine nicht wahrgenommen werden, dann liegt es nicht an veralteten Rechnern. Ich habe es selbst gesehen.
@Titus von Unhold: Ist das ernst gemeint? Stichworte sind Länderfinanzausgleich, aber eben auch zahlreiche Bundeshilfen für Berlin (für Einzelprojekte, wie Humboldt Forum). Und im Süden, das muss man neidisch anerkennen, hat die Politik sehr wohl viel richtig gemacht, weil sie damals Unternehmen ansiedeln ließ, die im Ruhrgebiet mehr oder weniger abgewiesen wurden.
Wenn ich mir z.B. die Wirtschaftsförderung und Initiativen zur Ansiedlung von asiatischen Unternehmen in einer Stadt wie Düsseldorf anschaue, ist Berlin davon Lichtjahre entfernt: Politik ist relevant.
Nein, die Wirtschaftszweige die in BW und BY das Geld bringen (Maschinenbau, Pharma und Chemie, sowie Medizintechnik), haben sich dort bereits zu Kaiserzeiten angesiedelt. Damals hat es den politischen Förderalismus der eine Ansiedlung hätte möglich machen oder verhindern können noch nicht gegeben. Es war schlicht Zufall und Glück dass die Betriebe trotz Versailles und Zwangsarbeit zweimal nicht enteignet wurden. Diese Früchte hat die Politik geerntet, das war es aber auch an Leistung.
Am 24. März d.J. veranstaltet die preussische Gesellschaft e.V. in Berlin ein Forum zu genau diesem Thema.
Es ist m.E. brandaktuell!
Meine Meinung:
Das Dilemma des „failed state“ besteht im Grunde genommen seit der Reichsgründung 1871.
Es zeigt sich deutlich in dem Führungsanspruch von Parteien, die nur einen Bruchteil der Bevölkerung repräsentieren, und einiger Eliten. Erst waren es der Adel, später Banken und Militär – die sich anmaßten, die Geschicke des Staates zu übernehmen.
Mitnichten!
Zuerst kommen immer Parteiendisziplin und Proporz, dann das persönliche Interesse, das mit erstem eng verknüpft ist. Und an dritter bzw. letzter Stelle das Gemeinwohl.
Nicht Intelligenz und Kompetenz zählten in der Staatsführung, sondern das entsprechende Parteibuch, Küngelei und Vorteilsnahme durch Machtmissbrauch.
Dieses Prinzip hat sich bis heute national und international (EU) gehalten und ist in seiner Perversität vervollkommt!
Beispiele? Belege? – Der tägliche Blick in die Zeitungen, Radio und TV liefern sie zuhauf!
Nicht nur Covid-19, auch die Kernkompetenzen des Staates mutieren zu gefährlichen und zersetzenden Erscheinungen: Sicherheit, Wohlstand, Rechtlichkeit.
Überall mieft und modert es!